Mormonen sind Christen. Ihr Glauben richtet sich zum Teil nach der Bibel, vor allem aber nach Ihren eigenen Schriften, dem „Buch Mormon“, „Die köstliche Perle“ und „Lehre und Bündnisse“.
Sonntag, 11 Uhr. Wir stehen in den Räumlichkeiten der kleinen Magdeburger Gemeinde der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (HLT) mit rund 30 Mitgliedern. Hier treffen sie sich jeden Sonntag zum Gottesdienst. Dazu gehören eine Sonntagsschule und die Treffen der Hilfsvereinigungen, getrennt nach Alter und Geschlecht. Bis 12 Uhr verbringen die Mitglieder drei Stunden in der Kirche, jeden Sonntag. Niemand wird zur Teilnahme gezwungen, aber man sollte gute Gründe für eine Abwesenheit haben.
Mormonen leben nach strengen Grundsätzen. Die klassischen zehn Gebote sind nur eine Randnotiz ihrer 13 Glaubensartikel. Anders gesagt, wir treffen nicht nur wenige Mörder an, sondern auch niemanden, der raucht, Alkohol, Kaffee oder auch nur schwarzen Tee trinkt.
Nach drei Liedern und ein einigen frei gesprochenen Gebeten ist die Versammlung beendet und wir nutzen die Gelegenheit für das eine oder andere Gespräch. Dabei
lernen wir die Geschwister Jenny (14) und Mike (17) kennen.
Von ihnen erfahren wir ein wenig über den Tagesablauf der Jugendlichen in der Kirche. Von Montag bis Donnerstag werden sie noch vor Schulbeginn in den Schriften der HLT unterrichtet. Auch sonst bleibt ihnen nicht viel Freizeit. Nach der Schule erwartet sie außer Hausaufgaben und der täglichen Hausarbeit das Fußballtraining, Klavier- oder Geigenunterricht. Außerdem engagieren sie sich in den Aktivitäten ihrer Gemeinde. Jenny spielt inzwischen bei den B-Juniorinnen der Bundesliga Nord/Nordost. Ihr Sozialleben beschränkt sich vor allem auf ihre Verwandten und Kontakte innerhalb der Gemeinde. Mike wird nach seinem Schulabschluss auf Mission gehen. Er wird zwei Jahre in einem von der Kirche ausgewählten Land verbringen. Dort wird er versuchen neue Mitglieder zu gewinnen. Sonntags geht er mit den anderen Mitgliedern in die Kirche. Jeden Morgen wird er sich dem Studium der heiligen Schriften widmen. Montag darf er sich dann vom Rest der Woche erholen, Briefe an die Familie schreiben und einkaufen gehen. Es gibt aber auch schöne Seiten an der Zeit als Missionar. Zweimal im Jahr darf Mike seine Familie anrufen, zu Weihnachten und am Muttertag.
Freitagabend, Gemeindehaus der HLT in Leipzig. Hier findet der jährliche Schnee-Ball statt, eine Tanzveranstaltung, die in diesem Jahr unter dem Motto
„cool as ice“ steht. Auf den ersten Blick wirkt die Veranstaltung wie ein klassischer High-School Abschlussball, Musik, Buffet, alkoholfreier Punsch und Abendkleidung. Nach einem freundlichen Empfang mischen wir uns unter die Leute. Aber sie sind spürbar nervös. Denn der Ballabend für „junge Damen und Männer“ (18 -30 Jahre) ist praktisch die Singlebörse der Gemeinde. Entsprechend aufgeregt sind die hier Anwesenden. Manche Dinge sind überall gleich.
Die jungen Leute kommen aus der näheren Umgebung aber man trifft auch Schweizer, Schweden, Dänen, Engländer und Amerikaner. Die Musikauswahl ist modern und angenehm. Vor allem die Lautstärke ist deutlich schonender als man es von anderen Veranstaltungen gewohnt ist.
Unter den Gästen ist Rachel(23), eine verheiratete Jurastudentin, die sich in ihrer Rolle als Frau unter Patriarchen wohlfühlt. „Wenn man mit dem glücklich und zufrieden ist, was man hat, vermisst man auch nichts.“ Führungspositionen bleiben den Männern vorbehalten. Das Höchste, das eine Frau erreichen kann, ist die Heirat und vielleicht noch die wöchentliche Frauenhilfsvereinigung anzuleiten. Mit ihrem Mann ist Rachel zusammen seit sie 14 ist. Für Mormonen ist das ungewöhnlich. Die Kirche empfiehlt frühestens ab 16 eine Beziehung einzugehen. Doppeldates sind eine weitere ‚Empfehlung‘. Oberstes Ziel dabei, die ewige Ehe durch die Hochzeit im Tempel.
Rachel spricht von den Vorurteilen gegenüber den HLT und wie diese das Wesentliche ihrer Religion verdrängen. Bei allem was man Kritisches über sie hören und lesen kann, zieht sich Nächstenliebe und ihr Glauben wie ein roter Faden durch ihr Leben. Doch um sich auszuprobieren, sind die Mormonen nicht das optimale Umfeld. Zwei von Rachels Geschwistern haben das bereits festgestellt. Sie wählten einen alternativen, freieren Lebensstil. Auch der Wunsch sich von dem Druck innerhalb der Gemeinde zu befreien, führt oft zu solchen Entscheidungen. Doch bedeutet das selten den Bruch mit der Kirche. Meist bleiben sie inaktive Mitglieder der Gemeinde.
Eben diese Werte sind es aber, die manche ganz bewusst suchen und in den HLT finden. Harvey (29) kam aus England nach Berlin und begann dort sich mit verschiedenen Religionen auseinander zu setzen. Er lernte zwei Missionare der Kirche kennen. Jahre später griff er das Thema wieder auf. Er besuchte den Gottesdienst der ortsansässigen Gemeinde. Vorsichtig machte er sich ein Bild von den Mormonen und erwartete auch, von ihnen bedrängt zu werden. Als das nicht geschah, trat er an sie heran. Er ging jeden Sonntag in die Kirche und sieben Monate später ließ Harvey sich taufen.
Bei Donna und Jessica bietet sich ein völlig anderes Bild. Durchgestylt und etwas aufgedreht würde man sie nicht auf dieser Veranstaltung erwarten. Trotzdem fühlen sie sich als Mormonen wohl und nehmen ihren Glauben ernst. Sie erzählen von Eifersucht, Zickenkrieg, Liebeskummer, allem was man von dieser Altersgruppe erwarten würde. Aber sie gehen damit bewusster um. Freunde und Familie sind dafür zu wichtig. Natürlich haben sie auch ihre Sorgen. Doch die Relationen muten dabei erfrischend erwachsen an. Ihr Fokus scheint weniger auf sich selbst als auf ihren Mitmenschen zu liegen.
Leider ist das nur die eine Seite. Die HLT verbieten nicht, sie empfehlen, geben Richtlinien in ihren Broschüren vor. Aber die gut gemeinten Ratschläge haben nicht immer den gewünschten Effekt. Gerade die Vorgaben, ob richtig oder falsch, führen zu viel Kritik an dieser Religion. Die Mormonen sind in den USA die Religion mit der höchsten Selbstmordrate. Doch von solchen Argumenten lassen sie sich nicht aus der Ruhe bringen. Darauf angesprochen hört man immer wieder den Satz: Da stehe ich drüber.