Abschied vom Chamäleon

Große Klappe, viel dahinter. Mit dem Kunstwerker Holger Wenke ist eine der schillerndsten Figuren der Magdeburger Kulturszene gestorben. Ein Nachruf.

by

© Wenzel Oschington

Ein Alpha war der bunte Hund Wenke, ein konfliktbereiter Geist, dem jede Art von Oberfläche und Mittelmaß zu fundierter Kritik Anlass bot. Seine beißenden Kommentare brachten jeden Zweifler in ernsthafte Nöte. Der Provokateur sprach das Unaussprechliche konsequent aus, ob das jemand hören wollte oder nicht. Aber wenn man sich auf seine Worte einlassen konnte, waren sie fast immer ein Geschenk, eine Möglichkeit zur Lösung oder Heilung, egal wie verletzend sie im ersten Moment gewesen sein mögen. Seine Aufgabe hat er auch darin verstanden, in einer Melange aus Kinski und Till Eulenspiegel dieser Welt den Spiegel vorzuhalten. Eine Lachnummer war Wenke dennoch nie; selbst wenn manche seiner Ideen recht fragwürdig waren, schaffte er stets den Eindruck zu hinterlassen, er wisse, was er da tue. Und Frauen liebten seinen Punk, da die Zeitgenossen wenig Eigenständiges zu bieten hatten. Wenke maß die Menschen mit seinem Anspruch an Gegenwartsnähe und Zukunftsverliebtheit. Gekonnt verhöhnte er als Künstler die Systematik der Kulturindustrie. Für Holger Wenke war seine Assemblage-Kunst der Bauchladen des Zeitgeistes. Kunst hatte nach seiner Vorstellung ihren Platz ohnehin nicht im Museum, sondern auf der Straße und bei den Menschen.

Seine Werke fertigte er jahrzehntelang in als Wohnraum eingerichteten Garagen oder Ladenlokalen. Natürlich zeigte er sich gern in selbst geschneiderten Anzügen aus Stoffen, die andere Leute sonst in die Kleiderbox geworfen hätten. Ob seine Werke die Wahrheit waren? Man wußte es bei Wenke ohnehin nie. Und genau das war es, was ihn so unterhaltsam machte. Holger Wenke war jedoch kein Scharlatan. Seine Kunst wurde durchaus auch missverstanden. Dabei war es so einfach: Das Bunte darin, das Unkonventionelle, das Halbfertige, Eckige und Schräge sowie die Präsenz zeigen sich erhaben über unangebrachte Erwartungen an Kunst. Eigentlich so wie er selbst war. Als Künstler jedenfalls kindlich naiv, respektlos und das, was die mittelmäßige Gesellschaft verachtet. Die vielen Stunden Zeit des Alleinseins im Schaffensprozess brachten Erkenntnisse über die Tiefen und Abgründe der Menschheit. Das Wichtigste für ihn waren Emotionen. Er zeigte und forderte sie stets von anderen ein. Seine bis zuletzt feinsinnig vorgetragene gute Laune verdankte er dem Glück ewiger Neugier. Wenke interessierte sich immer für das Neue und machte es sich nicht mit schnellem Eklektizismus bequem. Da, wo sich ausprobiert wurde, wo sich Ungesehenes ereignete, wollte er sein und verblieb mit jungen Künstlern, die seine Kinder oder Enkel hätten sein können, ein Fragender und Gentleman.

Holger Wenke starb im November mit 67 Jahren an Krebs. Der große Lästerer fehlt. Denn die Stadt braucht solche Unbequemen, die Einzelgänger, die Denker und unerbittlichen Fragesteller, die Jünger des Wahrhaftigen. Natürlich war der visionäre Universaldilettant ein Lebenskünstler, bisweilen auch recht despotisch, aber vor allem: Ein wunderbarer, witziger und warmherziger Freund.

Back to topbutton