© Nilz Böhme
Cornelia Crombolz
Alles blau macht die neue Spielzeit. Das lässt viel Raum zur Interpretation Frau Crombholz ... Blaumachen, blaue Stunde ...
Blauäugig gehen wir nicht in die neue Spielzeit. Die Farbe Blau steht symbolisch für unendliche Weiten, wie Geschichten, über deren eigentlichem Kern eine Metaebene schwebt. Das ist meistens bei den guten Stücken der Fall. Auch die Entwicklung der Inszenierungen ist nach der Premiere nie richtig beendet. Ich bin jemand, der es schätzt, wenn sich Vorstellungen im Laufe der Zeit in ihrer Art verändern. Natürlich nicht in den grundlegenden Fragen. Die Schauspieler können mit jeder weiteren Vorstellung immer wieder neue feine Nuancen an ihren Figuren entdecken. Das ist eine extreme Bereicherung für mich.
Was heißt das konkret für Ihre Arbeit in Magdeburg?
Die erste Spielzeit ist tatsächlich so etwas wie eine Bestandsaufnahme. Wir haben gefragt, wer sind wir, was könnte interessant sein, wo steht Magdeburg nach so vielen Jahren in der jüngeren bundesdeutschen Geschichte.Ich bin in Sachsen-Anhalt geboren und habe natürlich versucht, Stücke oder Themen zu finden, welche die Menschen interessieren könnten, wie „Der Nazi und der Friseur“, „Der zerbrochne Krug“ oder „Drei Schwestern“. Das ist es aber nicht allein, wir bringen auch andere Dinge auf den Weg, wie einen theatralen Spaziergang und ein Bürgerensemble.
Vor zwei Jahren haben Sie mit Leoš Janáčeks „Jenufa“ Ihre erste Oper in Magdeburg inszeniert, im vergangenen Jahr Shakespeares „Was ihr wollt“. Magdeburg ist Ihnen nicht fremd. Welche Impulse haben Sie dabei für Ihre Schauspieldirektion mitgenommen?
Erst einmal habe ich die Magdeburger als sehr offenes, neugieriges und empfangsbereites Publikum erlebt. Sie sind mit ihrer Geschichte beschäftigt, aber auch mit den tagtäglichen Fragen, wie „Ist das alles gerecht? War es das, wo es hingehen sollte?“ Das finde ich sehr erfrischend. Es existiert eine Wachheit gegenüber dem, was gesellschaftlich passiert. Es ist ja eigentlich kein Geheimnis, das Magdeburg eine aufstrebende Stadt ist. Erfahrungsgemäß haben wir keine Niedergeschlagenheit oder kein rückgewandtes Gucken. Die Menschen von hier sind positiv eingestellt. Das ist etwas Tolles, da hat man auch den Mut und die Lust zu sagen: „Ja, das kann man so machen.“
Unter Tobias Wellemeyer und Jan Jochymski wurde viel Gegenwartsdramatik u.a. von Neil LaBute, Nis-Momme Stockmann und Philipp Löhle gemacht. Themen, die im Heute und Hier spielen. Welche Rolle spielt das für Sie?
Wir zeigen in dieser Spielzeit die Dramatisierung von Clemens Meyers „Als wir träumten“, die sich mit der Generation beschäftigt, die bei der Wende 13/14 Jahre alt war. Wir haben mit David Gieselmanns „Über Jungs oder Bin ich Küche?“ ein Stück über Jugendliche, die kurz vor der Straffälligkeit stehen und als letzte Chance vor dem Jugendknast ein Antiaggressionstraining in Form eines Kochkurses absolvieren müssen. Ein sehr schönes Beispiel für Gegenwartsdramatik, es geht um Gewalt, Gewalt bei Jugendlichen und auch durch Jugendliche. So ein Thema darf nicht mit erhobenem Zeigefinger angegangen werden, was nicht einfach ist. Gegenwartsdramatik wird man auch bei mir auf dem Spielplan finden.
Nun fangen Sie allerdings mit einem Stück wie „Spur der Steine“ an, dessen Ursprung schon weit zurückliegt. Ende der Fünfziger Jahre, die DDR steht noch am Anfang. Noch sprühen die Menschen vor Enthusiasmus und haben Visionen. Nach einer Studie können zwei Drittel der Jugendlichen mit dem 13. August 1961 nichts mehr anfangen. Trotzdem haben Sie es an den Anfang gesetzt.
Zunächst mache ich nicht nur Theater für Jugendliche. Und gerade dann ist es doch umso interessanter, ein Angebot zu machen, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen. Wir machen ja nicht nur den historischen Stoff. Auch „Spur der Steine“ hat eine Metaebene. Es geht um Zeiten, in denen sehr positive Energien im Hinblick auf Aufbau, Visionen, Arbeit und Werte freigesetzt worden sind. Nach dem Zweiten Weltkrieg war da ja nichts. Es musste etwas Neues aufgebaut werden und dahinein wurde die ganze Lebensenergie gesetzt, um tatsächlich etwas zu bewegen. Das ist für mich erst einmal ein verlockendes Thema. Darüber hinaus hat das Stück natürlich noch mehr Facetten, wie die Asphaltcowboys.
Offenbar muss die Geschichte der DDR für Sie auch nach den zahlreichen Filmen wie „Das Leben der Anderen“, „Sonnenallee“ und „Weißensee“ noch weiter ausgedeutet werden.
Nein. Aber da kommen wir gewissermaßen her, also beispielsweise meine Generation und die Generation danach. Ich finde, es gibt da etwas, worauf man stolz sein kann.
Andere haben ja längst die Deutungshoheit über die ostdeutsche Geschichte übernommen und erklären immer wieder, wie es war. Und das wollen Sie zurückholen?
Deutungshoheit kann es nicht sein, Kritik wäre der bessere Begriff. Jede Generation muss sich die Geschichte selbst aneignen und entscheiden, was sie für wichtig hält. Offensichtlich gibt es einiges aus der Geschichte mitzunehmen, sonst wären wir nicht dort, wo wir jetzt sind, und sonst wären wir nicht die, die wir sind. Das ist auch eine Art Ortsbestimmung. Ich bin in der DDR geboren, bin dort 20 Jahre aufgewachsen. Das sind die persönlichkeitsbildenden Jahre, auch für mich eine wichtige Phase. Es geht jetzt nicht darum, ob das wieder zurückkommen soll. Es geht darum, dass in diesem Staat Leben gelebt wurden, Dinge geschaffen, die für Wert erachtet wurden. Theater ist ein guter Ort, um sich damit auseinander zu setzen.
„Spur der Steine“ gehört zu den meistgelesensten Büchern in der DDR. Es erzählt einen Teil der frühen DDR-Geschichte. Hat das eine Rolle bei der Besetzung des Stückes gespielt?
Eher weniger, eine Ostnummer ist es nicht geworden, eher andersrum. Von wegen ‚Die wissen doch, wie es war’ hätte ich uninteressant gefunden. Das schöne am Theater ist ja immer, dass die Stücke als Stoffe zur Weltentdeckung behandelt werden. Keiner meiner Schauspieler hat gesagt, „Oh Gott – ‚Spur der Steine‘, über die DDR weiß ich doch nichts.“ Sie waren neugierig auf die Thematik und auf alles, was damit zusammenhängt. Gerade das finde ich gut. Wir sind doch gerade in einem Prozess, wo die Ereignisse und das Leben in der DDR zur Geschichte werden. Das merkt man auch daran, dass sämtliche Filmfirmen zur Zeit Filme dazu produzieren. Meine Ausstatterin erzählte mir, dass es nahezu unmöglich ist, rund um Berlin irgendwelche Stühle, Sessel oder auch Lampen aus der DDR-Zeit zu bekommen. Das ist allerdings auch ein logischer Prozess, sich nach einiger Zeit der Geschichte von einer anderen Seite zu nähern und daraus eine Erkenntnis zu ziehen. Dafür sind wir am Theater am richtigen Ort und genau deswegen fangen wir gleich mit Erik Neutschs „Spur der Steine“ an.
Spur der Steine, Premiere 26. September, 19.30 Uhr, Schauspielhaus/Bühne