
© Constantin Film Verleih GmbH / Jürgen Olczyk
Nackte Tatsachen: Moritz Bleibtreu, Jürgen Vogel und Wotan Wilke Möhring in „Caveman“
Seit Beginn des neuen Jahrtausends ist das erfolgreiche Broadway-Stück „Defending the Caveman“ über den Höhlenmenschen im modernen Mann unter dem Titel „Caveman“ auch auf deutschen Bühnen präsent und hat ein Millionenpublikum erreicht. Nun hat Laura Lackmann den Stoff fürs Kino adaptiert (Start: 26. Januar). Neben Moritz Bleibtreu in der Titelrolle brilliert Wotan Wilke Möhring (55) als dessen bester Freund Hoffmann. Ein Gespräch.
Herr Möhring, das Stück „Caveman“ ist dreißig Jahre alt. Das spricht für die Zeitlosigkeit der Themen. Haben auch Sie sich im Drehbuch wiedererkannt?
Ja, natürlich. Lustigerweise aber eher weniger in meiner Figur, sondern in der Grundproblematik des ständigen Missverständnisses, die einfach zeitlos ist und uns so lange begleiten wird, wie es Männer und Frauen bzw. die Einteilung in weiblich und männlich geben wird. Das ist einfach eines der großen Mysterien, der zum Glück ungelösten Rätsel und eines der großen Geheimnisse, die aber auch die Attraktion der jeweiligen anderen Seite ausmachen: Dass man die andere Seite nicht versteht oder nicht weiß, wie man etwas richtig machen soll. Wobei die Frage ist, ob man überhaupt etwas richtig machen kann.
In welchen Momenten spüren Sie den Caveman in sich?
Der Caveman steht für die archaische Seite des Männlichen. Das fängt schon dabei an, ob ich noch die Tür aufmachen darf oder nicht? Muss ich sie zum Essen einladen, darf ich oder nicht? Ist das schon übergriffig? Wer ist der Ernährer, wer holt die Ernte vom Feld oder wer erlegt – im übertragenen Sinne – das Wild? Gehe ich morgens mit Aktenkoffer raus oder ist es okay, wenn meine Frau mit Aktenkoffer rausgeht? Bin ich dann gar kein Mann mehr? Solche Sachen. Das ist in meinem Beruf und in meinem Leben ein bisschen anders.
Inwiefern?
Für mich ist z.B. die schönste Zeit die, die ich mit meinen Kindern verbringen kann. Das ist bestimmt nicht typisch Caveman. Deswegen bin ich bestimmt nicht einer, der besonders archaisch auf die Cavemen hört, im Gegenteil. Für mich gibt es gar nicht diese Unterschiede. Jeder hat mehr oder weniger als weiblich und männlich gelesene Attribute. Allerdings ist mir nach wie vor ein Rätsel, dass es anscheinend keine Gleichwertigkeit gibt. Das gilt nicht nur für das Geschlecht, das gilt für Hautfarbe, das gilt für Herkunft, das gilt für alles. Für mich sind alle Menschen gleich, das war für mich nie eine Frage.
Achten Sie heute besonders darauf, sich möglichst unverfänglich auszudrücken?
Was bedeutet unverfänglich? Nicht erst seit heute bin ich bestrebt, mein Gegenüber weder zu verletzen noch zu diskriminieren. Und trotzdem das, was ich sagen will, verständlich rüber zu bringen.
Veränderungen im Miteinander im Zuge von #metoo waren längst überfällig. Aber ist damit auch ein Stück Leichtigkeit im Umgang miteinander auf der Strecke geblieben, zum Beispiel am Set?
Das kann ich so gar nicht sagen. Ich glaube, dass das, was bestimmte Männer als Leichtigkeit empfanden, eben nur für sie Leichtigkeit war. Nur, weil wir solche Umgangsformen gewohnt waren, bedeutet das nicht, dass sie angemessen sind. Das kann man schon mal hinterfragen, das finde ich okay. „Du siehst heute aber schick aus“, würde man nicht zu einem Typen sagen. Warum eigentlich nicht? Deswegen bedeutet das ja mehr als: „Ich wollte doch nur mal ein Kompliment machen.“ Das kann eine Reduzierung auf etwas Äußeres sein. Das kann ich schon nachvollziehen. Wenn man es nur zu einem Geschlecht sagen würde, dann ist es geschlechtsbezogen und man muss sich überlegen, ob das noch adäquat ist. Das sollten wir im Alltag an unsere Kinder weitergeben.
Im Film heißt es, dass wir uns von den Ansichten der Väter befreien müssen, wenn wir uns weiterentwickeln möchten. Steckt in Ihnen noch der Anarchist von früher oder sind Ihnen mit den Jahren konservative Werte wichtiger geworden?
Nein, sogenannte konservative Werte sind mir nach wie vor suspekt. Ich habe drei Kinder und weiß, dass Orientierung nach wie vor wichtig ist. Orientierung bedeutet aber nicht, dass ich Schubladendenken übernehmen muss. Es ist immer gut zu hinterfragen. Die Frage nach dem Warum bleibt die wichtigste Frage.
Sind Sie für Quoten in allen möglichen Bereichen des Lebens?
Eine Quote als Grund und Ansatz ist nicht schlecht, um in die berufliche Gleichberechtigung reinzukommen. Letztendlich sollten Geschlecht und Hautfarbe aber nicht allein entscheiden.
Hoffmann kleidet sich sehr speziell. Würde man ihn politisch korrekt als Crossdresser bezeichnen?
Nein, er ist so, wie man eigentlich sein sollte – nämlich frei. Hoffmann unterwirft sich keinen Mustern, sondern kleidet sich so, wie er Lust hat. Ob das jemanden passt oder nicht, ob das feminin ist oder maskulin, das sind nicht seine Kriterien. Es ist sein persönlicher Stil ohne jegliche Filter, die von außen an ihn herangetragen werden. Deswegen ist Hoffmann eigentlich der Befreiteste von allen.
Was machen Sie nach einem Scheißtag, um runterzukommen?
Huch, das ist aber ein schneller Wechsel. Das, was wir alle machen. Ich versuche die freie Zeit zu genießen. Am liebsten mit meinen Kindern. Und wenn wir dann erkennen, wir haben ein Dach über dem Kopf, der Kühlschrank ist nicht ganz leer, wir haben etwas zu essen, wir haben eine Gesundheitsversorgung. Dann ist der Tag nicht mehr ganz so scheiße. Man sollte öfter auf das schauen, was man hat, und nicht auf das, was man nicht hat. Das macht einen auf Dauer glücklicher.
Fällt es Ihnen schwer, Ihre wahren Gefühle zu zeigen?
Nein, überhaupt nicht.
Kann Sie ein Film zum Weinen bringen?
Natürlich, ich brauche noch nicht mal einen Film. Zum Handwerk eines Schauspielers zählt es ja, durchlässig zu sein. Ich kann ja ganz viel ausprobieren, was ich im Alltag vielleicht nicht ausprobieren könnte, auch wenn ich physisch dieselbe Person bin, die ich auch im Alltag bin. Aber ich bin privat schon jemand, der sich bei Konflikten zu Wort meldet und der das sofort geklärt wissen möchte. Ich möchte wissen, ob ich etwas missverstanden habe oder nicht. Ich bin da schon relativ direkt. Ich glaube, je direkter man etwas weitergibt, umso klarer wird das auch für die Anderen. Wem ist geholfen, wenn ich so tue, als würde mir etwas gefallen, obwohl es mir gar nicht gefällt? Im Endeffekt merkt man doch, dass es mir nicht gefällt. Wenn man allerdings dabei über das Ziel hinausschießt, weil man so direkt ist, dann muss man sich auch entschuldigen können. Was wir in der Kommunikation immer versäumen, ist zu fragen: „Wie hast du das gemeint? Hast du das so und so gemeint?“ Das würde viele Konflikte vermeiden.
Gehen Sie auch ins Fußballstadion, um – wie es im Film heißt - Ihre „Gefühle abzumelken“?
Wenn Sie mit Abmelken meinen, den Gefühlen freien Lauf zu lassen, dann ja. Was ich auch gut finde. Ich finde es gut, wenn es mal laut und mal leise wird und nicht nur medium. Ich finde alles gut, was uns ausmacht. Wir haben alle das gesamte Spektrum. Für mich ist aber vor allem toll, und ja, berührend, zu sehen, wie Menschen die im Alltag getrennt sind durch diese Leidenschaft verbunden werden. Da stehen der Bankdirektor und der Kassierer bei Lidl in derselben Kurve und jubeln. Das ist super. Wir sollten nicht nur nach dem suchen, was uns trennt, sondern auch nach dem, was uns verbindet. Das geschieht viel zu wenig.
Moritz Bleibtreu, Jürgen Vogel und Sie sind das Trio Infernale des deutschen Kinos. Sind Sie „nur“ Kollegen oder auch Freunde?
Ich bin mit beiden gut befreundet, schon seit langer Zeit. Das erleichtert natürlich die Dreharbeiten. Man sieht sich viel zu selten, deswegen ist so ein Wiedersehen am Set jedes Mal wieder ein Geschenk. Dieser Film hat sehr viel Spaß gemacht.
Zum Film:
Bobby Müller träumt von einer Karriere als Stand Up-Comedian. Aber als der drittklassige Autoverkäufer seine große Chance bekommt und an das offene Mikrofon des lokalen Comedy-Clubs gelassen wird, ist ihm der Humor abhandengekommen, weil ihm seine Frau Claudia eben den Laufpass gegeben hat. Dabei hatte er doch die schöne Geschichte vom Caveman auf Lager, einem Höhlenmenschen und Fantasiefreund, der ihm seit einiger Zeit immer wieder erscheint. Vom ihm lernt Bobby, wie Männer und Frauen im gegenseitigen Miteinander wirklich ticken und wie die Frühgeschichte bis heute die Gedanken und Gefühle der Menschen beeinflusst. Bobby ändert sein Programm ...