Magdeburg: Fahrradstadt?

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©Engelhardt

Freitagnachmitag auf der Schönebecker Straße. Vom Schleinufer biegen immer neue Blechlawinen ein, drängen zwei­-­spurig Richtung Süden. Dr. Dieter Scheidemann rollt auf der erst 2016 neu angelegten Radspur mit. Die Variante des auf Fahrbahnniveau abgesenkten Radweges gilt als sicherer, insbesondere an Kreuzungen werden Radfahrer von rechtsabbiegenden Autos nicht mehr so leicht übersehen. Den Abschnitt der Schönebecker Straße sieht Magdeburgs Baudezernent als eine der vielen gut umgesetzten Investitionen in eine bessere Radverkehrsinfrastruktur.  

Mit aktuell gut 240.000 Einwohnern hat Magdeburg eine sehr kompakte Größe, die ideal für eine Fahrradstadt ist. Von den Stadträndern sind es meist deutlich weniger als 10 Kilometer bis ins Zentrum, eine Entfernung, bei der Fahrräder im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern die günstigste und in aller Regel auch die schnellste Lösung in der täglichen Rushhour sind. Aber der ADFC hat in einer Analyse aufgezeigt, dass gerade auf solchen Kurzstrecken von 5-10 km in Magdeburg nur 7 % des Verkehrs tatsächlich mit dem Rad gemacht werden. Kurz: die meisten Berufstätigen beschränken den Einsatz des Zweirads aufs Wochenende. Im Alltag setzt die Mehrzahl auf Auto und ÖPNV.

Vom Stadtrand in 15 Minuten

Die Vorteile des Radverkehrs hat man auch im Baudezernat von Dr. Scheidemann erkannt und investiert verstärkt in eine bessere und attraktive Infrastruktur. So ein Ausbau bringt viele Vorteile, auch eine Entlastung des Autoverkehrs. In Magdeburg sorgt die Lage am Fluss und die wenigen Autobrücken für eine besondere Situation: Wer von Ostelbien in die Südstadt will, für den ist die Direktverbindung durch den Stadtpark bei Komfort und Schnelligkeit unschlagbar.

Tatsächlich hat sich in den letzten Jahren einiges entwickelt. Aus fast allen Stadtteilen gibt es mittlerweile verkehrsarme bzw. verkehrsfreie Verbindungen Richtung Zentrum. Nach dem Vorbild des gelungenen Schroteradwegs Diesdorf-Stadtfeld verbindet der 2016 eröffnete Sülzeradweg nun den Neustädter See mit der Alten Neustadt. Auf dem mit Tempo 30 limitierten Lorenzweg kommt man bestens aus Nordwest Richtung Universität und aus Osten sind die breiten Radtrassen entlang der B1 über die Elbe hinweg ein echter Schnellweg. Und Radler aus den südlichen Stadtteilen rollen entweder durch die Glacisanlagen nordwärts zur Uni oder vereinen sich ab dem Elbbahnhof auf der verkehrsfreien Elbuferpromenade.

Einspruch per Petition

Die Vorgaben des beschlossenen Rahmen-verkehrs­plans tragen Früchte. Dem ADFC geht das trotzdem nicht schnell genug. Die Millionen Euro für den sogenannten „Bahnhofstunnel“ hat Magdeburgs ADFC-Vorsitzender Norman Dreimann mal die „beste Investition in den Radverkehr Magdeburgs“ genannt. Es war Ironie mit wahrem Kern: tatsächlich hat die Schließung des Verkehrsnadelöhrs notgedrungen zu einer sichtbaren Zunahme von Radpendlern geführt. Aber eigentlich geht es natürlich um direkte Investitionen in bessere, sichere Radwege. Im letzten Jahr initiierte der ADFC eine Petition, um den Stadtrat und den Magistrat zu verpflichten, jährlich mindestens 8 Euro je Einwohner in den Ausbau der Radwege zu investieren, also ca. 2 Mio Euro pro Jahr. Das notwendige Quorum der Petition „Fahrradstadt Magdeburg. Jetzt“ wurde erreicht, aber die gut 2500 Petitionäre waren dem Stadtrat dann doch nicht repräsentativ genug angesichts der 240.000 Einwohner. Mehr Beteiligung der Bürger bei dieser direkten Form der Demokratie hätte vermutlich geholfen.

Baudezernent Scheidemann relativiert dazu, dass mit den vielen Bauinvestitionen, auch an den Bahnhofsbrücken, eben auch Radinfrastruktur realisiert wird und es eine Balance zu den Interessen der vielen kraftfahrenden Bürger zu wahren gäbe. Dennoch: der Radverkehr hat sichtbar mehr Priorität bekommen. Bei den im Zuge des ÖPNV-Ausbaus umgestalteten Haupteinfallstraßen wurden in den letzten Jahren stets auch die Belange des Radverkehrs in den Vordergrund gestellt. Paradebeispiel hierfür ist die Leipziger Straße. Der Radweg fließt hier gut abmarkiert mit. Kein Vergleich mehr zum autogerechten, aber für Radfahrer lebensgefährlich ausgeführten Umbau der Halberstädter Straße in den 90er Jahren. Ein Ärgernis an solchen Altbaustrecken sind u.a. die zu hoch verbauten Randsteine der Radwegauffahrten an Kreuzungen. Scheidemann kennt das Problem und hat reagiert: „Ich habe verfügt, dass zu jeder Straßenbaumaßnahme ein Audit mit den Bauunternehmen stattfindet.“

Und im August des vergangen Jahres organisierte die Stadt einen Bürgerbeteiligungsworkshop zur Neugestaltung der Goethestraße um hier die erste Fahrradstraße der Stadt – bei der Radfahrer Priorität haben – zu realisieren.

Es bewegt sich also etwas in Magdeburg. Aber es ist noch viel zu tun, um den Radverkehr weniger gefährlich zu machen. Erst im letzten Jahr hat der ADFC wieder zwei seiner „Ghost Bikes“ aufgestellt. Sie erinnern an tödlich verunglückte Radfahrer und weisen auf ge­-fähr­liche Kreuzungen wie an den Tangentenabfahrten hin.

Wege ins Umland

Auch bei den Stadt-Umland-Beziehungen sieht Scheidemann eine positive Entwicklung. Aus fast allen Himmelsrichtungen gibt es mittlerweile attraktive Radtrassen, die direkt in die Stadt führen. Im Norden ist das der Elbradweg, der das Umland mit Lostau und Gerwisch ebenso anbindet wie die Ortsteile südöstlich. Auch die östliche Stadt­einfahrt ist mit der alten Kanonenbahn bestens erschlossen. Dort rollt man auf dem asphaltierten Damm bis zur Alten Elbe durch. Und Im Westen sind es die parallel zu den Landstraßen führenden Radwege nach Niederndodeleben oder Irxleben, die Pendlern Sicherheit geben. Jüngste Aktivität von Scheidemann: „Auf Inititative aus dem Gewerbegebiet Osterweddingen sind wir auf der Suche nach einer geeigneten Schnelltrasse für Fahrräder.“

Ein Fahrradhaus am Bahnhof

Der Blick in die Kriminalstatistik zeigt, dass Magdeburg beim Fahrraddiebstahl in Sachsen-Anhalt vorn dabei ist. 2017 wurden in der Stadt rund 2.740 Fälle gemeldet – 1150 pro 100.000 Einwohner. Sorge sollte den täglich aktiven Fahrradpendlern machen, dass nur jeder fünfte Diebstahl 2017 aufgeklärt werden konnte. Wer also mehr Berufspendler aufs Fahrrad bringen möchte, braucht auch Lösungen für die sichere Unterbringung. Das Konzept heißt Fahrradhaus. Dieter Scheidemann: „In Magdeburg ist eines am Bahnhof geplant, direkt zwischen McDonalds und den Eisenbahnbrücken.“ Aber bevor die Baustelle an den Bahnhofsbrücken nicht fertig ist, braucht man damit nicht zu rechnen.

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