
© MDM, MediaStart
Anne Scheschonk & Matthias Fingerhut
Was ist „Gelbe Katze auf Schwarz“ – was bietet ihr konkret an?
Anne: GKaS ist ein Büro für Barrierefreiheit, das barrierefreie Filmfassungen, also Untertitel für Menschen mit Hörbeeinträchtigungen und Audiodeskription für Menschen mit Sehbeeinträchtigungen, anbietet. Außerdem übersetzen wir Texte unterschiedlichster Art in Leichte und Einfache Sprache (ja, da gibt es einen Unterschied!).
Matthias: Zusätzlich bieten wir natürlich auch Beratung und Konzeption von barrierefreien Wirtschaftsfilmproduktionen an, also kurz gesagt Imagefilme die jeder verstehen kann. Das trifft dann auch öfter politische oder gesellschaftliche Inhalte die bisher zu verkopft erklärt und dargestellt wurden. Auch Werbung darf wirklich jeden ansprechen.
Kurze Erklärung: Wie kam der Name zustande?
Anne: Der Name sollte Spaß machen, ein bisschen ungewöhnlich sein und sich dadurch einprägen, gleichzeitig sollte er auch schon etwas mit Barrierefreiheit zu tun haben. Und so ist die gelbe Katze auf schwarzem Grund, kurz „auf Schwarz“, schon eine Art Bildbeschreibung.
Wie habt ihr euch gefunden? Erzählt kurz von eurer Gründungsgeschichte.
Matthias: Es gibt nun schon seit einiger Zeit das New Magdeburg Cinema (NMC). Eine Gruppe filmaffiner Menschen die sich vernetzen und den Filmstandort Magdeburg und Sachsen-Anhalt stärken wollen. Und eben dort sind Anne und ich aufeinandergetroffen. Wir haben uns über viele berufliche Themen ausgetauscht und Anne hat von ihrer Idee zum Unternehmen für Barrierefreiheit erzählt. Sie fragte dann aus dem Blauen heraus, ob wir das nicht zusammen gründen wollen und nun sind wir im Jahr 2025, seit Januar offiziell eine GbR und Teilnehmer vom Mediastartjahrgang 2025.
Das NMC hat also beste Netzwerkarbeit geleistet.
Was macht ihr parallel zu Gelbe Katze… beruflich, bzw. was habt ihr vorher gemacht?
Anne: Ich habe als freie Autorin für das Fernsehen und als Dokumentarfilmerin gearbeitet, u.a. auch mit Menschen mit Behinderungen. In diesem Kontext kam immer wieder das Thema Barrieren auf und ich habe schon lange mit der Idee gespielt, irgendwann ein Büro für Barrierefreiheit zu gründen und mich dementsprechend weitergebildet. Einzelne Filmideen wie derzeit einen Kurzfilm über Nüchternheit setze ich immer noch um. In Merseburg leite ich zudem zusammen mit der Filmemacherin Andrea Rüthel eine inklusive Redaktion im Bürgerfernsehen.
Matthias: Meine aktuellen anderen Standbeine sind zwei Filmproduktionsunternehmen im Wirtschaftsfilmbereich. Da gibt es einerseits die lichtempfindlich | Filmproduktion. Das Herzprojekt existiert jetzt seit 2006 und hier sind wir vor allem für öffentliche Institutionen wie Ministerien, Hochschulen oder Vereine tätig. Wir produzieren viel in Richtung Standortmarketing für Sachsen-Anhalt oder setzen PolitikerInnen in Szene, wenn mal der Schuh drückt und eine Botschaft raus in die Welt muss. Daneben gibt es nun seit 2023 die Filmhelden. Ein aufstrebendes Unterfangen für die hiesige Privatwirtschaft. Hier wollen wir uns mehr mit lockeren und nicht immer allzu ernst gemeinten Werbefilmen behaupten und Firmen aus der Region zu mehr Reichweite verhelfen. Also im Grunde ist und bleibt Film mein Hauptlebensinhalt.
Was bedeutet Barrierefreiheit im Kontext von Medienproduktion und für euch persönlich über die rein technische Umsetzung hinaus?
Anne: Mal abgesehen davon, dass die meisten Menschen sehr gern Filme oder Serien schauen, um sich zu unterhalten und eine Höreinschränkung oder eine Sehbehinderung kein Grund sein sollte, das nicht tun zu können, dienen Medien ja in erster Linie dazu, sich zu informieren und sich zu bilden. Aber nicht alle Menschen bringen die gleichen Voraussetzungen mit. Und daher finde ich, ist es unsere gesellschaftliche Verantwortung, Informationen jeglicher Art so barrierearm wie möglich anzubieten, um möglichst viele Menschen zu erreichen.
Matthias: Das trifft vor allem auch oft das aktuelle Tagesgeschehen. Wenn wir zum Beispiel politische Botschaften nehmen. Solche Botschaften sind oft sehr konstruiert durchformuliert, dass selbst Menschen ohne Beeinträchtigung Probleme haben, alle Inhalte zu verstehen. Leichte Sprache hilft hier, die Inhalte zu filtern und besser einordnen zu können. Das sind auch wichtige Aspekte für die Landtagswahlen im kommenden Jahr in Sachsen-Anhalt. Parteiprogramme zum Beispiel lesen und verstehen können. Das inkludiert Menschen jeglichen Alters und auch Herkunft und so fördert die Barrierefreiheit schlussendlich auch die Demokratie.
Warum braucht es aus eurer Sicht eine Firma wie „Gelbe Katze auf Schwarz“ im aktuellen Film- und Medienbetrieb?
Anne: Um noch mehr Angebote barrierefrei umsetzen zu können. Der Markt ist – theoretisch – sehr groß. Wir wollen zeigen, dass Barrierefreiheit etwas ist, was nicht nur eine lästige Pflicht ist, Stichwort: Barrierefreiheitsstärkungsgesetz tritt am 28. Juni in Kraft, sondern mit der richtigen Unterstützung ein leicht umzusetzender Posten ist.
Matthias: Zuerst einmal vor allem auch um die mitteldeutsche Filmlandschaft im Raum Magdeburg zu stärken. Jedes Unternehmen aus dem medialen Bereich, welches sich in unserer Stadt niederlässt und etabliert ist eine Bereicherung für den Standort und ein Anreiz für andere Unternehmen und potentielle Investoren sich für die Region zu interessieren. Und abseits vom Wirtschaftsfaktor profitiert jedes visuelle Medium davon, wenn die Reichweite für Zuschauer erweitert wird.
Wie sieht der Entstehungsprozess einer barrierefreien Fassung bei euch aus – von der Anfrage bis zur fertigen Datei?
Anne: Wenn wir barrierefreie Filmfassungen erstellen, z.B. einen Spielfilm oder Dokumentarfilm untertiteln und beschreiben, erhalten wir zunächst den Film zur Ansicht von den Filmproduktionsfirmen. Wir beurteilen, welche Geräusche und Musiken für die Dramaturgie, also die Geschichte des Films, wichtig sind. Denn in der barrierefreien Fassung wird nicht nur der gesprochene Dialog untertitelt, sondern es werden auch alle relevanten Geräusche beschrieben, z.B. ein Knall im Hintergrund, den man nicht aus dem Bild herleiten kann. Es gibt spezielle Untertitel-Software, die wir einsetzen und über die die fertige Datei zurück an die Filmproduktionsfirma geht.
Audiodeskriptionen für sehbeeinträchtigte Menschen sind komplexer. Hier wird in „Sprechlücken“ des Films das jeweilige Bild beschrieben, sachlich und ohne zu interpretieren. Denn es geht nicht darum, die Geschichte des Films zu erklären, sondern z.B. wie die Hauptfigur aussieht, was sie anhat, wie alt sie ist, wie die Umgebung aussieht, in der sie sich bewegt und so weiter. Das Skript wird von einer blinden Person redigiert, um die AD so präzise wie möglich zu machen und eventuell aufkommende Fragezeichen gleich auszuräumen. Sehende Menschen wie ich können zwar versuchen, sich in eine blinde Person einzufühlen, aber natürlich gelingt das nur zu einem geringen Teil. Die Abnahme des Skripts durch einen Menschen mit Sehbehinderung ist für uns unabdingbar. Ist das Skript fertig, wird der Text in einem Tonstudio aufgenommen und unter die vorhandene Filmfassung gemischt.
Was unterscheidet euer Angebot von automatisierten Lösungen?
Matthias: Künstliche Intelligenz hat ihre eigenen Barrieren. Eine davon ist beispielsweise der lokale Dialekt. Hier kommt, zumindest aktuell noch, jede Automation ins Stocken und wird fehleranfällig. Also selbst wenn die KI vielleicht eine grobe Transkription erstellt hat, bedarf es immer noch eine Person zur Fehleranalyse und dann wird der Prozess wieder teurer, weil schlussendlich mehrere Arbeitsprozesse laufen müssen. Dazu kommt, dass die KI keine Emotionen hat. Sie kann nur plump beschreiben was sie entweder hört oder sieht. Viel Raum für eigene kreative Interpretationen oder Mitgefühl bleibt da nicht und so sind Automationen immer: kalt, trocken und emotionslos.
Welche Herausforderungen begegnen euch am häufigsten – technisch, kreativ oder auch strukturell?
Anne: Generell ist Barrierefreiheit das letzte, was bei einem kreativen oder medialen Projekt mitgedacht wird, und das erste, was rausfliegt, wenn es bspw. zu finanziellen Engpässen kommt. Hier braucht es ein Umdenken: Barrierefreiheit ist kein Accessoire, das man mal an- und wieder ablegt, sondern gehört zur tagtäglichen Grundausstattung. Also eher so wie Schuhe oder ein Schlüppi ;)
Gibt es ein konkretes Projekt, das euch besonders berührt oder stolz gemacht hat?
Anne: Wir hatten in letzter Zeit sehr schöne Projekte auf dem Tisch, die uns sehr berührt haben: einen Spielfilm mit Jenny Schily über die Beziehungen in einer Familie und den Umgang mit Schizophrenie, einen Dokumentarfilm über häusliche Gewalt an Frauen und einen Dokumentarfilm über Menschen in Odessa und wie sie den Ukraine-Krieg erleben und mit ihm leben. Alle Filme sind sehr eindringlich, sehr relevant und liefen zu recht auf renommierten Filmfestivals (Rotterdam, Berlinale). Alle werden auch im ZDF bzw. auf arte zu sehen zu sein, dann hoffentlich mit unseren barrierefreien Filmfassungen!
(„Im Haus meiner Eltern“ von Tim Ellrich, ZDF; „FASSADEN“ von Alina Cyranek, arte; „When Lightning Flashes Over The Sea“ von Eva Neymann, ZDF; leider habe ich noch keine Sendetermine ...)
Matthias: Ich finde die Aufnahme in das Mediastart Programm der Mitteldeutschen Medienförderung schon immens toll. Wir haben uns lange darauf vorbereitet und waren bei dem 5 Minuten Pitch im Dezember sehr nervös und danach auch sehr unsicher, ob das was werden kann. Als dann plötzlich die Zusage kam, öffnete das sehr schnell ganz andere Türen. Wir kommen viel einfacher auf Festivals, haben gute Kontakte in die Branche bekommen und erfahren durch die MDM sehr viel Unterstützung. Nun ein Teil dieser kleinen Start-Up Gruppe zu sein, macht einen schon stolz.
Wie geht ihr mit sensiblen Themen um – etwa bei der Audiodeskription von Gewaltszenen oder potenziell diskriminierender Sprache?
Anne: Die Sprache wird in der Untertitelung möglichst 1:1 übernommen. Sie ist so wie sie ist Teil eines Werks und es ist daher nicht unsere Aufgabe, Kraftausdrücke oder diskriminierende Äußerungen zu beschönigen. Sonst würden wir die Inhalte für die Menschen mit Hörbeeinträchtigungen verfälschen.
Die Bildbeschreibung von Gewaltszenen oder auch Nacktszenen ist komplizierter. Hier besteht die Gefahr, dass sie plump, voyeuristisch oder obszön wirkt. Da ist also viel Fingerspitzengefühl und sprachliche Gewandtheit gefragt. Im Team mit einer blinden Person, die möglichst auch schon Erfahrungen in der Beschreibung solcher Szenen hat, ist man da auf der sicheren Seite. Aber es bleibt anspruchsvoll.
Wie reagieren Filmschaffende oder Auftraggeber:innen auf euer Angebot – gibt es da noch viel Aufklärungsbedarf?
Anne: Filmschaffende haben die Barrierefreiheit schon auf dem Schirm, nicht zuletzt weil die meisten Filmförderanstalten sie verlangen und/ oder fördern.
Matthias: Zumal wir mit unserem Sitz in Mitteldeutschland für viele Filmproduktionen einen guten Regionaleffekt darstellen. Aber bei der Privatwirtschaft hat das Thema noch nicht wirklich Anklang gefunden. Hier drückt man sich leider noch sehr um das Thema. Einige erkennen den Nutzen darin, aber es sind aktuell noch viel zu wenig.
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) tritt am 28. Juni 2025 in Kraft: Was bedeutet das für euch und eure Branche?
Anne: Das BFSG bedeutet, dass Unternehmen mit mehr als 10 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz von mehr als 2 Millionen Euro, die digitale und elektronische Produkte oder Dienstleistungen anbieten, diese barrierefrei anbieten müssen. Generell finde ich, lohnt es sich aber, auch wenn man als Firma oder Unternehmen, noch nicht darunter fällt, darüber nachzudenken, ob man nicht bereits jetzt schon mehr in Barrierefreiheit investieren möchte. Es ist alles kein Hexenwerk und so viele Menschen profitieren davon. Und auch die gesetzlichen Vorgaben werden sich früher oder später ausweiten.
Was wünscht ihr euch für die Zukunft des barrierefreien Erzählens – in der Branche, aber auch gesellschaftlich?
Anne: Gesellschaftlich wünsche ich mir mehr real gelebte Inklusion und Gemeinschaft. Ohne die Berührungspunkte im Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderungen oder Menschen aus unterschiedlichen Kulturen oder Generationen, werden wir nicht für die unterschiedlichen Lebenswelten und Erfahrungen der Einzelnen sensibilisiert und wird es immer Diskriminierung und Segregation geben.
Matthias: Vielleicht auch einen neuen kreativen Umgang mit dem Thema, ohne dass es als dieses „Wir müssen das jetzt machen“ angesehen wird. Auch hier versuchen Grenzen zu sprengen und neue Dinge zu probieren. Natürlich muss es alles im Rahmen der Nutzbarkeit bleiben. Ich glaube aber, dass hier noch viel Potential verborgen ist. Man muss sich nur trauen.
(Das Interview führte Robert Gryczke)
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