Flohmarktkultur in Magdeburg: Feilschen um jeden Cent

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© Vanessa Weiss

Es ist kurz nach sechs Uhr, viel zu früh für einen Sonntagmorgen. Die ersten Autos bahnen sich den Weg auf den Campus der Universität. Selbst ein Wohnwagen rollt mit und es herrscht Gedränge, bis jeder seinen Standplatz gefunden hat. Mittendrin im Getümmel steht Anna an einem Tapeziertisch und trennt mit routinierten Griffen die Schwimmflügel von einer Ein-Mann-Kaffeemaschine und anderem Nippes. Ein paar gelb-grüne Brasilienflaggen hängen bereits, so fällt ihr Stand auf. Auf dem Sonntagsflohmarkt des Familienhauses muss er das auch, wenn man etwas verkaufen will, mit durchschnittlich 200 Ständen ist er der größte Freiluft-Flohmarkt der Region – und er wächst weiter. 

Privatflohmärkte erobern die Stadtteile 

Magdeburg ist im Flohmarkt-Fieber. Allein im September können Trödel-Liebhaber gleich siebenmal zwischen Pelzmützen, Büchern, Gläsern und alten Schallplatten nach Raritäten stöbern. Mal in der Altstadt, in Südost, im Herrenkrug, in Olvenstedt, Stadtfeld, Kannenstieg oder der Neustadt. Ein Blick in unsere Veranstaltungsdatenbank zeigt: zwischen 2014 und 2016 gab esdurchschnittlich etwa 15 Flohmärkte pro Jahr. Nach dem ersten Halbjahr 2017 waren es bereits knapp 20 und die schönsten Flohmarktwochen standen da noch bevor. Denn es sind typischweise vor allem die Spätsommer- und Herbst-Monate, in denen das Flohmarktfieber steigt. In Magdeburg sind es immer mehr Veranstaltungs- und Kulturorte oder auch Läden mit nachhaltigem Schwerpunkt, die sich mit Märkten am Flohmarktgeschehen beteiligen. Das Volksbad Buckau oder der kleine Feinkostladen „Janasch‘s“ am Lessingplatz in Stadtfeld zum Beispiel. „Es ist eine Chance für die Organisatoren, auf sich aufmerksam zu machen. Es geht nicht darum, hohe Standgebühren einzukassieren“, sagt Susanne vom Öko-Projekt Vitopia im Herrenkrug. Viermal im Jahr organisieren sie dort einen kleinen Hofflohmarkt mit 10 bis 15 Ständen.

Immer wieder Sonntags 

Während bei den Großveranstaltungen wie dem Nachtflohmarkt in der Messe Magdeburg vor allem gewerbliche Händler stehen, leben die kleinen Stadtteilmärkte von den vielen privaten Anbietern. Es sind Leute, die es offenbar lieben, um der besten Standplätze willen schon am frühen Sonntagmorgen auf den Beinen zu sein und dann den Tag auf dem Markt zu verbringen. Was macht den Reiz des Flohmarktlebens in Zeiten von Amazon Prime und Ebay aus? Die Wahrheit ist: Der Mensch braucht nicht noch mehr Dinge, was er braucht, ist die lebendige Begegnung mit anderen, wildfremden Leuten, mit denen er ins Gespräch kommt und wie auf einem orientalischen Basar um jeden Cent zu feilscht.

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Das ist wahres Leben und es macht einfach großen Spaß. Hinzu kommt der gestiegene Nachhaltigkeitsgedanke: statt Ex-hopp-Mentalität, möchte man nicht mehr gebrauchten, aber immer noch gut erhaltenen Dingen einfach eine zweite oder eine dritte Chance geben. Klar geht es den meisten beiderseits der Tische auch darum, ein kleines Geschäft zu machen, z.B. für 50 Cent dieses bildschöne Stück Porzellan mit Goldrand aus Omas Zeiten mitzunehmen. Es geht aber auch anders. „Wir verkaufen Dinge, um mit dem Erlös eine tolle gemeinsame Zeit zu haben, es z.B. beim Essengehen zu verjubeln“, sagt Anna. Für sie und ihre Freunde gehört der Sonntagsflohmarkt einmal im Monat dazu. Dazu steuert jeder etwas bei. Alles, was zu Hause rumliegt, kommt mit, auch das dunkelblaue Duftkerzengefäß und die kleinen Kärtchen, auf denen Heilige abgebildet sind. Eine ältere Dame mit Rosenkranz kann den Blick davon nicht abwenden. „Gibt‘s ja nicht“, sagt sie. Anna erklärt den Ursprung und nimmt das Duftkerzengefäß zur Hand. „Nehmen sie das und dann gibt’s die Bildchen obendrauf.“ Ein gegenseitiger Blick in die Augen, ein Nicken, Handschlag und fertig. „Es ist wie eine kleine Gemeinschaft“, sagt Anna, „du kommst unglaublich schnell mit wildfremden Leuten ins Gespräch.“ 

Nie suchen und immer finden

 Die Gespräche auf dem Markt schätzt auch Susanne Schreiber, die ein paar Meter weiter ihre bronzefarbenen Kelche und vielen anderen Dingen aufgebaut hat. „Ich bin seit neun Jahren beim Sonntagsflohmarkt dabei. Das weiß mein Freundeskreis. Da bekomme ich auch immer wieder Dinge, die ich auf dem Flohmarkt verkaufen kann.“ Und das kann so unterschiedlich sein, typisch Flohmarkt eben. Das macht die Auswahl noch größer. Man fi

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ndet Bücher, DVDs, Gesellschaftsspiele und vieles mehr, und vielleicht sogar alte IKEA-Schuhschränke. Was man bekommt, weiß man als Besucher nie. Anna hat gerade Verkaufs­pause, stöbert stattdessen selbst auf dem Markt. Währenddessen haben zwei Freunde den Stand übernommen und geben ihr Bestes, um genügend Dinge zu verkaufen. „Wann immer sich Gelegenheiten ergeben, gehe ich auf Flohmärkte, egal in welcher Stadt. Je bekannter der Flohmarkt, desto mehr Leute kommen.“ Den Nachtflohmarkt kennt sie, findet ihn allerdings „zu überlaufen“, es kommt kein „Trödel-Feeling“ auf. Auf den Flohmarkt in der Leiterstraße ist sie durch Zufall gestoßen. Aber ist es nicht auch das, was Flohmärkte ausmacht? Plötzlich sind sie da. An dem Sonntag hatte man eigentlich etwas anderes vor, ein kleiner Abstecher und schon ist man gefangen von den zahlreichen Eindrücken. Beim Sudenburger Straßenfest zum Beispiel, da ist der Flohmarkt seit Jahren Bestandtteil des Festes. In diesem Jahr waren es deutlich weniger Verkäufer. Entlang der Halberstädter mischten sich in diesem Jahr etwa zehn Stände zwischen Kunsthandwerk, Kleinkunstbühnen und Straßenbahnaction. „Die Händler waren zufrieden, die Laufkundschaft war interessiert“, sagt Carsten Gloyna, Projektleiter. Er kümmert sich im zweiten Jahr um den Flohmarkt, der auf Privatverkäufer ausgerichtet ist. Es gibt sogar ein Formblatt, neuwertige Dinge dürfen zum Beispiel nicht verkauft werden. Mittlerweile ist es kurz nach Mittag, Zeit, um einzupacken und Bilanz zu ziehen. Und noch etwas aus dem restlichen Sonntag zu machen. Diesmal reicht der Gewinn nur für einen Eisbecher. Macht nichts, eine gute Zeit wird Anna mit ihren Freunden trotzdem haben. 

Zu den aktuellen Flohmarktterminen

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