Vier Mädels um die Zwanzig stehen eng beisammen am Straßenrand und drehen sich um sich selbst. Eine hält einen Stab in der Hand, mit einem Greifer am Ende. Der Greifer hält ein Brett. Und das Brett ist ein kleines Tablet oder ein recht großes Telefon. Ich kenne mich da nicht so aus. Sie sehen sich selbst in dem Ding und darum starren sie alle in die Richtung desselben. Jede versucht, im Bild zu sein und gut dabei auszusehen. Sie sehen sowieso gut aus, da brauchen sie sich keine Sorgen zu machen. Mit zwanzig sieht man gut aus, auch wenn man mal nicht gut aussieht. Vielleicht wird in zehn Jahren die eine oder andere auch sagen: „Verdammt, sah ich da Scheiße aus“! Aber spätestens in zwanzig Jahren sagen sie alle und ausnahmslos: „Da sah ich gut aus! Etwas albern – aber gut!“ Das können sie natürlich heute nicht wissen, völlig klar. Also drehen sie sich nochmal kollektiv im Kreis, Kämpfen mit Sonne, Nasenschatten, Hintergrund, HAAREN und Sonnenbrille. Das optimale Gruppenselfie aus dem Urlaub soll es werden.
Ich will das fotografieren. Ich muss sie fotografieren! Aber einfach knipsen ist doof. Macht man nicht. Ich sollte schon fragen. Aber ich könnte ihr Vater sein und fremde Männer im Vateralter sind EKLIG. Ich höre noch die Mädels aus meiner Klasse früher über Männer im Vateralter reden: „Da war so‘n ekliger alter Mann ...“ Egal. Ich muss es tun. Sei‘s drum. Ich setze mein unekligstes Lächeln auf, trete näher und sage laut und deutlich: „Mädels, ihr seht gerade so herrlich aus – ich muss euch mal fotografieren!“ Zücke langsam und bedeutungsvoll meine Kamera und drücke ab. Und sie? Haben endlich die richtige Position gefunden, machen ihr Selfie und gehen lachend weiter. SIE HABEN MICH NICHT BEMERKT. Ich habe offenbar meine eklig-Zeit bereits hinter mir und bin nun unsichtbar für immer. Auch gut! Dann kann ich mir das mit dem Unterwäsche-Wechseln endlich sparen und der Hosenstall kann auch mal offen bleiben. Spielt keine Rolle mehr.