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Der „Mann mit den vergessenen Eigenschaften": Albrecht Schuch
Herr Schuch, zu welchem Zeitpunkt hat Regisseur Bernhard Wenger Sie gekriegt?
Er hat mich mit seinem Buch eingefangen, das so differenziert, so minutiös und so genau beobachtet hat, dass meine erste Reaktion war: „Man, diesen Film würde ich gerne als Zuschauer sehen!“ Dann habe ich kapiert, dass ich nichts von diesem Hauptcharakter Matthias verstanden habe. Ich brauchte unbedingt ein Arbeitstreffen, um zu schauen, ob ich etwas davon begreife. Das erste Treffen hat nur zu noch mehr Fragezeichen geführt. Was bedeutet es, keine Emotionen, keine Haltung gegenüber Dingen zu haben? Ist das Nichts wirklich nichts? Oder war da mal etwas, das minutiös und über Jahre hinweg immer weiter weggedrückt wurde? Der Kontakt zu diesen Dingen, zu Emotionen, zu der eigenen Persönlichkeit, zu eigenen Bedürfnissen wurde einfach bei Matthias abgeschnitten. Aber was heißt das dann? Und wie stellt man das her? Das waren Fragestellungen, die mir als Spieler so noch nicht untergekommen sind. Mir ist aufgefallen, dass ich immer Rollen gespielt habe, die eine klare Haltung hatten, die auch mal etwas passiver, feiner und zurückhaltender, aber trotzdem nicht so ein unbeschriebenes Blatt waren. Das waren keine People Pleaser. Die haben sich nie über ihren Beruf verloren, zumindest nicht so sehr, wie es dieser Matthias getan hat.
Ist Matthias der Mann ohne Eigenschaften?
Oder der Mann mit den vergessenen Eigenschaften.
Matthias sieht in seinem Job nicht so sehr Schauspielerei, sondern eher etwas Zwischenmenschliches. Dabei ist es doch gerade das, was ihm abgeht, oder?
Da sieht man, wie weit seine Wahrnehmung schon quer liegt. Wenn diese Begegnungen als persönlich gewertet werden, dann kann man sich vorstellen, in welcher Schieflage sein Privatleben ist. Wenn das als persönliche Begegnung wahrgenommen wird, obwohl es eine gespielte, künstliche Situation ist, dann ist es nur ein weiteres Indiz dafür, dass es diesem Menschen nicht gut geht. Dass er irgendetwas komplett verdreht und verwechselt.
Sehen Sie uns auf dem Weg in eine Gesellschaft, in der man sich alles kaufen kann oder muss, weil die sozialen Strukturen sich zunehmend auflösen?
Nein, da sehe ich uns nicht. Ich habe Hoffnung, dass wir vorher noch irgendwie die Kurve kriegen. Es gibt viele Orte in der Gesellschaft, wo das noch hochgehalten wird. Es sind dann vor allen Dingen die Orte, wo das kapitalistische Prinzip nicht wichtiger ist als die persönlichen Verbindungen oder wo zumindest ein Bewusstsein darüber herrscht. Es ist wichtig, dass man sich verwirklicht, auch wenn man natürlich Geld mit nach Hause bringen und sich ein bisschen Lebensstandard erarbeiten möchte. Wir müssen diese Orte weiter als entscheidend und wichtig begreifen. Alle Orte, die Gemeinschaft und Unterschiede zulassen und die für Diskurs stehen, müssen weiter in den Mittelpunkt der Wahrnehmung gerückt werden. Und somit auch als wichtig erachtet und finanziert werden. Dann haben wir diese entscheidenden Pfeiler, die es braucht, um auch die nötigen Fragen zu stellen.
Können Sie Job und Privatleben sehr gut trennen und nach einem Drehtag schnell abschalten?
Das ist mir früher nicht so gut gelungen, aber mittlerweile kann ich das ganz gut. Trotzdem gibt es Phasen – kurz vor dem Dreh zum Beispiel – wo ich wahrscheinlich vor Aufregung schneller reizbar bin. Da ist mein Nervenkostüm nicht auf Vordermann oder ich bin sensibler. Wenn es darum geht, mit den Rollen abzuschließen, habe ich diese Arbeit in den letzten zehn Jahren für mich selbst immer weitergeführt. Diesen Werkzeugkasten bestücke ich immer weiter, weil unterschiedliche Rollen auch unterschiedliche Rituale brauchen, um diese Rollen wieder ad acta zu legen.
Gibt es trotzdem Figuren, die etwas in einem hinterlassen?
Wenn man sich eine lange Zeit mit den inneren Zuständen eines Menschen beschäftigt, dann macht das etwas mit deiner Stimmung, mit der Art, wie du die Welt siehst, was du wahrnimmst, umdichtest und was du ausblendest. Wenn ich dann eine bestimmte Zeit damit verbringe, hat das auch mitunter Auswirkungen auf meine eigenen Emotionen. Und wenn ich mir dessen bewusst bin und das wieder auseinanderpuzzle, dann macht mir das auch weiterhin sehr viel Spaß. Ich habe mit der Zeit verschiedenen Mechanismen, Rituale und Bewusstsein dafür entwickelt und natürlich bin ich mittlerweile auch erfahrener und habe weiterhin Lust, mich komplexeren und abgründigeren Rollen zu nähern. Aber ich habe vor allen Dingen Lust auf Komödien.
Sie genießen es, in Filmen wie „15 Jahre“ oder „Pfau“ eine andere, leichtere Seite zu zeigen?
Voll. Ich fand „15 Jahre“ nicht so leicht, mit Betonung auf meiner leichteren Seite. (lacht) Aber auch „Pfau“ war alles andere als leicht in der Herstellung. Ich habe Lust, in dieser Richtung weiterzumachen. Da freue ich mich auf alles, was noch kommt.
Könnte Matthias Ihr Freund sein?
Ich glaube, wir hätten Schwierigkeiten (lacht).
Fällt es Ihnen schwer, nackt vor die Kamera zu treten?
Nein, das geht. Man ist ja durch verschiedene Sachen geschützt. Wenn es für die richtige Sache ist und es Sinn ergibt, dann ja. In „Pfau“ ergibt es einfach Sinn, weil es um verschiedene Formen von Nacktheit geht. Sich zeigen, sich verletzbar zu machen. Es ist unterschiedlicher Art und dann habe ich auch kein Problem damit. Aber wenn man es einfach nur macht, weil vielleicht ein ökonomisch-kapitalistisches Ziel verfolgt wird, um mit dem Film das und das zu generieren, dann finde ich es immer etwas fragwürdig.
Die entsprechende Szene erinnert an „The Square“ von Ruben Östlund. Haben Sie mit Herrn Wenger über diese Parallele gesprochen?
Das ist definitiv eine Anlehnung, absolut. Natürlich haben wir über diesen Filmemacher gesprochen und auch über Giorgos Lanthimos. Das sind zwei unserer großen Einflüsse. Generell, aber auch speziell für diesen Film.
Hat der große, auch internationale Erfolg von „Systemsprenger“ und „Im Westen nichts Neues“ dazu geführt, dass Sie viele Angebote aus dem Ausland bekommen?
Ja, das merke ich, aber das ist erstmal von der Wahrnehmung her kein großer Unterschied zu dem, was ich hier mache. Auch da schaue ich, ob ich etwas damit anfangen kann, ob es mir gefällt, ob ich mich da sehe, ob ich auf Menschen treffe, mit denen ich gemeinsam eine Vision entwickeln kann oder deren Vision ich gerne folge.
Was macht Ihnen Spaß an Ihrem Beruf, welche Momente bereiten Ihnen Freude?
Das ist ganz unterschiedlicher Art. Erstmal nur für mich gesprochen: Ich darf rumtoben, spielen und ausprobieren. Ich darf viel singen, ich darf viel tanzen. Alles Sachen, die mich glücklich machen. Dann macht mich auch glücklich, dass ich aus meinem Gewohnten rauskomme, indem ich teilweise Menschen treffe, die nichts mit meinem persönlichen und privaten Umfeld zu tun haben, die nichts mit den Blasen, in denen ich mich bewege, zu tun haben und die mir eine Einsicht oder einen Einblick in ihre Welt geben. Es macht mir Spaß, dass ich dadurch meinen Horizont erweitere. Ich werde mit meinen eigenen Vorurteilen konfrontiert und merke, wo es einerseits Unterschiede gibt, aber wo es vor allen Dingen auch Gemeinsamkeiten gibt. Und die sind immer da – egal, was es für Menschen sind. Das ist auch manchmal eine schmerzvolle, eine traurige, aber am Ende auch eine heilende Erfahrung: Dass wir alle Gemeinsamkeiten haben. Bei uns werden viel zu viel die Unterschiede groß gemacht, wenn es um unser Miteinander geht. Die Unterschiede zuzulassen und zu akzeptieren, ist auch Teil einer gesunden Gesellschaft.
Haben Sie dem Theater abgeschworen?
Nein, auf keinen Fall. Ich liebe das Theater. Ich bin auch regelmäßig im Theater. Das ist einer der schönsten Orte in allen Bereichen, im Tanz, in der Performance oder im Spiel. Ich habe es jetzt lange nicht mehr gemacht, aber das heißt nicht, dass ich es nicht mehr mache.
Sie sind als Sohn eines Psychiaters aufgewachsen. Haben Sie mit ihm über Figuren gesprochen?
Ich habe das mal mit meinem Vater gemacht, aber um das Berufliche und Private zu trennen, mache ich das mittlerweile mit anderen.
Was steht in diesem Jahr für Sie auf den Plan?
Verschiedenes. Jetzt drehe ich erstmal noch mit Idris Elba die Fortsetzung von „Hijack“ fertig.