Christian, kanntest Du zuvor die Geschichte des Georg Elser?
Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich bis dahin noch nichts gehört hatte, nicht einmal im Geschichtsunterricht. Ich wusste nur, dass es ein Attentat im Bürgerbräukeller gab.
Was für ein Bild hast Du Dir von „Deinem“ Elser geschaffen?
Unser Film basiert auf realen Ereignissen und nimmt bei den Verhörszenen auf die Original-Protokolle Rücksicht. Alles andere ist aber eine Form der Interpretation. Ich persönlich sehe Elser als einen Menschen mit einer intelligenten Emotionalität. Er war sehr freiheitsliebend und er genoss die Musik, die Frauen und das Leben. Seinem Elternhaus stand er zwiespältig gegenüber. Der betrunkene Vater war keine Respektsperson, die Mutter ging in ihrer Religion auf. Das hat in ihm wahrscheinlich eine gewisse Wut hervorgerufen, die später von seinen Alltagsbeobachtungen verstärkt wurde. So ist er zum fokussierten Menschen geworden, der diese kompromisslose Tat organisieren und durchführen konnte. Am Schluss des Filmes sehen wir ihn dann als gebrochenen Menschen, melancholisch, depressiv, auf den Tod wartend.
Oliver Hirschbiegels Film „Der Untergang“ hat stark polarisiert wie kaum ein anderer deutscher Film. Zögert man da nicht, mit ihm auf neuerliche Zeitreise zu gehen?
„Der Untergang“ und die Reaktionen darauf haben Oliver sehr geprägt. Ich finde es gut, wenn Leute polarisieren. Wenn ich überlege, mit wem ich zusammenarbeite, reduziere ich diesen Menschen nicht nur auf einen Film. Ich beschäftige mich mit seinem Oeuvre und versuche herauszufinden, wer dieser Mensch ist. Wir haben uns über Skype kennengelernt und uns in die Augen geschaut. Man merkte, dass da eine Chemie ist. Oliver ist ein sehr präziser, fordernder, aber auch liebevoller Mensch. Ich fand seine Sicht auf Georg Elser sehr spannend. Es entstand eine kreative Reibung, die eine optimale Arbeitsgrundlage bildete. Ein guter Regisseur hat nicht immer Recht, ein Schauspieler ebenso wenig. Das führt zu einem permanenten Dialog. Oliver ist so ein Regisseur. Wenn er bisher nur polarisierende Filme gedreht hätte, müsste man sich die Zusammenarbeit vielleicht überlegen. Aber Oliver hat auch so körperlich intensive Filme wie „Das Experiment“ oder „Mein letzter Film“ gemacht. Deshalb gab es für mich gar keine Frage.
Wie hast Du Dich auf die Folterszenen vorbereitet?
Oliver hat mir einen Aufsatz über Verhörtechniken im Zweiten Weltkrieg gegeben und meinte, dass da alles drin steht. Das hat mich zutiefst beunruhigt. Eigentlich wollte ich aber gar nicht so viel darüber wissen, sondern es im Moment zulassen. Wir haben eine Woche lang in diesem Verhörraum gedreht, eingeschlossen in diesem engen Set mit starren Kameraeinstellungen. Zunächst sind wir durchgegangen, was alles passieren wird. Der Stuntman schlug vor, dass ich in den Szenen gedoubelt werde, aber das wollte ich nicht. Nicht, dass ich einen auf Tom Cruise machen will. Ich wurde nicht verletzt, ich hatte nur blaue Flecken auf dem Kopf vom Haare ziehen und am Körper von diesem unbequemen Bettgestell. Mit den Gewaltexzessen, die Georg Elser aushalten musste, ist das natürlich nicht ansatzweise vergleichbar. Trotzdem war es eine harte Woche.
Weshalb wirst Du mit Vorliebe für historische Filme besetzt?
Ja, stimmt, bis auf den Polizeiruf, der am 1. März lief, habe ich noch nie etwas in der Gegenwart gespielt. Manche Schauspieler haben so ein historisches Gesicht. Und ich habe das Gefühl, dass ich auch eines habe. Ich finde das toll. Wenn man aber automatisch den Friedel besetzen würde, wenn ein Weltkriegsfilm ansteht, wäre das auch langweilig. Man muss also immer ein bisschen aufpassen, dass man nicht in eine Schublade gerät.
Das große Thema des Filmes ist Zivilcourage. Hinterfragt man, wie man selbst gehandelt hätte?
Absolut, diese Frage hat mich sehr beschäftigt. Ich wüsste es nicht für mich. Natürlich können wir mit unserem Wissen 70 Jahre nach Kriegsende leicht erklären, dass wir Revoluzzer gewesen wären. Aber das glaube ich nicht. Den Mut, den ein Georg Elser aufbrachte, hatten bestimmt nur wenige. Ob ich diese Courage gehabt hätte, wage ich zu bezweifeln. Aber ich bin, genau wie Elser, sehr freiheitsliebend, habe oft ein Problem mit Autoritäten. Wenn ich mich eingeschränkt fühle, kann das zu ziemlichen Spannungen führen. Ich hätte damals bestimmt eine große Wut im Bauch gehabt. Aber ob ich mich dem Widerstand angeschlossen hätte? Da bin ich sehr froh, heute in einem Deutschland zu leben, wo ich so sein kann, wie ich bin.
Warum geht der mutige Elser nicht dazwischen, als seine Geliebte Elsa von ihrem Mann verprügelt wird?
Ich habe es so interpretiert, dass er nicht entlarven will, wie viel ihm an ihr liegt. Deshalb bleibt er auf Abstand. Es gibt eine Szene, die der Schere zum Opfer fiel, die das noch mehr verdeutlicht. Elser wird Zeuge eines solchen Vorfalls und kann nicht damit umgehen, greift zum Akkordeon und versucht seine Aggressionen in Musik rauszulassen. Man sieht die Sequenz kurz in den Rückblenden. Elser hadert und kämpft, hat aber noch nicht den Mut, zu dem er später findet.
Wenn du Georg Elser eine Frage stellen dürftest, welche wäre das?
Mich würde interessieren, ob er seine Flucht wirklich geplant hat und ob er die Folgen durchdacht hat, sollte er gefasst werden. Er wurde an der Grenze verhaftet und es kam mir so leichtfertig vor, dass er die belastenden Dinge bei sich hatte. Angeblich, um sich in der Schweiz zu erkennen zu geben und um Asyl zu bitten. Mir kam es so seltsam vor, dass er festgenommen wurde und klare Indizien mit sich führte.
Was wäre passiert, wenn Elsers Attentat erfolgreich gewesen wäre?
Ich bin nicht so ein Fan des Konjunktivs. Er ist immer interessant für die Fantasie, bringt aber letztendlich nicht so viel. Es gibt verschiedene Theorien, die wir auch am Set durchgespielt haben. Ich kann es nicht genau sagen. Manche behaupten, wenn Hitler zu einem so frühen Zeitpunkt getötet worden wäre, hätte er zum Märtyrer werden können. Ob die Nazis wirklich ihre Macht verloren und das System sich verändert hätte, weiß man nicht.
Herr Hirschbiegel hat dich mit bestimmten Schlüsselworten auf die Rolle eingestimmt, neben „Stenz“ und „Popstar“ war auch „Steinbock“ ein solcher Begriff. Glaubt er an Astrologie?
Ja, auf jeden Fall. Das erste, was er mir bei unserem Skype-Gespräch vorgelesen hat, waren mein Horoskop und das von Georg Elser. Das Horoskop war gut geschrieben und hat sehr viel über charakterliche Dinge erzählt. Vieles ließ sich später sehr gut mit dem Drehbuch verbinden. Es war eine inspirierende Art des Herangehens, die ich so noch nicht erlebt hatte. Oliver ist ja selbst Steinbock und sagt, dass er den Menschen Elser und seine Tat deshalb sehr gut verstehen kann. Am Set war es eine sehr konstruktive Zusammenarbeit mit dem Fisch Friedel und dem Steinbock Hirschbiegel.
Was lehrt uns Georg Elser heute?
Dass wir alle politische Menschen sind. Er zeigt uns, dass er sich als freiheitsliebender und aus dem Bauch heraus handelnder Mensch entschieden hat, in seiner Umgebung etwas zu tun. Wenn wir diesen Film sehen, sollten wir uns eine Scheibe abschneiden und sagen, dass wir in diesem demokratischen System eine Stimme haben, die wir mit großer Sorgfalt auch einsetzen sollten. Elser inspiriert dazu.
Interview: André Wesche
Filmgespräch: Am 9. April ist Christian Friedel im Magdeburger Cinemaxx. Nach der 20-Uhr-Vorstellung steht er den Besuchern für ein Filmgespräch im Kinosaal bereit.