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Der Stadtläufer
Der Dom St. Mauritius und Katharina erfüllt ohne Zweifel jeden unserer Mitbürger mit inniger Liebe und Stolz. Ganz besonders gilt dies freilich für die Mitglieder des Fördervereins des Dommuseums, die daher unlängst ein Symposium veranstalteten, auf dem sie neueste Erkenntnisse der Historiker und Archäologen zur Geschichte unseres Wahrzeichens präsentierten – gipfelnd in dem Vorschlag, auf deren Grundlage einen erneuten Vorstoß zur Aufnahme des Doms in die UNESCO-Welterbeliste zu unternehmen.
Welche der neuen Erkenntnisse darf uns Hoffnung machen, dass sich das Scheitern von 1998 nicht wiederholt? Da ist zum einen der Umstand, dass der Vorgängerbau sich vermutlich an jener Stelle befand, wo man lange die Pfalz Ottos des Großen vermutet hatte, und dass es sich sehr wahrscheinlich um einen Zentralbau und nicht, wie beim Nachfolger, um einen Längsbau gehandelt habe. Aber spräche das nicht eher dafür, den 1207 niedergebrannten Vorgängerbau zu nominieren? Und wird es wirklich etwas an der kunsthistorischen Bewertung unseres Domes ändern, dass der Neubau bereits 1207 und nicht, wie bisher vermutet, 1209 begann?
Ins Gewicht fällt für die Experten allerdings vor allem die Tatsache, dass der Neubau im Jahre 1207 noch keineswegs von der französischen Gotik beeinflusst war. Das galt zwar bislang als regionales Allgemeinwissen – man schaue sich nur mal den Chor an – aber nun stellte sich heraus, dass der Bau zunächst von anglo-normannischer Architektur geprägt sein sollte. Erst ab 1220 schwenkte man in Richtung Gotik um, und zwar im Ergebnis des zu Ende gegangenen Thronfolgekrieges, der zur Entmachtung von Kaiser Otto IV. und zur Inthronisierung des Staufers Friedrich II. führte. Es soll dieser gewesen sein, der den Stilwechsel wollte, unser legendärer Erzbischof Albrecht soll ihn lediglich unterstützt haben. Friedrich II. soll es denn auch gewesen sein, der die Überführung der Kopfreliquie des Heiligen Mauritius in unsere Stadt veranlasste. Haben wir selbst wirklich so wenig zu unserem Lieblingsbauwerk beigetragen?
Was wollen uns die Historiker noch zumuten? Dies: Mauritius, der Schutzpatron unseres Doms, der unter Kaiser Otto I. zum Reichsheiligen aufgestiegene Märtyrer, der in Form zahlreicher Standbilder derart präsent ist im Dom, hat vermutlich niemals gelebt. Er ist historisch auf das Äußerste umstritten, da es im Römischen Reich wahrscheinlich nie eine Thebäische Legion gegeben hat und es außerdem höchst unwahrscheinlich sei, dass ein Kaiser eine ganze Legion als Strafe für ihren Ungehorsam vernichtet habe. Unser heiliger Wehrdienstverweigerer nichts als eine Legende, eine Erfindung des Isaak von Genf, die Eucherius ungeprüft nachplapperte?
Wir alle werden uns von diesem Schock erst einmal erholen müssen. Und wenn wir das getan haben, müssen wir uns die Frage stellen, warum eine Neubewertung der ersten 13 von 313 Jahren Bauzeit sowie eine Entzauberung unseres Schutzpatrons unsere Chancen für eine Aufnahme in die Welterbeliste eigentlich verbessern sollten.