Leichenschau am Elbufer

Die sechsteilige Thrillerserie Schneller als die Angst zeigt, dass die Sachsen-Anhaltische Landeshauptstadt auch abseits von Polizeiruf 110 eine gute Figur machen kann. Womit punktet die Serie, wer steht vor der Kamera und wer dahinter?

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© ARD Degeto

Sucht man nach Magdeburg als Handlungsort in Filmen und Serien, wirft einem die Suchmaschine derzeit zwei Ergebnisse aus – das Ost-Krimi-Flaggschiff Polizeiruf 110 und das medienpädagogische Serienprojekt Magdeburg Moritzplatz. Das DDR-Drama und der Zukunft zugewandt wurde auch teilweise in Magdeburg gedreht; hat aber niemand mehr auf dem (Bild-)Schirm. Schneller als die Angst erscheint da als angenehme Abwechslung. Ein Blick auf die Produktion.

Schneller als die Angst: Sunny versus Haffner

Sonja ‘Sunny‘ Becker (Friederike Becht) kommt nach fünf Wochen Krankheit zurück ins LKA Magdeburg. Dort freut man sich vorerst nur oberflächlich sie wiederzusehen. Die Führungsetage zweifelt die psychischen Stabilität der Ermittlerin an – zurecht. Das wird spätestens zum Problem, als der skrupellose Sexualstraftäter André Haffner (Felix Klare) aus dem Gefängnis ausbricht und umgehend neue Frauen in sein Netz aus psychologischer und sexueller Gewalt zieht. Während das LKA Magdeburg Nebelkerzen jagt, wird Sunnys Team auch noch zur sozialen Großbaustelle. Aus Kollegen werden Feinde, vertrauliche Informationen sickern nach draußen und ein neuer Kollege aus Brandenburg kippt mit seinem Misstrauen Öl ins Feuer der Ermittlungen, denn im LKA gilt eigentlich: „...weil wir uns hier nicht gegenseitig anscheißen!“

Tatort-Familietreff: Cast und Crew von Schneller als die Angst

Sowohl vor als auch hinter der Kamera zeichnet Tatort-Stammpersonal für den Thriller-Sechsteiler verantwortlich. Regisseur Florian Baxmeyer hat bereits 18 Tatorte auf dem Kerbholz, darunter so polarisierende Einträge wie “Dein Name sei Harbinger“ (2017) und  unterwältigende Stangenware wie „Hochzeitsnacht“. Billiges Namedropping gibt es bei Baxmeyer nicht. Muss nicht jeder wissen, dass der Täter gerade auf der Sternbrücke entlangläuft, Magdebürger hingegen werden es erkennen und womöglich ein wenig schmunzeln.

Baxmeyer inszeniert nach Büchern des TV-Krimi-Fließband-Duos Klaus Arriens & Thomas Wilke, das für die ARD von Rote Rosen bis Notruf Hafenkante alles wegskriptet, was nicht bei drei im Fördertopf verschwunden ist. Tatsächlich ist Schneller als die Angst deutlich Thriller-esker, als die übrigen Auftragsarbeiten des Duos. Episodentitel wie Dämonen oder Inferno lesen sich in diesem Kontext trotzdem effekthascherischer als nötig.

Wenn Ermittlerin Sunny versucht, Informationen über ihren Antagonisten zu sammeln und dafür im Gefängnis mit einem entwaffnend ruhigen intelligenten Serienkiller redet, erinnert das womöglich nicht zufällig an Klassiker wie Das Schweigen der Lämmer. Dann allerdings fällt einem ein, dass dieser Mix aus mental desolaten und schrulligen Ermittlerteams auch zum Standardrepertoire des deutschen Redaktionskriminalfilms gehört.

Auch vor der Kamera gibt es Tatort-Gesichter zu sehen. Hauptdarstellerin Friederike Becht liefert seit 2011 solides Handwerk bei den Öffentlich-Rechtlichen ab, unter anderem im Tatort Der hundertste Affe (2016) und im diskutablen Fernsehversuch Ökozid (2020). Als Antagonist steht ihr Schauspielkollege Felix Klare gegenüber, der – na, erraten? – sonst als Tatort-Kommissar Sebastian Bootz in „Stuggard“ auf Ganovenjagd geht. Er scheint es sichtlich zu genießen, diesmal (fiktiv) auf der anderen Seite des Gesetzes zu stehen – inklusive Psychopathen-Blick, Taucherbrille und Stringtanga-Yoga-Session. Extra-Authentisch wird Schneller als die Angst aber zweifelsfrei durch Christoph Letkowski der als Ermittler Markus Fechner ganz wunderbar, Stereotype von halbstarken, übersolidarischen Prolet-Charmeuren reproduziert, dabei vielleicht etwas zu dicke berlinert und sträflicherweise nicht Ronni heißt.

In den verlinkten Interviews erzählen die Becht und Klare über Magdeburg, Dreh unter Corona-Bedingungen und die intensivsten Szenen bei Schneller als die Angst.

Schneller als die Angst: Hoffentlich keine Eintagsfliege

Alle sechs Episoden von Schneller als die Angst sind bis einschließlich 01.07.2022 kostenfrei in der ARD-Mediathek abrufbar.

Die sechsteilige Serie kokettiert nicht mit ihrem Handlungsort; folglich wird Magdeburg nicht ständig Nörgel-Ossi-Problemstadt skizziert. Diesbezüglich hat Schneller als die Angst Anerkennung verdient, weil sie die Landeshauptstadt einfach nur als Stadt zeigt, in der, wie überall, Freund und Leid nah beieinander liegen – nah an der Elbe.

Hier geht es direkt zu "Schneller als die Angst" in der ARD-Mediathek

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