Ich war um die 6 Jahre alt und es gab irgendetwas, das ich Omi Meta dringend erzählen musste. Mit einem Stöckchen in der Hand lief ich die Treppe rauf und wo man im kleinen Flur die Kurve machen musste, stand unerwartet Omi. Ich bekam einen Riesenschreck, konnte nicht mehr bremsen und wir rammelten zusammen. Das obere Ende des Stöckchens traf Omi dabei im Gesicht. „DU HAST MICH GEHAUEN“, fuhr sie mich an. Ob ich eine Backpfeife bekam, weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich ja. Alle Beteuerungen halfen nichts. Kein unglücklicher Zufall, nichts aus Versehen – ich hatte meine Omi vorsätzlich geschlagen. Dabei blieb es. Für immer. Alle Erklärungen, auch als ich groß war – zwecklos. Dabei war Omi durchaus für Humor zu haben. Omi hatte immer Katzen – niemals Kater. So gab es denn zwei Mal im Jahr kleine Katzen, die leider – vor allem in der Menge – niemand brauchen konnte. Also war es Omis selbst auferlegte Pflicht, sich darum zu kümmern, dass Lüttgen-Salbke nicht unter einer Katzenplage zu Grunde gehen würde. Damals ging noch niemand zum Tierarzt und ließ seine Katze operieren, nein, Omi geleitete die Kleinen persönlich in den Himmel. Ich bin mir auch nicht mehr sicher, ob ich sie je gefragt habe, wie sie das eigentlich gemacht hat.
Als Omi mit 85 Jahren auf dem Sterbebett lag, fragte ich, was sie denke, ob sie in Himmel oder Hölle komme. „In den Himmel, hoffe ich doch!“ Als ich entgegnete, dass an der Himmelstür sicher alle toten Katzenbabys warten würden und sie sich bei jedem einzeln entschuldigen müsse, lachte sie und wurde nachdenklich zugleich. Ich nutzte ihre milde Stimmung, um zum letzen Male zu beteuern, dass das mit dem Stöckchen ein Versehen war. Da verdunkelte sich ihr Gesicht wie das von Bilbo, als er den Ring noch ein Mal berühren wollte. Finster fuhr sie mich mit letzter Kraft an:
„DU HAST MICH GEHAUEN!“
Jim Panse