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Мир для України!
Hier drücken mir gerade 31 Grad aufs Dach. In der Regel bleiben die großen Kinos dann leer. Total bescheuert, weil es da natürlich temperiert ist. Aber egal, dann bleiben wir halt daheim und schauen dem deutschen Indie-Film über die Schulter. Konkreter einem Genre, bei dem ich immer weniger verstehe, warum es hier in Magdeburg nicht aus dem Ei der Kreativität schlüpfen will: Mumblecore.
Das englische „mumble“ bedeutet so viel wie murmeln, nuscheln, lallen usw. In der Tat sind lange, teils improvisierte, auch mal genuschelte Dialoge ein Merkmal des Genres. Mumblecore entspringt dem post-millenialen US-amerikanischen Independent-Kino; hat häufig eine Lo-fi- und / oder Do-it-yourself-Ästhetik und erzählt gerne Geschichten über urbanes Volk Mitte 20, 30, 40, dessen Freundeskreise sich in teuren Kneipen über Joblosigkeit, Geldknappheit, Liebesprobleme und zahlreiche kuriose Gedankenknäuel austauschen; sich dabei auch mal anschmachten oder direkt über unkomplizierte Geschlechtsverkehr-Offerten in dann doch kompliziertere Beziehungsdreiecke rutschen. Der Begriff Mumblecore als Genrebezeichnung entstand mutmaßlich 2005 auf dem South by Southwest Film Festival, als Sound Mixer Eric Musanaga auf die schlechte Tonqualität der Filme verwies, an denen er zuletzt beteiligt war; darunter „Mutual Appreciation“. Die langen Dialoge nahm er über Strecken hinweg nur als „mumble“ wahr.
Im deutschsprachigen Raum spross „German Mumblecore“ grob ab den 2010ern aus Berliner Böden, mit Titel wie „Frontalwatte“ (2011), „Love Steaks“ (2013) oder auch „Voll Paula!“ (2015) – deshalb auch Genrebegrifflichkeiten wie „Berlin Mumblecore“ oder „Berlin Flow“. Wer mich fragt, obwohl es niemand tut: „Urban Mumblecore“ stünde dem Genre besser. Denn das fasst ja die Merkmale fix und treffsicher zusammen. Auch deutsche Mumblecore-Filme zeigen im Prinzip nie Kleinstadt-Flair oder Dorfleben, sondern schon Kiezgeschichten mit Skyline im Hintergrund; Hinterhöfe mit Industrie-Chique; First World Proletariat. In Deutschland war der Mumblecore darüber hinaus auch immer eine Antwort auf die verquästen Strukturen der Filmförderung. Darauf, dass es teilweise Jahre braucht, um eine günstige Großstadtgeschichte gefördert zu bekommen, während etablierte Filmschaffende, geförderten Einheitsbrei am laufenden Band produzieren dürfen.
Während verschiedene Beobachter bereits das Post-Mumblecore-Genre postulieren, etwa weil die Akteure sich bereits im professionellen Teil der Branche befinden (siehe Jay Duplass, Greta Gerwig) und trotzdem teilweise auf Indie-Ästhetik setzen, bleiben Filmschaffende wie etwa Malte Wirtz dem Spirit treu. In seiner aktuellen Produktion „Der Dritte Gast“ (2024) kreuzt er Mumblecore mit Grusel. Damit erfindet er das Rad nicht neu, aber in Deutschland ist es zumindest eine Seltenheit. Und weil die Filmbranche so auf Schubladen und Kofferwörter steht, gibt es für Horrorfilme, die Stilmittel und sonstige Ähnlichkeiten zu Mumblecore aufweisen bereits eine Bezeichnung: „Mumblegore“.
Ich hatte den Wunsch nach mehr Magdeburg-Genre-Filmen in einer der vergangenen Ausgaben mal als „Magdecore“ bezeichnet und würde den Begriff gerne weiter nutzen und öffnen. Vielleicht muss hier einfach erst mal überhaupt etwas entstehen und in Bewegung kommen. Grundlagenwissen zu produktionstechnischen Abläufen wäre dazu natürlich trotzdem gut. Mumblecore war noch nie eine Ausrede für billige Filme, sondern maximal für günstige – manchmal auch maximal günstige. Lasst uns doch mal alles was wir in Magdeburg haben sammeln, sortieren und als MAGDECORE-Filmreihe präsentieren, damit wir überhaupt mal wissen, was hier filmisch so abgeht!
Weiterführendes zum Thema
- https://www.newyorker.com/magazine/2009/03/16/youthquake
- https://www.villagevoice.com/its-mumblecore/
- https://filmlexikon.uni-kiel.de/doku.php/g:germanmumblecore-9391
- „Berliner Schule vs. Mumblecore. Ein Vergleich“ (Lena Röttger, 2018, GRIN Verlag)
- Rezension zu „Voll Paula!“ auf Kopf & Kino
Flaschenfantasien (2024): Buckauer Mumblecore mit Tulpen-Plus
In einem Buckauer Späti treffen sich rastlose Seelen, die wir fortan in ihren individuellen Episoden begleiten – mal verträumt, mal verzweifelt. Darüber schwebt die Bedrohung der Gentrifizierung.
Die episodenhafte Struktur, die teil-improvisierten Dialoge und die nicht zu verkopfte Kameraarbeit von „Flaschenfantasien“ – wer braucht Stative? – verorten den Film deutlich im Mumblecore. Auch wenn die Macher Matthias ‚Wenzel Oschington‘ Pavel & Carsten Ast das vermutlich selbst gar nicht so richtig auf dem Schirm hatten, ist gerade der persönliche Anstrich der Geschichte, geprägt durch die Kiez-Wahrnehmung und die eigenen Erfahrungen, der stärkste Anker im Mumblecore-Genre. An manchen Stellen hätte ich mir vorher vielleicht trotzdem nochmal eine Auseinandersetzung mit dem Bereich „Ton“ gewünscht, aber das ist bei zahlreichen Indie-Projekten eine Großbaustelle. Auch bei dem Vampir-Kurzfilm „Strigoi Morti“ (Mumblegore!), bei dem ich meinen Leib durchs Bild schieben durfte, ist der Ton die größte Baustelle – neben meinem Po natürlich. Dass in „Flaschenfantasien“ an einer Stelle unvermittelt ein Musikvideo von Tomas Tulpe ballert rundet das Erlebnis in jedem Fall ab!
Indiealismus – Eine SWM TalentVerstärker Geschichte (2021): Mumblecore-Roadtrip mit Lokalprominenz
TalentVerstärker ist noch ein Begriff? Der Nachwuchs-Musikwettbewerb von den Stadtwerken; hieß früher mal MusiCids; hatte Tokio Hotel auf der Bühne gehabt; wurde 2023 nach über 20 Jahren eingestellt. Während der Pandemie konnte die Veranstaltung nicht stattfinden. Stattdessen wollte die SWM eine hübsche Verneigung vor dem Projekt – Ansatz völlig offen. Also habe ich einen Roadtrip um die fiktive Band Indiealismus geschrieben, die auf Lokalprominenz trifft, während sie sich beim TalentVerstärker bewerben will. Zusammen mit Matthias von lichtempfindlich haben wir in knapp sieben Drehtagen einen mittellangen Mumblecore Roadtrip gerockt – rund um Mäcces, Jimmy und Prodigy. I like.
Magdeburg Moritzplatz (2021-22): Man munkelt, es sei eine Mumblecore-Serie
Ist jetzt bestimmt ein Hot Take, aber gerade die erste Staffel „Magdeburg Moritzplatz“ atmet Mumblecore-Luft. In verschiedenen Episoden steigen wir in die Lebenswelt junger Menschen im Kiez-Kosmos Neustadt ein. Die Entscheidung mit Amateuren, davon viele Jugendliche, zu drehen, prägt natürlich auch das Spiel und das generelle Look & Feel der Serie. Dialoge über die Lebenssituationen, effiziente Kameraarbeit und der Dreh an unspektakulären Originalschauplätzen verortet die Serie zumindest mit einem Beim im Mumblecore – obgleich sich das mit der zweiten Staffel ein wenig ändert.
Hinweise zu coolem Magdecore bitte an: rob@dates-online.de
PS: Du bist Kreativkopf in Magdeburg oder Umgebung? Dann schau doch mal beim monatlichen Treffen des Netzwerkes NMC (New Magdeburg Cinema) vorbei. Austausch über Projekte und Netzwerken ohne Stress.
Schreibt einfach 'ne Mail an new-magdeburg-cinema@gmx.de
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