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Lucy im Landeflug
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Wie Adam und Eva
Retortenmann Rocky (Sebastian Smulders) hat seine Unschuld abgelegt und will Janet Weiss. (Michéle Fichtner)
Das gab's bisher nur einmal in der bisherigen Geschichte des Magdeburger DomplatzOpenAirs: Eine Wiederaufnahme. Erinnern wir uns an Titanic, das war noch ganz am Anfang, anno 2008. Dann kamen Evita, das Biest und Jean Valjean - nun also Frank'n'Furter und sein Retortenmensch Rocky. Seit Mitte Juni sind die Aliens zurück und verwandeln den Domplatz erneut in ein abgedrehtes, unterhaltsames Happening ohne Happy End. Die künstlerische Leitung der Wiederaufnahme übernahm in diesem Jahr Dramaturg Thomas Schmidt Ehrenberg.
Die Rocky Horror Show ist Kult. Seit der Londonder Uraufführung 1973 in einem winzigen Theater trat das abdrehte Musical mit seinen Gruselschloss voller Aliens, Monstern und Freaks seinen Rock 'n' Roll Siegeszug auf der ganzen Welt an. Natürlich mit Konfetti, Reis & Strapsen - ein Mitmachritus, der sich im Schatten der Verfilmung des Musicals von 1974 herausgebildet hat und natürlich auch auf dem Magdeburger Domplatz seine Freunde hat.
Nun kann man bei einer Wiederaufnahme nicht viel anders machen - das wollen die Fans natürlich auch nicht. Man will schließlich diese Inszenierung von Ullrich Wiggers sehen, von der man im vergangenen Jahr so begeistert war oder mindestens von ihr gehört hat. Und doch, es gibt sie, neue Impulse, die einer in sich geschlossenen Inszenierung anderen Drive geben: Die Darsteller. "Wie erfrischend - neue Gesichter", besser als Frank 'n' Furter kann man es wohl nicht ausdrücken. Janet Weiss, Brad Majors, Rocky und ja erst erst Magenta- all sie sind mit neuen Gesichtern gespickt.
Weniger ist manchmal mehr
Von einer wurde im Vorfeld ganz besonders häufig gesprochen: Lucy Diakovska. Kein Wunder, ist sie doch ehemaliges Mitglied der ersten Castingband Deutschlands, den No Angels. Die Zeit liegt hinter ihr. Ladys Run, Solosongs, Musicalgastspiele - sie ist an anderer Stelle sehr präsent. Wir wissen, sie hat Entertainer-Qualitäten, kann mit ihrer wilden, ehrlichen Art das Publikum für sich einnehmen. Das gelingt ihr auch als Magenta, in der Nachfolge von Musicaldarstellerin Lucy Scherer. Auch gesanglich steht sie ihr in nichts nach, man möchte sogar sagen, dass ihre Stimme mit dem Rock 'n' Roll von O'Brian noch besser harmoniert, wie bei "Science Fiction/ Double Feauture". Und doch sind da diese Momente, Szenen, in denen es besser gewesen wäre, sie hätte ihre Energie gezügelt. Es ist eine andere Magenta, eine zu heftig zuckende - wenn sie ihrem Leben auf der Erde überdrüssig wird. Neben der ruhigen Ausstrahlung von Marlon Wehmeier als Riff Raff wirkt sie manchmal viel zu überdreht, vollgepumpt mit den Eindrücken, die ihre Figur nicht mehr verarbeiten kann. Weniger wäre da sicher mehr gewesen.
Janet hat die Hosen an
Es hätten zwei Engel werden sollen, Sandy Mölling musste kurzfristig absagen. Stattdessen spielen zwei erfahrene Musicaldarstellerinnen an verschiedenen Tagen die Rolle der Janet Weiss: Michéle Fichtner und Lisa Kolada. Eine Rolle, zwei unterschiedliche Typen - die unter der Anleitung von Wiggers und Schmidt-Ehrenberg ihre Janet entdeckt haben. Keinesfall überzeichnet. Davon konnte man sich bei Lisa Koladas Premiere überzeugen. Ihre Janet ist eine starke Frau, die neben ihrem Verlobten Brad Majors keineswegs, wie ein graues Mäuschen wirkt. Sie hat die Situation unter Kontrolle, wenn nicht gerade der Reifen platzt und ein Gewitter losbricht. Wild mit ihren Händen rumfuchtelnd sieht man sie nicht. Gerade das macht Koladas Darstellung auch so authentisch, wenn Janet die Angst vor dem gruseligen Schloss und seine Monstern ins Gesicht geschrieben steht.
Authentisch und gut
An ihrer Seite Jonas Hein als Brad Majors. Ihm gelingt es die Messlatte für Brad noch höher zu setzen. Klar, die Figuren der Rocky Horror Show sind alle irgendwie überzeichnet. Brad Majors ist der etwas tollpatschige, zerstreute Verlobte von Janet. Da ist die Grenze fließend zwischen Slapstick und authentischer Darstellung. Lässt du dich einmal zu oft auf den Boden fallen, wirkt es albern. Das macht Hein nicht. Ja, sein Brad ist irgendwie trottelig -als er gestehen muss, dass er den Ersatzreifen des Autos nicht mit eingepackt hat und aus dem Auto fällt. Das passt, der Zuschauer glaubt Hein. Er legt es nicht auf Witz komm heraus an, seine Figur ist einfach so. Trotzdem es fehlt etwas, was zum Beispiel das mit klarer und gefühlvoller Stimme gesungene "Once in a While" von Hein trübt. Brad hat Janet mit Rocky erwischt, er hat sie mit Frank 'n' Furter betrogen. Zwischen dem Paar hat sich etwas verändert, sie haben sich auseinandergelebt. Und doch: trotz größtmöglichem Gefühl wird diese Wehmut über die Situation nicht transportiert. Vielleicht ist es auch die Harmonie, die sich nicht zwischen Brad und Janet entladen will.
Festhalten kann man: Es lohnt sich nochmal einen Blick auf die neuen Gesichter der Rocky Horror Show zu werfen. Sie bringen sich mit ihren individuellen Fähigkeiten anders als ihre Vorgänger in das Stück ein. Wiggers Idee, die Show als Happening von jungen Leuten zu inszenieren, ist geblieben. Dominik Hees sprüht als Frank 'n' Furter auch in diesem Jahr wieder voller Energie, animiert das Publikum. Das lässt sich selbst von einem Regenschauer nicht die Mitmachlaune verderben.