"Ich möchte mehr gärtnern"

Als Regina-Dolores Stieler-Hinz im Sommer 2020 ihr Amt als neue Beigeordnete für Kultur, Schule und Sport antrat, befand sich Magdeburg bereits im Ausnahmemodus. Acht Monate später sind erste Zeichen einer Normalisierung erkennbar. Dazwischen lag das Finale um die Europäische Kulturhauptstadt und ungezählte digitale Konferenzen, in denen es um Notprogramme und den Fortbestand von Kulturbetrieben ging. Und nun? Wie geht‘s weiter mit der Kultur?

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© Engelhardt

Frau Stieler-Hinz, Sie haben vom Schwamm­modus gesprochen, als Sie ihr Amt antraten. Alles erstmal aufsaugen. Ist die Phase jetzt, acht Monate später, vorbei? 

Leider kann ich das noch nicht bestätigen. Einfach weil durch die geltenden Beschränkungen Magdeburg noch nicht bei 100% angekommen ist. Da gibt es noch einiges zu entdecken, zu erleben. So hätte ich mir gewünscht, dass meine Schwammphase, wie ich das genannt habe, viel mehr vom Miterleben von Kultur, von persönlichen Begegnungen gelebt hätte.

Zwölf Monate Stillstand – und noch kein wirkliches Ende in Sicht. Was ist jetzt kurzfristig zur Rettung der Kultur(betriebe) in der Stadt zu tun?

Ich bin ein großer Fan eines ganzheitlichen Blicks auf die Lage, aber als Kommune müssen wir den Verordnungen folgen. Für die noch unbestimmte Zeit danach haben wir noch keinen Akutplan, auch weil die Öffnungsszenarien angesichts der aufflammenden pandemischen Lage einfach noch zu viele Vorbehalte drin haben. Es wird darum gehen, alles so flexibel zu gestalten, dass wir bestmöglich Rücksicht nehmen können. Bereits im letzten Jahr hat die Stadt 100.000 Euro Soforthilfe beschlossen. Gerade hat der Stadtrat noch einmal 100.000 Euro für einen Soforthilfefonds beschlossen, damit unterstützen wir Pilotprojekte zur Wiederaufnahme des Kulturbetriebs, aber auch die Entwicklung digitaler bzw. hybrider Formate und Pop-up-Projekte mit bis zu zehntausend Euro. Antragsberechtigt sind freiberufliche Künstler*innen, Solo-Selbstständige, Kulturschaffende, die ab 1. April vom Kulturbüro bearbeitet werden.

Fünf Monate sind seit dem Kulturhauptstadtfinale vorbei. Mit Abstand betrachtet …

…tut es immer noch weh. Wir haben uns ganz schön schütteln müssen. Mein Spruch dazu heißt aber auch: Wir haben zwar nicht gesiegt, aber wir können als Gewinner aus der Sache herausgehen.

Klingt toll. Was meinen Sie damit? 

Indem wir uns nicht nur geschüttelt haben, sondern unsere Kräfte gebündelt haben. Also: wie können wir den Benefit aus unserem Bewerbungskonzept in Abgleich mit der Kulturstrategie „Kultur mit allen“ nachhaltig in eine kulturelle Roadmap transferieren, für einen Magdeburger Weg, um unsere Kulturstadt noch mehr strahlen zu lassen, wie ich das nennen will.

Eine Idee, die unabhängig von der Kulturhauptstadt weitergeführt werden sollte, ist die „Akademie für Darstellende Kunst und Musik“. Wie ist der Stand der Dinge?

Die Idee eines solchen polyästhetischen Ausbildungshauses ist gut. Aber so wunderbar die Idee ist, eine Grundlage dafür war, das gemeinsam mit unserer Universität durchzuführen, diese Grundlage gibt es angesichts der Hochschulplanung des Landes leider nicht mehr. Damit ist ein wichtiger Bestandteil für eine solche Akademie verloren gegangen. Wir sollten jetzt weniger darauf schauen, was wir nicht haben, als auf die bestehenden Stärken unserer Hochschullandschaft in Zusammenarbeit mit der Universität und der Hochschule.

Woran denken Sie? 

Ich denke an die Digitalität der Kultur, davon spreche ich eigentlich noch viel lieber als von der Digitalisierung, und da gibt es gute Möglichkeiten, das auch gemeinsam mit der Universität und der Wissenschaft zu tun. Wir haben da zum Beispiel den Elbdom, da gibt es gute Möglichkeiten, digitale und hybride Formate, 3D-Projektionen und so etwas.  

Welche Rolle spielt die Kulturstrategie 2030 nach der gescheiterten Kulturhauptstadt-Bewerbung? Dort heißt die Leitidee „Kultur mit allen“, es geht um eine „Kultur des Ermöglichens“, also dass Kultur auch von allen mitgestaltet werden kann. 

Das ist die Herausforderung. Wenn es dafür die Blaupause schlechthin gäbe, dann hätten die Kulturschaffenden weltweit sie längst angewandt. Aber so einfach ist es mit der Umsetzung der Norm „Kultur für alle, Kultur von allen“ nicht. Man muss sich auch manchmal eingestehen, was geht und was nicht.

Heißt, sie streben nach mehr Beteiligung, wissend, dass es nicht unbedingt klappt, einfach weil nicht alle mitmachen wollen?

Ja genau. Dazu stehe ich auch. Wenn ich das höre, das z.B. zu Telemann-Festspielen doch mehr jungen Menschen kommen müssten oder welche mit Migrationshintergrund, dann ist das an den Interessen vorbei ein Wunschdenken. Ich glaube, es gibt in jeder Lebensphase etwas, das besser schmeckt als in andere Phasen. Das muss man akzeptieren. Woran wir unsere Arbeit messen lassen müssen, ist, dass die Teilhabe jederzeit für jeden und jede möglich ist, aber wir müssen auch akzeptieren, dass nicht jeder der Einladung folgt. Ich habe selbst drei halberwachsene Kinder und weiß wovon ich rede. Also gilt es auf unserem weiteren Weg zu experimentieren, Möglichkeiten zu schaffen, aber es auch zuzulassen, dass es nicht die erwünschte Reaktion gibt.

Die Kulturstrategie 2030 ist im Normalzustand vor der Pandemie entstanden. Aus der Not heraus hat sich die Freie Kulturszene im Netzwerk organisiert, was die Kommunikation sicher vereinfacht ...

… und total wichtig ist. Mehr denn je gilt es doch, den Dialog zu führen, Kultur wird sich in Zukunft mehr plausibilisieren müssen, einfach weil die Ressourcen knapper werden. Auch gilt es, davon wegzukommen, eine Kategorisierung von Kultur vorzunehmen.

Sie meine Hoch- und Subkultur?

Ja, auch Begriffe wie in­­stitutionalisierte, oder Off-Kultur. Letztlich geht es um Teilhabe, egal woher wir wechkommen, wie man bei uns im Ruhrgebiet sagt.

Das Theater Magdeburg, teuerster Kulturbereich, steht mit dem Wechsel der Intendanz im Sommer 2022 vor Veränderungen. Bei der Wahl des eher unerfahrenen Chavaz haben Sie bereits aktiv mitgewirkt. Was hat Sie für ihn eingenommen?

Es ist ja nicht so, dass ich von vorn herein gesagt habe, ich brauche diese oder jenen. Wir wollen die Erfolgsgeschichte des Theaters Magdeburg fortsetzen, aber andererseits auch weiterentwickeln. Und ich denke, es ist uns gelungen, so eine Person mit Julien Chavaz zu finden. Der vielleicht noch nicht durch sein Lebensalter etwas vorweisen kann, aber durch seinen Blick, sein Interesse und die Fähigkeit, Kunst zu vermitteln, neu zu denken, Menschen mitzunehmen, gleichzeitig zu wissen, dass es dafür auch Strukturen braucht.

Keine Sorge, dass die Herausforderungen eines 400-Mann-Hauses wie das Theater Magdeburg ein zu großer Entwicklungssprung ist?

Nein. Absolut keine Sorge.

Stichwort „DomplatzOpenAir“ – Handlungsempfehlung der KST: Überlegungen zu Alternativen zum „DomplatzOpenAir“ und zu Standorten fürs Sommertheater. Was schwebt Ihnen für die stärkste Kulturmarke ab 2023 vor? 

Das müssen sie Herrn Chavaz fragen, er macht sich da noch ein Bild. Ich freue mich zunächst einmal sehr auf „Rebecca“ im nächsten Jahr. Ich freue mich, dass es damit einen würdigen Abschluss der Intendanz von Karen Stone gibt, denn das Projekt DomplatzOpenAir ist ja ihr Baby. Ansonsten steht es uns gut an, immer wieder zu überprüfen, ob es noch passt. Heißt, es gibt keine Garantie, dass das DomplatzOpenAir fortgesetzt wird, andererseits auch keine, dass es nicht fortgesetzt wird. Letztendlich geht es darum, ein kulturelles Highlight zu setzen, das über Magdeburg hinaus strahlt. Aber die Frage muss immer wieder gestellt werden: Passt es noch vom Setting. Da habe ich selbst noch keine fertigen Antworten, auch weil ich diese sicherlich besondere Atmosphäre noch nicht selbst erlebt habe. Bisher kenne ich nur die Bilder vom vollen Domplatz, auch die Bilder von Baustellen, die manch einem zu lange dauern.

Wie begegnet man dem drohenden Leerstand in der Innenstadt? Gibt es eine Antwort der Kultur? Die Kulturstrategie spricht jedenfalls von Design Thinking – „Leerstellen und leeren Flächen zu identifizieren, sie kreativ zu beleben und nachhaltig zu gestalten“ 

Es gibt darauf keine Antwort der Kultur. Kunst und Kultur können unterstützend sein für gesellschaftliche Prozesse, aber sie haben auch einen Eigenwert an sich und sie werden nicht die Probleme in anderen Bereichen lösen können, sei es im sozialen, im wirtschaftlichen oder im Bildungsbereich.  

Sie streben ein jährliches Kulturforum „Kultur mit allen“ an. Gibt‘s schon einen Termin für 2021?

Es ist ein Format, bei dem wir in den Austausch kommen wollen mit allen Kulturschaffenden über unsere kulturelle Roadmap. Den ersten hatten wir bereits am 27. März, dort aber natürlich noch im kontaktfreien virtuellen Format, aber spätestens im Herbst wollen wir uns endlich richtig gegenübersitzen. Gerne in Präsenz, denn diese Begegnungen sind es, die uns derzeit am meisten fehlen.   

Ihr eigenes großes Projekt heißt: Alle Museen im Ausstellungsthema „Feeling East“ zu vereinen.

Wenn ich zuvor noch mal einen Schritt zurück kann. Bei allem was wir in Zukunft weiter beraten, geht es mir darum, unsere Stärken zu stärken. Wenn wir mal das Bild des Kulturgartens nehmen, dann möchte ich ihn nicht einfach nur vergrößern, sondern ich möchte gärtnern. Ja, ich verstehe mich als Gärtnerin. Dazu gehört säen und düngen, Hege und Pflege, dazu gehört auch mal das Zurückschneiden von einzelnen Trieben. Beim angedachten Ausstellungsprojekt „Feeling East“ geht es um die Transformation von 30 Jahre vor bis 30 Jahre nach der Wiedervereinigung. Also ein Betrachtung in Aspekten der einzelnen Museen. Es wäre die wunderbare Grundlage für die erste gemeinsame Kooperation aller Magdeburger Museen.

Für wann ist Feeling East geplant? 

Idealerweise für 2025, denn Projekte solcher Größe bedürfen Vorlaufzeit.

Danke für das Gespräch.


Zur Person: Die 52-Jährige stammt aus dem Ruhrgebiet. Sie ist studierte Sozialwisschenschaftlerin. Ab 2013 war sie zwei Jahre lang Bundesvorsitzende der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands und ab 2015 bereits als Kultur-Beigeordnete in Minden in Nordrhein-Westfalen tätig. Seit Sommer 2020 ist sie nun die neue Magdeburger Beigeordnete für Kultur, Schule und Sport.     

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