
© Kerstin Schomburg
Hamletmaschine
Theater versteht sich (oft) als politisches Medium, das auf seine Weise dazu beiträgt, die Gesellschaft zu formen. Das Dilemma: Große Häuser mit vielen Mitarbeitenden und enggestrickten Spielplänen erfordern lange Planungshorizonte. Spontaneität will da gut überlegt sein. In Magdeburg aber herrscht die luxuriöse Situation, dass die dreiköpfige Schauspielleitung auch direkt in die künstlerische Produktion involviert ist. Regisseurin Clara Weyde etwa, die im Januar planmäßig Sartres „Das Spiel ist aus“ inszeniert hätte, konnte in Reaktion auf jenen historischen 6. November 2024, an dem die haarsträubende US-Wahl mit dem den Zerfall der deutschen Regierung zusammentraf, spontan umschwenken auf das „Stück des Tages“: Heiner Müllers „Hamletmaschine“.
Müller, Verfechter der großen Idee des Sozialismus, verarbeitete in diesem 1977 entstandenen Text auf sehr persönliche Weise den Untergang seiner Utopie. In zahlreichen Anspielungen auf Shakespeares weltbekannte tragische Figuren, die ihrerseits an einer „aus den Fugen“ geratenen Welt zerbrechen, skizziert er eine Gegenwart, die aller Sicherheiten beraubt ist. Der Rest ist Zweifel. Heute ist alles ganz anders – aber leider nicht weniger zweifelhaft. „Welche Utopien haben wir noch“, fragt Clara Weyde, jetzt, da selbst die Demokratie ihre eigenen Antagonisten hervorzubringen scheint? „Ich kenne keinen Text, der das Fehlen einer Utopie so eindringlich einfängt“, sagt Weyde. „Als Künstler müssen wir uns gerade die Frage stellen: Wie sinnlos ist das, was wir machen, auf einer Skala von 1 bis 10 eigentlich? Die Spielplanänderung wirkte für uns wie ein Befreiungsschlag.“
Das gesamte Inszenierungsteam zog mit: Das ursprünglich geplante Bühnenbild wird zum Ex-Wahllokal als „Lost Place der Demokratie“ umgedeutet, die für die „Hamletmaschine“ ungewöhnlich große Besetzung von 10 Spielenden birgt gänzlich neue Optionen, der Text hat auf den Proben „alle inspiriert und ungeahnte Energien freisetzt“. „Die Proben gleichen einer einzigen Schatzsuche“. Dabei ist diese offene Arbeitsweise für Clara Weyde eine ganz neue Herausforderung: „Meine Arbeiten sind meist geschlossene Welten. Bei Heiner Müller dagegen ist gerade das Brüchige wichtig.“ Gemeinsam erarbeitet das Ensemble eine Art Collage – inklusive dadaistischen Elementen, Songs und Choreografien. Mit dem Bewusstsein, genau das richtige Stück zur richtigen Zeit gefunden zu haben. Trotz und wegen aller Zweifel.

© Engelhardt
Schauspielhaus/Theater Magdeburg
Otto-von-Guericke-Straße 64, 39104 Magdeburg
Theaterkasse: eine Stunde vor Vorstellungsbeginn