Magdeburg im Bauwahn

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© Conrad Engelhardt

Von welcher Seite man in diesen Tagen auf Magdeburgs Altstadt schaut, die in den Himmel ragenden roten Krane südlich des Doms sind einfach nicht zu übersehen. Zu ihren Füßen entsteht mit dem Domviertel gerade ein ganzes Quartier neu, und es ist nur eines von vielen Bauprojekten, die derzeit in und um die Altstadt realisiert werden. In Magdeburg wird so viel gebaut, wie seit den turbulenten Nachwende-Jahren Anfang der Neunziger nicht mehr. Klar, nachdem die Stadt ca. 2004 die Trendwende bei der Einwohnerzahl geschafft hat, ist sie seither um gut 15.000 gewachsen. Manche reden sogar von „Boomtown“. Es ist ein Trend, der in den großen ostdeutschen Städten, Leipzig und Dresden, längst durchgeschlagen hat. Nun ist Magdeburg an der Reihe. „Es gibt derzeit keine vergleichbar große Stadt in Deutschland, in der so viel gebaut wird“, sagt Peter Lackner, Geschäftsführer der kommunalen WOBAU. Für ihn ist diese massive Bautätigkeit ein Zeichen der Prosperität einer Stadt in einem historisch günstigen Zins-Zeitfenster, das man nutzen muss. In der Stimme schwingt ein gewisser Stolz mit, denn es ist gleichzeitig Fakt, dass die größten Projekte in der Stadt nicht von auswärtigen Fondsgesellschaften auf der Jagd nach Rendite sondern von Magdeburger Wohnungsunternehmen selbst gestemmt werden.

  Das neue Domviertel

Das neue „Domviertel“ im Südabschnitt des Breiten Wegs teilt sich die Wobau, entsprechend der jeweils eigenen Grundstücke mit zwei Genossenschaften, der MWG und der WG „Otto von Guericke“. Mehr als 120 Millionen Euro werden dort insgesamt investiert. Städtebaulich ist das Quartier von großer Bedeutung, soll es doch endlich die zweigeteilte Altstadt überwinden und den Lückenschluss zwischen Hasselbach- und Domplatz herstellen. Neben 230 Wohnungen entsteht auch eine neue Geschäftszeile mit Cafés, Gastwirtschaften und Läden im Erdgeschoss, dazu Arztpraxen und Büros. Alles hochmodern, energetisch effizient und barrierefrei. „Wir werden hier nicht zuletzt den modernsten Edeka-Markt Deutschlands bekommen“, schaut Lackner schon voraus. Der Großteil des Domviertels soll bis Herbst 2019 fertig sein, nur der durch ein zusätzliches Grundstück nachträglich erweiterte Abschluss zur Keplerstraße/Ecke Leibnizstraße in Regie der WOBAU wird erst 2020 fertig.

  Hafencity und Luisenturm

Gebaut wird auch anderswo in der Stadt. Prominentestes Projekt ist sicher der „Blaue Bock“ zwischen Karstadt und Allee-Center, Bauherr sind dort die Städtischen Werke Magdeburg. Viel Aktivität ist auch entlang der Erzberger Straße. Die Grundtec Bauregie, ebenfalls ein Magdeburger Unternehmen, bebaut hier das 17.000 qm große Areal des ehemaligen Altstädtischen Krankenhauses neu, es entstehen Ärztehäuser, ein neues „Ibis Styles“ Hotel und barrierefreie 2- bis 5-Raum-Wohnungen. Gegenüber haben die Bagger gerade eine riesige Baugrube ausgehoben. Dort, wo vor Jahren noch die beiden Plattenbau-16er standen, errichtet die MWG seit Ende Oktober mit dem Luisenturm ihr ambitioniertestes Einzelprojekt. 33 Millionen investiert sie in die Wohnhäuser, die von einem elfgeschossigen, um die 60 Meter hohen Wohnturm überragt werden. In dem Areal entlang der Virchowstraße sind auch private Investoren aus Berlin und Magdeburg tätig, so entsteht gegenüber der Elbeschwimmhalle auf einer Fläche, die jahrzehntelang eine innerstädtische Brachfläche war, ein regelrechter kleiner Stadtteil.

© Conrad Engelhardt

Die Idee von der Hafencity

Auch im Wissenschaftshafen gibt es spannende Entwicklungen. Ebenfalls die Grundtec Bauregie baut auf der Südseite derzeit das alte E-Werk unter dem Namen „Elb­arkaden“ um und aus, es entstehen Büros und Labore für akademische Forschung, aber auch Wohnungen mit Elbblick. Ein Investor aus Hannover baut dagegen die beiden Getreidespeicher im Hafengelände zu Wohnhäusern mit bis zu 200 Wohnungen um. Jahrelang war das nicht möglich, weil die Geräuschemmissionen der nahen Mühlenwerke zu groß war, bis man gemeinsam mit der Stadtverwaltung eine Lösung gefunden hat. Auch für die beiden historschen Speicher über der Hafenkante gibt es private Investoren. An der Alten Elbe entsteht um den Brückenkopf des verlängerten Strombrückenzuges das gesamte Wohnquartier Heumarkt neu.

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     Wohnen auf dem Kleinen Stadtmarsch

Das städtebaulich spannendste Projekt aber ist noch in der Vorbereitungsphase. Ein neues Quartier mit gut 280 Wohnungen in bis zu sechsgeschossigen Wohnhäusern wollen die WOBAU und die MWG zusammen an der Schleusenstraße zwischen Messeplatz, Elbufer und Funkhaus errichten. Neu sind solche Ideen nicht. Pläne einer Bebauung des Kleinen Stadtmarsches waren schon vor 100 Jahren großes Thema. Ausgerechnet der hochgelobte Stadtbaurat Bruno Taut plante dort Anfang der 1920er Jahre ein neues Wohnquartier samt Elbbrücke hinüber zur Danzstraße (damals Oranienstraße). Dominiert wurde es von einem scheinbar endlosen, sich wellenförmig entlang des Ufers hinziehenden Wohnhaus. Zu den Plänen gehörte auch ein neuer Verwaltungsbezirk samt neuem Rathaus. Wer sich alte Stadtkarten anschaut, findet die bereits eingezeichneten Straßen, und tatsächlich hat es nördlich der Eisenbahnlinie an der Hubbrücke schon vor dem 2. Weltkrieg umfangreiche Bebauung gegeben, manches Haus ging jedoch im Krieg verloren.

Der kulturellen Faden

„Das Projekt am Kleinen Stadtmarsch sehen wir als eine Riesenchance für die Stadt, den kulturellen Faden aus den 1920er Jahren wieder aufzunehmen“, drückt es Thomas Fischbeck aus. Die Gesamtinvestition für das ambitionierte Projekt beträgt um die 60 Millionen Euro. Im Frühjahr begann das offizielle Satzungs­verfahren zum Bebauungsplan „Kleiner Stadtmarsch/Schleusenstraße“. „Das ist ein hervorragender Standort zum Wohnen“, hatte sich Oberbürgermeister Lutz Trümper (SPD) hinter das Vorhaben gestellt. Baurecht wird aber erst nach erfolgreichem Abschluss erteilt. Skepsis gab es aus einzelnen Ratsfraktionen, wegen des Hochwasserschutzes und weil manch einer im aktuellen Projekt den Aspekt des sozialen Wohnungsbaus vermisst, als müsste man ausgerechnet auf einem solchen Filetstück der Stadt unbedingt sozial geförderte Wohnungen unterbringen. So diskutierte man in diesem Sommer nicht nur über die neue städtebauliche Qualität, sondern auch über das Mietniveau des neuen Quartiers, und manch einer stellt polemische Begriffe wie „Luxuswohnen“ in den Raum. „Wir haben in Magdeburg einen klaren Bedarf an hochwertigem Wohnraum“, hält Thomas Fischbeck, einer der beiden Vorstände der MWG, dagegen und Peter Lackner bringt es aus seiner Sicht auf den Punkt: „Die Stadt möchte sich unter anderem als Wissenschaftsstandort weiter profilieren. Wenn Sie aber hochkarätige Wissenschaftler und Professoren nach Magdeburg holen wollen, brauchen Sie entsprechende Wohnangebote, also keine Einfamilienhäuser, sondern Wohnungen in gehobener Lage. Die werden, bei allem Respekt, nicht in Olvenstedt wohnen wollen.“ Einer wie er darf so etwas sagen: Die von ihm geführte und zu 100 Prozent in kommunaler Hand befindliche WOBAU trägt schließlich entscheidend die soziale Verantwortung in der Stadt, wenn es um das Grundrecht auf Wohnen geht. Aus Sicht der Genossenschaften unterstützt ihn Fischbeck: „Es gibt einfach immer mehr Menschen, die für sehr gut ausgestattete Wohnungen in besten Lagen bereit sind, entsprechend mehr zu bezahlen. Und wir bieten in der Stadt ganz sicher genügend Wohnraum im bezahlbaren Bereich.“

Bäume zum Ausgleich    

Widerstand gab es auch von Naturliebhabern, die den Stadtpark bedroht sehen. Auch wenn das Areal des Stadtparks in keiner Weise berührt ist, haben beide Unternehmen gerade per Pressemitteilung öffentlich erklärt, „für jede der knapp 300 neu entstehenden Wohnungen dort einen Baum pflanzen zu wollen.“ Peter Lackner kommentiert den grünen Vorstoß so: „Der dramatische Verlust an Bäumen in den vergangenen Jahren muss uns alle aufrütteln. Wir möchten – neben den ohnehin vorgeschriebenen Ersatzpflanzungen bei Neubauprojekten – darüber hinaus unseren Beitrag leisten, das Magdeburg eine grüne Stadt bleibt.“

© Conrad Engelhardt

Juryentscheid im Dezember

Am 20. Dezember entscheidet eine Jury über die Architekten-Entwürfe des in diesem Frühjahr ausgerufenen Ideenwettbewerbs. Gespannt sind beide: „Wer weiß“, vielleicht greifen die Architekten ja Tauts alte Planung mit der nahezu geschlossenen Wasserfront zur Elbe auf.“ Wie auch immer die Entscheidung ausfällt, wenn es nach den Beiden geht, kann es danach zügig weiter vorangehen, bis der Stadtrat abschließend entscheidet. Peter Lackner: „Wir hoffen, dass wir vor den Kommunalwahlen im nächsten Mai Baurecht erlangen“.

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