Nachhaltigkeit: Ein Selbstversuch zur Lebensmittelrettung

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Kann man sich von den Resten und dem „Müll“ anderer ernähren? Macht uns altes Essen krank? Anna Kummer hat im Rahmen ihres Hochschulprojekts "Sechs Wochen Leben" der Lebensmittelverschwendung den Kampf angesagt. Die 26-Jährige liebt Avocados und Käsespätzle, lebt zusammen mit ihrem Freund in Magdeburg und studiert Sozial- und Gesundheits-Journalismus an der Hochschule Magdeburg-Stendal.

Wie geht es dir momentan? Prima - abgesehen vom Unistress.

Erkläre das Projekt "Sechs Wochen Leben" bitte näher! Das Projekt hat unsere Dozentin an der Hochschule ins Leben gerufen. Wir sollten uns etwas überlegen, dass wir sechs Wochen lang dokumentieren möchten und das Ganze in einem Blog festhalten. „Konstruktiver Journalismus“ ist hier das Schlagwort - also keine einseitige Recherche. Vielmehr sollen wir Positives und Negatives beleuchten, aber auch Lösungsansätze anbieten.

Gibt es Zahlen darüber, wieviele Tonnen Lebensmittel in Magdeburg bzw. Sachsen-Anhalt im Müll landen? Direkt zu Magdeburg habe ich im ersten Schritt leider nichts finden können. Was Sachsen-Anhalt betrifft, hat der WWF wohl herausgefunden, dass hier kaum oder wenn überhaupt, dann nur wenig wirksame Maßnahmen zur Vermeidung der Lebensmittelverschwendung vorhanden sind. Außerdem heißt es im Endbericht der Studie „Entwicklung von Grundlagen für einen Abfallvermeidungsbeitrag des Landes Sachsen-Anhalt - Vermeidung von Lebensmittelabfällen“ von 2016, das die Privathaushalte ca. 58 kg Lebensmittelabfälle pro Jahr entsorgen würden, von denen etwa die Hälfte vermeidbar wäre.  

Bist du Veganerin oder welche Ernährungsweise bevorzugst du? Veganerin? Gott bewahre! Auf mein Frühstücksei kann ich nur wirklich schwer verzichten. Ich würde mich eher als Flexitarierin bezeichnen. Tiere spielen eine große Rolle in meinem Leben. Deswegen habe ich etwas gegen unsere Billigfleisch-Industrie und die furchtbaren Haltungsbedingungen. Fleisch gibt es also eher selten bei mir. Wenn ich aber weiß, dass meine Eier oder eben auch mein Fleisch von „glücklichen“ Tieren kommen, dann finde ich das ok. Warum sollten Tier und Mensch nicht voneinander profitieren?

Woher kommt das Essen, außer vom Foodsharing? Die meisten Lebensmittel hole ich mir aus den Kühlschränken bzw. Verteilern der Initiative „Lebensmittel retten Magdeburg“. Außerdem unterstützt mich Erna’s Unverpacktladen regelmäßig mit Spenden. Und ansonsten haben auch schon ein paar meiner Freunde und meine Eltern ihre Vorratsschränke nach „alten“ Lebensmitteln für mich ausgemistet.

Nervt dich die Abhängigkeit von anderen nicht? Nein. Ganz im Gegenteil, so lerne ich nämlich neue und vor allem auch sehr liebe Menschen kennen. Mit der Zeit fand ich es einfach sehr schön, sich mit anderen Menschen über Lebensmittel verbunden zu fühlen. Das mag jetzt vielleicht im ersten Moment etwas schräg klingen, aber gerade bei den Kühlschränken ist es wie mit einem unsichtbaren Band: Der eine legt Lebensmittel hinein oder der andere nimmt sie wieder raus.

Welches war die größte Herausforderung für dich, was stellte dich vor Probleme? Bevor ich das Projekt gestartet habe, hatte ich mir ja einige Regeln aufgestellt. Eine davon lautet, dass Getränke nicht berücksichtig werden. Also durfte ich dafür in den Supermarkt gehen. Diese Supermarkt-Besuche waren schon echt eine Herausforderung. Schließlich gab es an jeder Ecke dutzende Verführungen.

Ist dir das MHD generell egal? An welche Produkte traust du dich nicht heran? Ja, ist es. Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich das mal sagen werde. Aber es bedeutet ja auch "mindestens haltbar bis und nicht tödlich ab“. Und da sich die meisten geretteten Lebensmittel eh in den gekühlten Verteilern befinden, ist das alles kein Problem. Falls ich welches finden würde, würde ich aber kein abgelaufenes Fleisch essen.

Muss man seinen Ekel generell ablegen bzw. nicht soviel nachdenken, damit es überhaupt klappt? Also zimperlich darf man natürlich nicht sein. Momentan lebe ich ganz nach dem Motto „Probieren geht über Studieren". Ich versuche so wenig wie möglich wegzuschmeißen und wenn ich dann zum Beispiel mal eine Packung mit Himbeeren bekomme, von denen ein Viertel schimmlig ist, dann fliegt nicht wie früher die ganze Packung weg, sondern ich sortiere eben aus.

Hast du überlegt abzubrechen? Nein, tatsächlich kein einziges Mal.

Wie lief das Containern so ab? Tja, das mit dem Containern ist so eine Sache in Magdeburg. Ich habe es ein Mal versucht, aber die Supermärkte in dieser Stadt verbarrikadieren ihre Mülltonnen und Container schlimmer, als ein Scheich seinen Goldesel. Das Kurioseste war eine dicke Metallkette um eine kleine Tonne herum. Ich muss aber auch sagen, dass ich es hauptsächlich im Stadtteil Sudenburg und in der Innenstadt probiert habe. Meine Ausbeute beschränkte sich auf ein Laib Brot und ein paar Kirschen. Werde ich jetzt verhaftet?

Wie haben deine Freunde reagiert? Durchweg sehr positiv. Einige meinten auch, dass sie das nicht durchhalten würden. Meine Eltern wiederum hatten sich anfangs etwas Sorgen gemacht, dass ich abmagern oder mir eine Lebensmittelvergiftung holen könnte.

Welche Rolle haben Essen gehen und Lieferdienste vorher in deinem Leben gespielt? Leidet das soziale Leben darunter? Hin und wieder gehe ich gerne Essen. Lieferdienste hingegen habe ich tatsächlich schon sehr lange nicht mehr in Anspruch genommen. Aber Probleme im sozialen Umfeld habe ich absolut keine. Ich finde es erstaunlich, wie sehr sich die Menschen in meinem Umfeld nach mir und meinem Selbstversuch richten. Als Belohnung möchte ich das Restaurant "High Kitchen" besuchen und einfach nur genießen. Ist wie mit einem Kind: Das, was verboten ist, möchte es natürlich am allermeisten.

Was willst du den Magdeburgern mitgeben durch die Aktion? Esst mehr Müll!!! - Nein, Spaß. Ich denke, wir sollten den Begriff „Müll“ in Hinblick auf Lebensmittel mal genauer unter die Lupe nehmen und uns fragen, was denn nun wirklich weggeschmissen werden kann und was durchaus noch verzehrbar ist. Ich kann jedem nur empfehlen, die öffentlichen Verteiler von „Lebensmittel retten Magdeburg“ zu benutzen. Dafür sind sie schließlich da. Außerdem sammelt man so gleich zwei Karma-Pluspunkte: Einmal für’s Nicht-Wegschmeißen und das andere Mal, weil sich höchstwahrscheinlich jemand anderes über das Essen freut.

Ihren vollständigen Erfahrungsbericht könnt ihr hier nachlesen

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