
© Majestic - Christine Schroeder
Mittagsstunde
"Ich fänd‘ es cool, wenn der Krug im Dorf wieder aufmacht, als einen Ort, um etwas zu besprechen": Charly Hübner
Herr Hübner, wie sehr gleichen sich das Platt des Filmes und das Ostniederdeutsch Ihrer Heimat?
Wir in Mecklenburg haben ein anderes Platt, was ich schon von meinem Großvater kenne. Das ist anders als das, was ich von meiner Tante aus Hiddensee kannte. Das Friesisch, was wir im Film gesprochen haben, hat uns Dörte Hansen vorgelesen und nahegebracht. Zum Teil habe ich manches wirklich nicht verstanden. Das Tolle an diesen platt- und niederdeutschen Sprachen ist, dass du ganz viel über emotionale Klänge kommunizierst. Es hat mir großen Spaß gemacht, das zu spielen.
Im Film hilft Ihre Figur Ingwer seinen Eltern bei ihren Verrichtungen. Wie geht man an solche intimen Szenen heran?
Hier ist das große Glück natürlich, mit zwei fantastischen Kollegen zusammenzuarbeiten: Mit Hildegard Schmahl und Peter Franke. Die sind im wahrsten Sinne des Wortes extrem jung geblieben und sind beide einfach Spielkinder. Da spielt das dann keine Rolle. Es ist, als ob man das gar nicht macht. Man sucht spielerische Lösungen. Mit den beiden ist das einfach großartig, das sind so tolle Schauspieler. Das ist ein Fest gewesen. Wir haben versucht, dem nachzuspüren, was Dörte Hansen im Buch untersucht hat. Da wird ja eh mit Tricks gearbeitet. Aber es ist für mich in dem Sinne gar nicht peinlich oder seltsam berührend gewesen, dass ich dem Peter den Rücken waschen musste. Und wenn die Großmutter inkontinent ist, dann ist das eben so und man hilft ihr. (lacht)
Beklagen Sie den Verlust dieser damaligen Kultur des Zwischenmenschlichen, von dem das Buch erzählt, mit zunehmendem Alter stärker?
Ich selbst bin durch dieses Rumgewandere, das der Beruf aber auch mein Wesen mit sich brachte, immer wieder in neuen Kontexten im Austausch. Ich bekomme das in meinem Leben nicht als Verlust mit, weil bei mir immer etwas los ist. Ich kriege durch die Beobachtung meiner alten Heimat mit, dass meine Generation sich da einen eigenen Kreislauf wiederaufgebaut hat. Das ist aber meistens durch Leute passiert, die wieder zurückgekommen sind. Und was auch auffällt ist, dass es den Dorfkrug von früher – dass man nach Feierabend an den Stammtisch geht oder Ladies- und Kartenabende stattfinden – bei uns nicht mehr gibt. Ich empfinde das nicht so heftig, aber ich glaube, dass es einen großen Unterschied zu dem gibt, was Dörte Hansen und Lars Jessen aus ihrer Kindheit kennen.
Machen Sie sich schon Gedanken übers Alter?
Nein! Ich werde jetzt 50 und es ist so, wie immer im Leben: Mal schauen, was das Rätselheft mit mir vorhat. (lacht) Es kommt wie es kommt. Das Alter ist die Summe dessen, was man vorher an Lebenszeit hingelegt hat. Insofern stelle ich mich auf manches ein. (lacht)
Zu Beginn des Filmes ruft die Schlüsselfigur Marret: „Die Welt geht unter!“. Teilen Sie dieser Tage manchmal dieses Gefühl?# Ich bin dadurch geprägt, dass mein Vater Kriegskind war und es in meinem Umfeld viele Kriegskinder gab. Ich muss dann daran denken, was die hinter sich hatten, als sie 16 waren und die Städte platt waren, es kein Wasser gab und man nichts hatte. Nicht einmal die Grundversorgung. In den ersten Jahren nach dem Krieg ist man für Kartoffeln arbeiten gegangen. 100 km weg von zu Hause, um ein paar Kartoffeln und Kohle für den Winter zu bekommen. Letztens sagte jemand: „Die Anomalie sind eigentlich die letzten 30 Jahre. Und diese Unruhen, die jetzt entstehen, sind wie ein Ausgleich.“ Das hilft einem mit der inneren Sorge nicht weiter, aber ich bin nicht wirklich überrascht, dass die Sachen jetzt aufeinander knallen. Die Klimakatastrophe ist eine Ansage, die seit über 30 Jahren im Raum steht. Das gleiche gilt für die Pandemie, Viren gibt es auch schon eine ganze Weile. Dass es jetzt noch einen Krieg gibt, der so heftig und nahe ist, finde ich total grauenhaft. Aber wenn jetzt der Begriff vom „Ende der Geschichte“ auftaucht, bezweifle ich das intuitiv, weil die Geschichte kein Ende hat. Sie ist ein fortlaufender Prozess. Insofern will ich selbst das Endzeitliche von Marret nicht unterstreichen, sondern eher sagen: „Wir lernen gerade wieder, akut zu handeln, nachdem wir uns die letzten Jahre darauf verlassen konnten, dass die zivilisatorischen Grundlagen bestehen.“
Könnte das auch dazu führen, dass man wieder stärker gegenseitig auf sich Acht gibt oder erwarten Sie eher ein „Rette sich, wer kann!“?
Ich glaube, beides. Je nach Persönlichkeitsstruktur. Es wird Menschen geben, die sich zusammenschließen und in der Gruppe ihre Kraft finden, weil sie das von früher kennen oder so gepolt sind. Es gibt Leute, die sich noch mehr absetzen, um sozusagen ein Überlebensmodul anzuwerfen. Als Freiberufler ist man darauf trainiert, dass man wachsam bleiben muss. Einer meiner Kollegen sagte, als die Pandemie begann: „Ich arbeite seit 25 Jahren von Monat zu Monat. Für mich ändert sich gar nichts.“ Das meinte er nicht zynisch, sondern nur aus seiner Seele heraus. Es gibt aber auch Menschen, für die jetzt was zusammenbricht.
Ich fänd‘ es cool, wenn der Krug im Dorf wieder aufmacht, als einen Ort, um etwas zu besprechen: Wie man es schafft, dass die Gemeinde sauberes Trinkwasser hat, wie man den Strom einteilt, dass alle etwas haben. Ich glaube, als Gemeinschaft kriegt man alles hin. Hauptsache ist, dass nicht einer allein diktiert, was los ist. Das haben wir schon hinter uns. Dass die Welt eine Meinung haben soll, den speziellen Blick auf die Geschichte, einen speziellen Blick aufs Sein. Das ist die eigentliche Gefahr, die dahintersteht.
Was ist aus Ihrer elterlichen Gastwirtschaft geworden?
Das Hotel gibt es noch. Die Eltern sind schon 1980 dort raus. Das war ein Hotel, das dem Reisebüro der DDR gehörte. Es war nicht privatwirtschaftlich. Die Nachfolger betreiben das jetzt in der zweiten Generation.
Sie haben den Dienst beim „Polizeiruf“ quittiert. Fehlt Ihnen schon etwas?
Die Entscheidung ist vor vier Jahren gefallen. Dann haben wir diesen Prozess des Gehens mit den letzten vier Filmen eingeleitet. Davor liegt ja schon eine Zeit, wo man das Thema in sich bewegt hat. Insofern bin ich für mich total im Klaren. Das ist eine schauspielerische Entscheidung. So eine Figur ist ein innerer, positiver Schatten, der einen über 12 Jahre begleitet hat. Ich merke seitdem in den Arbeiten, dass die schauspielerische Seele handwerklich wieder anders agiert und die Figur mich verlassen hat, was gut ist. So ein Film wie „Mittagsstunde“ ist nochmal ein neuer Blick auf die eigene Arbeit. Mit Bukow sind wir weit gekommen. Wir haben viel ausprobiert und durften einiges herausfinden. Das ist ungewöhnlich viel gewesen. Ich finde es immer gut, wenn die Sachen auch ein Ende haben und nicht erst der eigene Tod das beendet. (lacht)
Wie geht es mit Ihrer neuen Regiearbeit „Sophia, der Tod und ich“ voran?
Wir sind seit Ende April durch mit dem Drehen und haben seitdem den Film kennengelernt. Es ist toll, wenn man merkt, dass der Film lernt, auf eigenen Füßen zu stehen. Das Buch ist das Buch und der Film ist der Film, das sind immer Transformationsprozesse. Man findet langsam heraus, wer der Film sein will. Das ist ein sehr schönes Gefühl, weil man handwerklich und assoziativ die nächsten Schritte kapiert. Das macht richtig Laune.