Stadtläufer: Ein Brief an die Freunde

In unserem Nachbarland Polen werden aktuell sogenannte "Familienchartas" errichtet, in denen LGBTI-Anhänger ausgeschlossen werden. Das geht so nicht, findet der Magdeburger Stadtrat und schickt seiner Partnerstadt Random einen Warnschuss.

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In unserem Nachbarland Polen haben sich etwa einhundert Orte in „Familienchartas“ zu Zonen erklärt, in denen LGBTI-Ideologie nicht geduldet werden soll. Schwule, Lesben, Bi-, Trans- und Intersexuelle sollen also nicht weiterhin das traditionelle Familienbild in Frage stellen dürfen und sich möglichst still verhalten. Am liebsten sollen sie natürlich ganz verschwinden, aber das spricht so ebenso natürlich niemand aus. Auch Magdeburgs Partnerstadt Radom steht offenbar kurz davor, diese Familiencharta zu unterzeichnen, weshalb sich der Stadtrat gegen die Stimmen der AfD-Fraktion nun dazu durchgerungen hat, die polnische Partner-Kommune in einem offenen Brief zu warnen. Sollte Radom die Rechte der LGBTI-Community nicht im Einklang mit der Grundrechtecharta der EU uneingeschränkt garantieren, droht womöglich die Aufkündigung der Städtepartnerschaft, also ein Ende der langjährigen Freundschaft. Zusätzlich soll eine mindestens zehnköpfige Delegation aus Vertretern der Kommunalpolitik, der Gleichstellungsbeauftragten sowie Mitgliedern der Magdeburger LGBTI-Lobby demnächst nach Radom reisen, und zwar um die Unterstützung der Diskriminierten auch körperlich zu manifestieren.

Es kann nur der Ratschlag erteilt werden, diese Reise möglichst bald anzutreten. Denn wenn Radom die Charta erst einmal unterzeichnet hat, wird es dort vermutlich gerade für die LGBTI-Delegationsteilnehmer viel zu gefährlich. Und auch für die Gleichstellungsbeauftragte könnte eine Stadt, in der das traditionelle Familienbild derart kämpferisch bewahrt wird, ein viel zu heißes Pflaster sein. Ob auch die Auswahl der Kommunalpolitiker, die nach Radom reisen, nach dem Aspekt der geschlechtlichen Orientierung erfolgt, geht aus dem Stadtratsbeschluss leider nicht hervor. Aber auch hier kann nur zur Vorsicht geraten werden und vielleicht sollte man überhaupt im Interesse der Vielfalt wenigstens einen Vertreter entsenden, der nach Ansicht unserer polnischen Freunde „normal“ ist – um unseren Freunden gleichsam die Hand zur Versöhnung entgegenzustrecken. Im Gegenzug wurde nämlich auch eine Delegation aus Radom nach Magdeburg eingeladen, und man mag sich nicht vorstellen, wie die besetzt sein würde, wenn wir unsere Partnerstadt mit der Auswahl unserer Delegationsteilnehmer derart provozieren.

Seit Willi Poltes legendärem Brief an Bill Clinton hat kein derart brisantes Schreiben mehr das Magdeburger Rathaus verlassen. Denn es ist klar, dass Radom komplett am Ende wäre, wenn Magdeburg die Städtepartnerschaft aufkündigt. Die Stadt würde in unvorstellbare wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten und eine 865-jährige Geschichte wäre praktisch über Nacht zu Ende. Hoffen wir, dass der Brief noch rechtzeitig kommt.

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