Stadtläufer: Armut und Reichtum

Auch unser Stadtläufer kommt um das Corona-Thema nicht herum. Diesmal berichtet es über den Zusammenschluss der freien Kulturschaffenden und warum dieser so wichtig ist.

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Abgesehen von jenen wenigen Zeitgenossen, die sich mit den Mitarbeitern von Supermärkten prügeln, weil die ihnen nur 20 statt der verlangten 50 Tüten Mehl verkaufen wollen, sowie den schon etwas zahlreicheren Mitbürgern, die sich mit Toilettenpapier bevorraten, als wäre nicht eine Lungenkrankheit ausgebrochen, sondern die Ruhr, gibt es inmitten der durch Covid-19 ausgelösten Krise auch jede Menge erfreuliche Phänomene zu beobachten. So fand sich die freie Kulturszene der Stadt schnell und unkompliziert zusammen, um ihre Probleme zu artikulieren – und benötigte dafür kaum eine Stunde. Gewöhnlich gehen derlei Treffen mit sehr viel unnützem Geschwätz und jeder Menge Eitelkeiten einher, die dazu führen, dass um einzelne Formulierungen stundenlang gerungen wird – doch im Angesicht der allgemeinen Existenzbedrohung herrschten Effizienz und Sachlichkeit vor. Dies ist um so bemerkenswerter, als die Probleme der einzelnen Vertreter durchaus verschieden sind und viele von ihnen sich in veritabler Konkurrenz zueinander befinden. Von letzterer war überhaupt nichts zu spüren, sondern es herrschte viel Verständnis für das spezifische Problem des anderen und eine sehr solidarische Stimmung. Die allein wird der freien Szene freilich nicht helfen. Sich gegenseitig zu unterstützen, ist nur schwer möglich, wenn es praktisch für alle um die Existenz geht. Hilfe kann etwa von Vermietern wie der Wobau kommen, die Theatern für die Zeit, in der diese ihren Spielbetrieb einstellen müssen, die Miete nicht nur stunden, sondern erlassen könnte. Und sie kann und muss von jenen kommen, die den kompletten Einnahmeverlust angeordnet haben – und das ist die Landesregierung. Da diese aber zum Zeitpunkt der Schließungs-Verordnung noch keinen beschlossenen Haushalt hatte, kann die freie Szene nicht einmal darum ersuchen, auf die Rückzahlung von Fördergeldern zu verzichten, da noch gar keine bewilligt wurden, geschweige denn geflossen sind. Ob sie nun noch fließen werden, wenn die betreffenden Projekte abgesagt oder auf unbestimmte Zeit verschoben werden müssen, steht in den Sternen. Die Krise umfasst also nicht nur die Gegenwart, sondern reicht weit in die Zukunft hinein. Die Situation ist verfahren, denn die Förderpraxis der Stadt steht zwar terminlich besser da, ist aber von sehr viel bescheidenerem Umfang. Man kann sie im Grunde komplett vernachlässigen. Dabei hat dieses Treffen nicht nur deutlich gemacht, wie arm die freie Szene in dieser Stadt ist, sondern es hat auch gezeigt, wie reich sie ist – wie zahlreich, wie reichhaltig und wie erfindungsreich. Sollte sie jetzt vor die Hunde gehen, wäre das ein unersetzlicher Verlust. Es darf nicht geschehen. 

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