
Der Stadtläufer
Die Katze ist aus dem Sack: Magdeburg bewirbt sich mit dem Motto „Out of the void!“ um den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt 2025. Unter vermeintlicher Bezugnahme auf Otto von Guericke und weil das Motiv des Vakuums in Gesprächen mit den Bürgern und bei der Recherche immer wieder aufgetaucht sei, habe man sich entschieden, die Leere zum Motto zu erheben, weil in ihr eine Kraft schlummere, die nicht einmal 16 Pferde besiegen könnten – und weil dieselbe Kraft auch in den vielen Freiräumen unserer so oft zerstörten Stadt schlummere, die nun mit kreativen Angeboten ausgefüllt werden sollen.
Das ist einerseits grober semantischer Unfug, denn wenn man die Freiräume wirklich ausfüllen will, müsste das Motto schließlich „Into the void!“ heißen. Aber es stimmt auch als poetisches Bild nicht. Eine solche Metapher würde einem bei jedem Seminar für kreatives Schreiben um die Ohren gehauen werden, weil sie astronomisch natürlich blanker Unsinn ist. Es ist sehr peinlich, dass die Stadt Otto von Guerickes über die Erkenntnisse ihres großen Sohnes offenbar nur wenig weiß.
Halten wir zunächst einmal fest, dass er das Vakuum weder erfunden noch entdeckt, sondern lediglich seine Existenz bewiesen und damit Aristoteles widerlegt hat. Damit war die Trennung von Himmel und Erde aufgehoben, auf dieser Grundlage definierte Newton die Gesetze der Trägheit und der Gravitation – und alle Bewegungen auf der Erde und im Himmel folgten nunmehr demselben Gesetz. Aber dieses Gesetz blieb dennoch ein göttliches, denn aus diesem Nichts, das nichts als ein Unerschaffenes sei, habe Gott ein Etwas erschaffen – nämlich die Schöpfung. Das Nichts, das von nichts enthalten wird, aber alles enthält, sei nichts als Gott selbst, der zugleich aber auch im Etwas, also der eigenen Schöpfung sei. „Jegliches Ding hat seine Stätte im Nichts“, stellte Otto von Guericke fest – jeder Fluchtversuch mit der Parole „Out of the void!“ ist also zum Scheitern verurteilt.
Betrachtet man das Motto nicht wissenschaftlich, sondern ganz naiv, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, die Mitarbeiter des Bewerbungsbüros sehnen sich danach, Magdeburg endlich verlassen zu dürfen. Auch Otto von Guericke floh schließlich an seinem Lebensabend voller Enttäuschung aus der Stadt und kehrte erst als Toter in sie zurück.
Das musste er freilich ebenso wenig erleben, wie den Umstand, dass nach dem geozentrischen alsbald auch das heliozentrische Weltbild pulverisiert wurde: unsere Erde, um die sich so lange alles gedreht hatte, ist inzwischen ein Allerweltsplanet, der um einen Mittelklassestern am Rande einer mittelmäßigen Galaxie kreist. In einem Universum, in dem es ungezählte solcher Galaxien gibt, die wie kleine Inseln in einem Ozean des Nichts schwimmen. Seit Hubble die Flucht der Galaxien entdeckt hat, wissen wir überdies, dass dieses Universum nicht unbeweglich ist, sondern sich seit dem Urknall vielmehr kontinuierlich ausdehnt. Aber wohin die Galaxien auch immer fliehen wollen – sie landen am Ende im Nichts. Es gibt kein Entrinnen.