Magdeburg ist zwar nicht europäische Kulturhauptstadt geworden; dass Europa hier dennoch eine große Rolle spielt, zeigt ein Projekt, das als Teil eines Gastspiels der französischen Compagnie Rêvages unter Leitung von Sarah Lecarpentier zu sehen sein wird. Sarah Lecarpentier, Gründerin und Regisseurin der Compagnie Rêvages, beschäftigt sich schon seit Jahren mit Europa und seiner Geschichte. Sie ist die Enkelin des französischen Lyrikers, Essayisten und politischen Aktivisten Stéphane Hessel, der für die Résistance kämpfte und das KZ Buchenwald überlebte. Bekannt wurde er 2010 durch die Streitschrift »Empört Euch«.
Das Buch »Europeana. Eine kurze Geschichte Europas im 20. Jahrhundert« von Patrik Ouředník stand am Anfang ihres gleichnamigen Projekts. Der tschechische Autor unternimmt darin den kühnen Versuch einer Chronik der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts in Kurzform. Das lakonische Nebeneinander von schockierenden Ereignissen, skurrilen Fakten und intellektuellen Theorien der Epoche macht den Wahnwitz dieses von Kriegen und Katastrophen geprägten Jahrhunderts spürbar. Sarah Lecarpentier hat den Text in einer eigenen Fassung auf die Bühne gebracht und gastierte bereits 2019 damit in Frankreich, Rumänien, Tschechien und Serbien.
Doch das Projekt reicht weiter ins 21. Jahrhundert und bindet auch Magdeburg selbst ein: In den Gastspielorten waren die Bewohner*innen aufgerufen, sich in einem Blog Gedanken über das heutige Europa zu machen und mit eigenen Geschichten und Visionen zu einem vielstimmigen Bild davon beizutragen. Dieses wird auf einer zweiten Tournee 2021/22 nun noch erweitert: Im italienischen Triest, im belgischen Lüttich, im nordfranzösischen Avion und in Magdeburg lud die Regisseurin Menschen ein, vor der Videokamera eine erdachte oder erlebte Geschichte aus »ihrem« Europa des 21. Jahrhunderts zu erzählen. Daraus entstand unter der Regie der Filmemacherin Alexandra Longuet der 40-minütige Dokumentarfilm »XXI«, an dem eine Reihe von Magdeburger*innen ganz aktiv teilgenommen haben. Er wird als
»Zugabe« vor der ersten Vorstellung von »Europeana« am 26.1. zu sehen sein. Im Anschluss an beide Veranstaltungen an diesem Tag wird es Gelegenheit zu Publikumsgesprächen mit Sarah Lecarpentier geben. Ein spannendes Gesamtprojekt, das zugleich zurück und nach vorne blickt und Magdeburg als Stadt in der Mitte Europas verortet.