„Da haben wir für Magdeburg einen Ruf aufgebaut“

Karen Stone, die Intendantin des Theaters Magdeburg, ist in ihrer dreizehnten und letzten Spielzeit – und es soll nach zwei Jahren Pandemieeinschränkungen keine verflixte werden.

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© Engelhardt

Willkommen und Abschied - Karen Stone, die Intendantin des Theaters Magdeburg, steht vor ihrer dreizehnten und letzten Spielzeit – und es soll nach zwei Jahren Pandemieeinschränkungen keine verflixte werden. Ein Gespräch über Marathondistanzen, das wahre Gesicht der Grete Minde, Weltmusiker Menahem Pressler, die Zukunft des DomplatzOpen Airs und die Vorfreude auf ein kleines Musikfestival im Loiretal.

Frau Stone, was wenige in Magdeburg wissen: Sie sind schon Marathon gelaufen.

Oh ja. Ich wohnte in München, direkt an der Isar. Da war ein 14 km Trimm-Dich-Weg. Da habe ich mit dem Laufen angefangen. Ich war in einem Fitnessstudio. Zwei Trainer haben gesagt, komm, mach mit. ,And the bug bite me‘, wie man im Englischen sagt. Ich habe dann ein Buch gekauft: „How to run your first Marathon“. Ein Jahr später habe ich es dann gemacht: in 4 Stunden, 6 Minuten.

4:06 Stunden, das ist ziemlich gut!

Ja, nicht schlecht. Die letzten Kilometer durch den englischen Garten bis zum Stadion, das war ein Gefühl wie bei den Olympischen Spielen.

Schöne Metapher: Ihre 13 Jahre in Magdeburg haben mittlerweile auch Marathon-Distanz. Eigentlich wären es ja nur zehn Jahre gewesen …

Dreizehn Jahre sind ungewöhnlich lange, ja. Aber wegen der Bewerbung Magdeburgs zur Kulturhauptstadt Europas hat mich der OB ja gebeten, noch drei Jahre ranzuhängen. Ich fühlte mich fit und habe gesagt: Gut, dann bleibe ich. Aber dann kam Corona und manchmal zwischendurch habe ich gedacht: Gott, du hättest jetzt dein Haus und deinen Garten ...

Nach zwei Pandemie-Jahren können wir jetzt wieder an eine Art „normale“ Spielzeit denken. Wie ist Ihr persönliches Gefühl für die neue Saison?

Es ist ja noch nicht vorbei, also planen wir nach dem Ist-Stand. Und der ist: die Zahlen gingen nach unten, es gab deutliche Lockerungen, mehr werden geimpft. Aber im Hinterkopf ist immer, dass da eine neue Virusvariante kommen kann. Also denke ich, dass wir die ganze nächste Spielzeit mit Einschränkungen leben müssen.

Was bedeutet das für die Premierenabfolge?

Wir organisieren es so, dass die bis Ende Januar geplanten Premieren alle Corona-tauglich sind. Also Stücke ohne großen Chor. Wir haben jeweils eine Orchesterfassung bereit, falls der Orchestergraben tabu ist. Danach wird es natürlich schwer, dann haben wir zwei große Chorwerke auf der Bühne. Aber in einer extremen Situation muss man erfindungsreich sein, und manchmal kommen auch gute Sachen raus. Wie z.B. wenn man auf der Bühne Abstand halten soll und sich nicht küssen kann, dann strecken z. B. Romeo und Julia eben die Hände aus und berühren sich ganz vorsichtig. Das kann ergreifend sein. Andererseits: eine Bühne voll mit 60 Mann – das ist die Oper und das fehlt mir schon.

Es ist Ihre 13. Spielzeit, Ihre letzte. Sie haben in den 13 Jahren immer wieder Opern gespielt, die die Magdeburger nicht kannten wie „Vanessa“ oder „Dantons Tod“, aber auch so beliebte wie „La Traviata“ oder „Tosca“. In der kommenden Spielzeit treffen „Grete Minde“ und „My Fair Lady“ aufeinander. Ihr Konzept beinhaltete oft beides, Risiko und Populäres?!

Ich denke, dass unser Konzept, alles für ein möglichst breites Publikum anzubieten, der richtige Weg ist. Ich denke, jede Stadt ist anders, es gilt die jeweilige Stadt zu kapieren. Man darf ja auch nicht vergessen, dass wir in erheblichem Maße öffentliche Gelder bekommen. Die Leute zahlen für uns und egal ob es „Arsen und Spitzenhäubchen“ im Schauspiel oder das Domplatz Open Air ist oder das Gedenkkonzert zum 16. Januar, die Leute haben ein Recht darauf.

Was sind die Wagnisse der neuen Spielzeit?

Wir machen eine deutsche Erstaufführung „Figaro lässt sich scheiden“ von der jungen russischen Komponistin Elena Langer, inszeniert vom weltberühmten Sir David Pountney und dann die Uraufführung „Grete Minde“ des deutsch-jüdischen Komponisten Eugen Engel, das ist für mich vielleicht das wichtigste Stück überhaupt, denn dieser Mann wurde im Vernichtungslager Sobibor ermordet, keines seiner acht Geschwister überlebte die Shoah. Die Familie floh nach Amerika, nahm die Noten mit. Nach achtzig Jahren bekommt das Werk nun seine Uraufführung. Unglaublich! Dass die Familie das erleben kann, ist wahnsinnig wichtig.

Mit Sir David Pountney haben Sie einen sehr berühmten Regisseur für „Figaro lässt sich scheiden“ engagiert!

David Pountney kenne ich noch von der Welch National Opera. Ich war dort Regieassistentin und wir sind in Kontakt geblieben. Es macht eine Menge Spaß, wenn man seinen früheren Chef engagieren kann (lacht). Ich finde die Musik genial. Die Aufführung wird eine Koproduktion mit der Welch National Opera. Die Uraufführung war in Wales. Die Sänger sind eine Mischung aus beiden Ensembles. Bei der Philip-Glass-Oper „Der Prozess“ gab es damals eine Kooperation mit der Covent Garden Opera. Solche europäischen Koproduktionen sind interessant, da können wir der Politik etwas zurückgeben und Magdeburg bekannt machen! Aber natürlich wird man nicht so viele Karten verkaufen wie für „My fair Lady“.

Ihre Vorliebe für Barockoper passte perfekt zu Telemann. Als Sie 2008 nach Magdeburg kamen, wollten Sie vor allem seinen „Socrates“ aufführen. Aber daraus wurde nichts ...

Ja, Socrates ist von allen Telemann-Opern mein Liebling, aber er war da gerade erst in Magdeburg gelaufen. So war das Telemann-Zentrum nicht dafür. Aber z. B. mit der szenischen Erstaufführung von „Miriways“ und der Aufführung von „Orpheus“ mit Solisten und Orchester der Opera Fuoco Paris haben wir in den Jahren wichtige Akzente gesetzt. Wichtiger noch: Vor meiner Intendanz hat man Telemann mit dem Kapellmeister vom Haus und dem hauseigenen Orchester gespielt, ich wollte das mit Spezialisten machen, also Barockorchestern und Barockspezialisten. Das hat das Niveau gehoben. Ich denke, mein Nachfolger wird da sicher weitermachen.

Im Musical haben Sie das ja ganz ähnlich gehandhabt und Spezialisten geholt.

In der Tat. Man muss Musical genauso ernst nehmen wie Oper. Auch hier bin ich der Auffassung, dass Musical-Spezialisten eine Aufführung auf einen anderen Rang heben. Wenn ich sehe, wie Magdeburg in seinem deutschlandweiten Ansehen als Musicalort gestiegen ist, dann bin ich darauf stolz.

Beim Schauspiel haben Sie einen anderen Ansatz gewählt, regionale Themen dominierten, allen voran der von Cornelia Crombholz über die gesamte DDR-Zeit gespannte, vierteilige Stückebogen.

Ja, aber diese regionale Ausrichtung galt schon für Jan Jochymski, dem ersten Schauspieldirektor in meiner Amtszeit. Mir schien es damals wichtig, dass ein Schauspieldirektor die regionale Geschichte, die der neuen Bundesländer, anspricht, Cornelia Crombholz hatte sicher noch eine breitere Erfahrung. Was war das für ein Coup von ihr mit der „Präsidentin“ mit Corinna Harfouch!

Den Einstieg in Ihre letzte Saison bildet ein Monolog nach dem gefeierten Roman „Der Hals der Giraffe“, von Jutta Schalansky, der die Verwerfungen in der ostdeutschen Region nach 1990 widerspiegelt. Haben Sie das mit Absicht an den Anfang gesetzt, schließlich ist es eine passende Metapher auf die Gesellschaft derzeit, Auflösungsprozesse, Zukunftsunsicherheit – und das nicht nur im Osten?

Ja, aber das war nicht meine Intention, sondern die von Tim Kramer. Ursprünglich war es nicht so geplant. Wir haben darüber gesprochen und ich habe nur gesagt: „Ich finde es genau das Richtige“.

Die Musiktheatersaison eröffnen Sie mit Verdis „Falstaff“.

Die Oper war ursprünglich für die vorige Spielzeit vorgesehen. Ein Vorteil: Sie hat keinen großen Chor. Das Stück spielt sich mit Abstand ganz gut. Und es ist Verdis letztes Werk, eine Komödie. Tutto nel mondo è burla – die ganze Welt ist verrückt geworden. Ich finde, dieser Satz perfekt zu diesen verrückten Zeiten passt. Und ich mag Verdis Humor.

Nochmal Grete Minde. Kannten Sie die Novelle von Fontane?

Nein, ich kannte sie vorher nicht. Die Geschichte ist rührend. Über Jahrhunderte war sie die Böse, die Tangermünde angezündet hat und dann entpuppt sich diese Überlieferung als nicht wahr. Es war der Mut dieser Frau, um 1615 zu sagen: Ich komme zurück, um mein Erbe zu bekommen. Der Bruder will es ihr nicht geben, sie kämpft und geht zum Richter und am Ende foltert man sie und sie wird verbrannt. Heute gibt es eine Statue in der Stadt. Und ich kann sagen, dass die Tangermünder sehr interessiert sind an dieser Geschichte und auch an der Oper. Aber wir müssen hoffen, dass wir sie so zeigen können. Es gibt da viel Chor und Kinder auf der Bühne, das Orchester ist riesig. Wir wollten gern eine Frau für die Regie haben. Mit Olivia Fuchs, die in Magdeburg (u.a.) einen wunderbaren „Rosenkavalier“ inszeniert hat, haben wir die Richtige gefunden.

Woher wussten Sie, dass die Partitur etwas taugt?

Unsere Musiker haben das direkt aus der Partitur ein bisschen gespielt und wir haben gleich gedacht: Das ist sehr interessant. Auch das Libretto. Es stammt übrigens von Hans Bodenstedt, einem gebürtigen Magdeburger. Wir haben dann die Ausarbeitung in Auftrag gegeben.

Darf ich noch etwas anderes sagen, was mich sehr verwundert hat: Vor meiner Zeit wurde der weltbekannte wunderbare Pianist Menahem Pressler, der aus Magdeburg stammt, jahrelang nicht ein einziges Mal nach Magdeburg eingeladen. Und als dieser Weltmusiker Menahem Pressler dann hier gespielt hat, konnten wir den Rundfunk, den MDR, nicht überzeugen, nur ein einziges Mal einmal eine Aufnahme zu machen. Das hat mich schon ein bisschen schockiert. Weil man denkt, das ist ein weltbekannter Musiker. 

Lassen Sie uns über Geld reden. Über Theater-Etats. Als Sie 2008 kamen, wussten Sie, dass Sie ein 1,8 Millionen-Loch aus Tarifaufwüchsen übernehmen. In welcher finanziellen Verfassung werden Sie das Theater Magdeburg 2022 nach den Corona-Spielzeiten an Ihren Nachfolger übergeben?

Wir haben das große Glück, dass das System der Kurzarbeit in Deutschland in der Krise hervorragend funktioniert hat. Diese Kosten trägt der Bund und entlastet dadurch die Kommunen. So haben wir am Ende in 2020 trotz fehlender Zuschauereinnahmen ein Plus gehabt. Die Stadt hat es uns als Polster gelassen: Für die neue Spielzeit und für die Übergabe. Das wissen wir zu schätzen, denn wir wissen doch gar nicht, wie lange das alles dauert. Und wir wissen auch nicht, ob das gesamte Publikum danach auch wiederkommt.

Gutes Stichwort: Zur Bilanz Ihrer Intendanz gehört, dass Sie insgesamt den Anteil der Zuschauer­einnahmen erhöht haben.

In der Tat: Als ich kam, war unsere eigene Einnahme bei unter 8 Prozent, wir haben es auf fast 13 Prozent erhöht, teilweise durch den Domplatz, aber auch durch Änderungen, wie vier Premieren schon im Herbst, was sehr anstrengend für das Ensemble war.

Am Beginn der Ära Stone stand Mozarts „Don Giovanni“. Nun beenden Sie mit einer Inszenierung Ihre Laufbahn als Regisseurin in Magdeburg. Warum Don Giovanni?

Dreimal schrieb Da Ponte das Libretto für Mozart Opern: „Figaros Hochzeit“, „Cosi fan tutte“ und „Don Giovanni“. Und ich habe zwei davon hier inszeniert und da fehlte mir noch der „Don Giovanni“.

Und was ist für Sie als Regisseurin daran interessant?

Es passt in diese politisch korrekten Zeiten. Es ist witzig, manchmal ein bisschen hart und unglaublich modern in vielen Einstellungen. Und es ist ein wunderbares Werk!

Auch für Ihren Ballettchef ist es die letzte Spielzeit in Magdeburg.

Und da werden wir noch eine wunderbare „Paquita“ erleben. Er war damals ja schon von Tobias Wellemeyer als Nachfolger von Irene Schneider engagiert. Er wollte klassisches Ballett weitermachen und ich weiß, er hat es nicht einfach gehabt. Aber er hatte Ideen und das Publikum hat auf seinen Stil sehr schnell reagiert und war ihm treu. Es freut mich, dass er so lange hiergeblieben ist.

Und dann wäre da noch das Thema Domplatz Open Air. Es war ein langer Weg bis es dahin gekommen ist, Rotehorn, Elbauenpark. In der Saison, bevor Sie kamen, gab‘s mit „Titanic“ dann den einen Riesenerfolg auf dem Domplatz.

Bei seiner Premiere in Hamburg war „Titanic“ ein Misserfolg, aber hier hat es funktioniert und da habe ich gleich kapiert, das ist genau das richtige Genre für Magdeburg. Das bringt Leute von überall aus Deutschland. Die sehen das Stück, sie erleben die Atmosphäre auf dem Domplatz, sie übernachten und sie geben viel Geld aus. Das Domplatz Open Air ist sehr gut für die Wirtschaft hier, die Gastronomie, die Hotellerie. Aber man muss einen Ruf etablieren, sonst kriegst du die Rechte nämlich nicht. Die Verlage schauen genau, sind sehr spezifisch. Die wollen genau wissen: Wo spielst du das, wer ist der Regisseur? Wer singt die Hauptrolle. Du musst ein komplettes Storyboard einreichen, um eine Genehmigung zu bekommen. Und da haben wir für Magdeburg einen Ruf aufgebaut, so dass wir absolut kein Problem mehr haben.

Andererseits sind die Zeichen deutlich, dass es ein Domplatz Open Air nach Ihnen nicht mehr geben wird, dass man einen anderen Ort favorisiert.

Ich kann nicht für den Kollegen sprechen, aber sowohl zu ihm als auch zum Oberbürgermeister habe ich gesagt, dass man sicher überall Aufführungen machen kann, aber ob das dann auch wirtschaftlich funktioniert, steht auf einem anderen Blatt. Denken Sie daran, dass die Stadt beim Domplatz-OpenAir kein zusätzliches Geld gibt, anders als etwa bei den Domstufenspielen in Erfurt oder in Braunschweig. Wir haben in Magdeburg sogar eine 3000-Euro-Rechnung für Müll bekommen, nicht einmal das hat man uns erlassen. So kostet eine Produktion um die 950.000 Euro und wir brauchen eine Auslastung von 94 % um das zu erwirtschaften. Ich kann nur sagen, dass überall auf der Welt die Kulisse für ein solches Open Air außerordentlich wichtig ist, egal ob in Erfurt, Worms oder Magdeburg. Und wer es nach Rotehorn verlegen will, der muss wissen, dass dann nicht das Publikum von fern herkommt. Finally: Die Stadt muss sich entscheiden, was sie will. Und da gibt es Leute, die es nicht wollen und die sind natürlich sehr laut. Aber erstens; Du wirst diese 1 Million Kosten im Rotehornpark nicht einspielen, und zweitens; die Kosten steigen. Denken Sie nur an die Logistik nachts im Park, das wird schwer sein. Aber ich sage es mal so: Es ist dann nicht mehr mein Problem.

Dennoch: Sie haben da einen kulturellen Leuchtturm aufgebaut, der weit über Magdeburg hinaus strahlt, das kann Ihnen doch nicht egal sein, wenn so etwas mit Ansage zusammenbricht.

Nein, natürlich nicht. In jedem Theater, das ich verlassen habe, gab es zwei Jahre lang danach Anrufe: „Was denkst du hierzu, was sollen wir dort machen“. Und natürlich geht es nicht nur um die Kunst, es geht um 450 Leute, die hier arbeiten, Familien, die davon abhängig sind. Ich will, dass der neue Intendant eine Chance hat, etwas aufzubauen. Insofern liegt mir daran, eine gute Übergabe zu machen. Andererseits können die Dinge nicht gleichbleiben, es muss neuen Sauerstoff, ein neues Konzept geben. Aber manchmal baut man etwas ab, um hinterher festzustellen: Das war nicht so toll.

Zum Abschluss nun „Rebecca“.

Es tut mir sehr leid, dass wir „Hairspray“ nicht machen konnten, aber „Rebecca“ liebe ich auch, ein englischer Stoff.  Mir gefällt in dem Zusammenhang, dass nach der letzten Vorstellung im nächsten Sommer auf dem Domplatz alles in Flammen aufgeht, also das Haus Mandalay in „Rebecca“. 

Und was kommt nach 2022? Da haben Sie ja auch noch runden Geburtstag.

Ja, ausgerechnet am 30. Juli, dem letzten Tag meines Vertrages, werde ich 70. Und das ist eine gute Zeit, etwas Neues anzufangen. Dann wird endlich Zeit sein für den Garten, für das Haus im Loire-Tal. Aber ganz ohne Musik wird es nicht gehen. So ist der Plan, dort ein Musikfestival zu gründen.

Danke für das Gespräch.

Das Interview wurde bereits im August 2021 geführt

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