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Der Stadtläufer
Es ist immer wieder erstaunlich, welchen Raum Banalitäten in der Lokalpresse mitunter einnehmen können, sofern sich nur ein entfernter Bezug zu Magdeburg herstellen lässt. Der „Golden Bachelor turtelt in Magdeburg“ war zu lesen, und obwohl dieses sensationelle Date bereits im letzten Herbst stattfand, besaß es noch immer genug Strahlkraft, um fast eine ganze Zeitungsseite zu füllen. Wie konnte es dazu kommen, dass ein 73 jähriger Niedersachse und seine Auserwählte,eine 62 jährige Brandenburgerin, ausgerechnet unsere Stadt für ein romantisches Treffen erwählten? Und was
ist bei dieser Begegnung geschehen? Nun, sie sind an der Elbe entlang spaziert, haben das Hundertwasserhaus besucht und waren im Kino. Es war „eine gemütliche Zeit“ und sie haben „viel zusammen gelacht“. Da schleichen sich natürlich bereits erste Misstöne in die Jubelarie, denn es könnte ja durchaus sein, dass sie über Magdeburg gelacht haben. Verstärkt wird das aufkommende Unbehagen, wenn man bedenkt, dass das Stelldichein ein Geheimes war, da es vor der Ausstrahlung des Finales stattfand und folglich niemand erfahren durfte, wem der Golden Bachelor die finale Rose überreicht hatte.
Warum hat Franz, von dem die Idee war, ausgerechnet Magdeburg für einen Ort gehalten, in dem man erfolgreich inkognito bleiben kann? Weil es hier keine reiche und blühende Medienlandschaft gibt? Weil die Straßen hier so unbelebt sind? Weil hier niemand auf Instagram oder Youtube unterwegs ist? Es ist ein Affront. Über 300.000 Menschen folgten dem Instagram-Kanal zur Sendung – und keinen einzigen davon haben sie hier in Magdeburg vermutet? Und das, obwohl sich sogar die Kaulitz-Twins in ihrem Podcast als Fans der Sendung geoutet hatten? Obwohl Bill „die Sylvia liebt“ und auch den Franz für „einen ganz Süßen“ hält?
Nach der Ausstrahlung bei der Streaming-Plattform RTL+ wurde die Sendung übrigens auch im linearen Fernsehen angeboten, wo sie allerdings bereits nach zwei von elf Folgen abgesetzt wurde, da die Einschaltquoten unter aller Sau waren. Aber das ist natürlich keine Ausrede, denn da war das Treffen in Magdeburg ja schon längst Geschichte.
Ja, wir sind schwer beleidigt worden, aber das Schicksal hat uns gerächt: die Liebe zwischen Franz und Sylvia hielt nicht. Nach insgesamt vier Treffen und ein paar Telefonaten mussten beide feststellen, dass sie einander eigentlich doch nicht lieben. Und auch wenn das Tom und Bill sehr enttäuscht hat, dürfen wir uns vielleicht mit einem ganz verwegenen Gedanken trösten: Sie haben in Magdeburg so viele echte Liebespaare auf den Straßen, an der Elbe, im Hundertwasserhaus und im Kino gesehen, sahen sich so viel leidenschaftlicher Intimität ausgesetzt, dass sie begreifen mussten, dass ihre eigene Beziehung allenfalls ein matter Abglanz davon war. Und wenn der Franz und die Sylvia sich öffentlich dazu bekennen, können wir ja vielleicht sogar als „Stadt der Liebe“ durchstarten.