Stammtischwahrheiten

Sie werden Kneipenretter genannt. Mit ihren wechselnden Kneipenbesuchen rücken sie Gastwirtschaften ins Licht, die sonst im Schatten der großen Bars verschwinden.

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© Daniel Riecke

Es ist Donnerstagabend. Viel ist nicht los in der kleinen Kneipe an der Ecke. Plötzlich betritt eine Gruppe von gut zehn Männern das Lokal. Neugierige Blicke folgen ihnen zum Tisch, die sich in stummes Entsetzen verwandeln, als die Truppe wie selbstverständlich ein hölzernes Schild mit der Aufschrift „Stammtisch“ vor sich platziert. Eine Stammtischeröffnung beim ersten Besuch?

Als die Freundesgruppe um Daniel Riecke, David Schiefer und Matthias Baumgarten vor sechs Jahren ein Stammlokal suchte, wollte jeder am liebsten in seinem Viertel bleiben und so machten sie die gesamte Stadt zum Stammtisch. Aller zwei Wochen sucht die mittlerweile 17-köpfige Gruppe eine andere inhabergeführte Kneipe abseits von Hasselbachplatz und Hauptstraßen auf. Nicht selten hören sie dort den Satz „Sagt mal, seid ihr arbeitslos?“, wenn sie donnerstagabends bis 23 Uhr sitzen, essen und trinken. Dabei machen die Jungs, von denen jeder einem geregelten Beruf nachgeht und Familie hat, das ganz bewusst. „Wenn wir dahingehen, dann wollen wir den Wirten auch ein bisschen Umsatz bringen“, so Daniel Riecke. Mit der Wahl zum „Stammtisch des Jahres“ wollen sie auf die kleinen Kneipen aufmerksam machen, in denen sich der Wirt oder die Wirtin noch mit an den Tisch setzt oder gar selbst gemachten Schnaps anbietet. Oft müssen die Kneipen ums Überleben kämpfen. Von den 96 Lokalen, die die „Kneipenretter“ über die Jahre besucht haben, existieren zehn bereits nicht mehr. Zu den Geheimtipps zählen weiterhin das Gartenlokal „Zum Igel“, die „Stadtfeldklause“, „Bines Bierstube“ oder „Zur Heimatliebe“. Den heroischen Titel haben sie sich übrigens nicht selbst gegeben, er wurde ihnen von den Medien verliehen, sogar der „Spiegel“ berichtete über sie. Nur verständlich, wenn man bedenkt, dass sie die älteste inhabergeführte Gaststätte Magdeburgs, „Jahnke“ in Fermersleben, mit ihrem über 80 Jahre alten Originalmobiliar vor der Schließung bewahrt haben. Den Jungs ist bewusst, dass sie als kleine Gruppe nicht viel ausmachen, aber sie wollen ein Vorbild sein und immer wieder aufmerksam machen: „Leute geht in eure Stadtteil-Kneipen!“

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