Die Leitwölffin

Zu DDR-Zeiten führte Renate Wolff die mondäne „Buttergasse“, ihre Blütezeit als Szenegastronomin hatte sie ab 1991 mit dem „Alten Dessauer“. Nach einem Leben auf der Überholspur – bis zuletzt eine Zigarette im Mund – ist sie mit 77 Jahren gestorben.

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Kein Zweifel: Renate Wolff war für die Gastronomie geboren, eine äußerst engagierte, höchst intelligente Frau. Nach dem Abitur fing sie zügig bei der Handelsorganisation (HO) der DDR an, war in den 1970ern dort für den Einkauf, für Großveranstaltungen und deren künstlerische Umrahmung zuständig, per Fernstudium strebte sie später einen Abschluss an der Hochschule für Gastronomie an. Nach Stationen im „Stadion Neue Welt“ und als Gaststättenleiterin im „Donezk“ – im damaligen „Haus der DSF“ – übernahm sie 1981 die „Buttergasse“. Das tief unter dem Alten Markt liegende Gewölbe aus dem 12. Jahrhundert war die Spezialadresse Magdeburgs, in der die höchste Preisstufe „S plus 10 Prozent“ galt. Es war sowohl Speiselokal als auch mondäne Tanzbar. Schon dort kannte sie sich mit Politprominenz aus: Über die Jahre waren so ziemlich alle dort gewesen, die im Bezirk und darüber hinaus Rang und Namen hatten. „Wenn man Glück hatte, und mich kannte, hat man auch einen Platz bekommen“, hat sie mal gesagt.   

Mit der Auflösung der DDR war 1990 Schluss in der „Buttergasse“. Im Gegensatz zu anderen Läden fand sich für das Gewölbe kein Investor. Aber in dieser beginnenden neuen Zeit hatte sie bereits Pläne für einen eigenen Laden, „Zum Alten Dessauer“, der Mitte 1991 am Hassel seine Türen öffnete. Der „Dessauer“ entwickelte sich schnell zum angesagten Treff für Di-Mi-Do-Wessis, die Jobs in den sich neu konstituierenden Ministerien und Behörden übernommen hatten, und hier ihre „Buschzulage“ vertrinken wollten, dazu viele Selbstständige, Politiker und Medienleute. Im „Dessauer“ wurde abends reale Politik gemacht, auf einer Serviette soll der damalige Sozialminister Werner Schreiber dort den ersten Entwurf für die Bördelandhalle gezeichnet haben. Mittendrin stand Renate Wolff und gab den Ton an. Legendär war auch ihr Festzelt zu Pfingsten, erst auf dem Zentralen Platz, dann am Domplatz. So galt: Wo sie in den 1990er Jahren war, dort war vorn. Sie war nicht nur die erste, die Bieranstiche in der Stadt wieder richtig zelebrierte, nein, sie brachte mit ihrem „Dessauer“ auch die sich entwickelnde Kneipenmeile um den Hasselbachplatz in Schwung. Dabei war sie ein Kumpel durch und durch mit großem Herz und einem noch größeren Freundeskreis. Wer sie nicht kannte, konnte sie mit ihrer manchmal robusten Art und der rauhen Stimme durchaus als schroff wahrnehmen. Sie war eben eine Anführerin, eine Leitwölfin. Andererseits: wer ihr näher stand, wusste, dass sie eine sehr weiche Seite hatte, aber die gut zu verstecken wusste. 

Ihre letzte gastronomische Station war die „Alte Oberförsterei“  in Biederitz. Als sie sich dort dann zurückzog – zurückziehen musste – lebte sie ihr Rentnerdasein wie zuvor: ließ sich im großen langjährigen Freundeskreis feiern und machte einfach das, was ihr gefiel. Das hieß vor allem: immer eine Zigarette im Mundwinkel, gern ein Glas an den Lippen. Und immer ihre Hunde dabei. Ihren letzten großen Auftritt hatte sie wohl im September 2019, als sie der Stargast beim Re-Opening der Buttergasse war und das Band durchschnitt. Alles in allem: Es war ein Leben auf der Überholspur, das im privaten Bereich, soviel darf man sagen, auch heftige Kratzer an der Leitplanke hinterließ. Nun ist sie mit 77 Jahren gestorben – und Magdeburg hat mit ihr eine charismatische Gastwirtin verloren. 

Eine Gedenkfeier für Renate Wolff findet am 13. Februar um 17.30 Uhr im OLi statt.

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