Stadtläufer: Saufen gegen das Sterben

Die "Kneipenretter" sind "Magdeburger des Jahres" 2021. Aber hat die 17 köpfige Truppe den Titel wirklich allein verdient oder trägt nicht jeder von uns mit einem Besuch zum Fortbestehen der Kneipenkultur bei?

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© DATEs Medienverlag

Zu den „Magdeburgern des Jahres“ 2021 unserer Lokalzeitung wurden 17 sogenannte „Kneipenretter“ gewählt, die ihren regelmäßigen Stammtisch seit sieben Jahren in verschiedenen Kneipen der Stadt durchführen und dabei ein besonderes Augenmerk auf eher unbekannte Lokale richten, die akut von der Schließung bedroht sind. Das ist eine allemal löbliche Initiative, die nur zur Nachahmung empfohlen werden kann.

Der Sieg bei der Leserwahl kommt dennoch ein wenig überraschend und ein dezentes Unbehagen bei der veranstaltenden Tageszeitung war durchaus spürbar. Dabei haben Lebensretter bei dieser Leserwahl ja traditionell gute Chancen. Allerdings liegt genau darin natürlich das Problem, denn wie viele Kneipen die Freunde tatsächlich gerettet haben, indem sie dort jeweils für einen Tag mit erhöhtem Umsatz gesorgt haben, lässt sich schwer festmachen. Fest steht nur, dass einigen der besuchten Lokale die lebenserhaltenden Maßnahmen am Ende eben doch nicht mehr helfen konnten. Das Unbehagen ist folglich hausgemacht, weil bei der Suche nach einem Schlagwort für die Kandidatur am Ende der Begriff „Kneipenretter“ gefunden wurde, der die gut gemeinte Initiative in ein Licht rückt, in das sie nicht gehört. Der vergebliche Versuch, ein Leben zu retten, führt schließlich auch nicht zu einer Auszeichnung als „Lebensretter“. Ein Stammtisch, der sich nicht alle zwei Wochen in einer anderen, sondern immer in derselben Kneipe trifft, richtet gegen das Kneipensterben mindestens genauso viel aus. Dennoch käme niemand auf die Idee, ihn in das Rennen um den „Magdeburger des Jahres“ zu schicken. Es wäre also mindestens vonnöten, jeden Kneipenbesuch der 17 Freunde aktuell und ausführlich zu dokumentieren, damit sich ein spürbarer Effekt einstellt. Aber vielleicht geschieht das ja in Zukunft noch.

Es ist keine neue Erkenntnis, dass der Mensch sein Bedürfnis nach Geselligkeit und Trunk gern anlassbezogen befriedigt, weil er ungern zugibt, dass er einfach mal einen trinken will. Daher gibt es Geburts- und Feiertage, Weihnachtsfeiern oder das Oktoberfest. Aber es geht auch anders. In ausgewählten Berliner Kneipen läuft seit vielen Jahren sehr erfolgreich die Aktion „Saufen gegen Rechts!“ Sie befördert die Umsätze in ganz ähnlicher Weise wie der Stammtisch der Preisträger, allerdings in wesentlich mehr Lokalen. Denn die Teilnehmer haben einfach das gute Gefühl, etwas gegen Neonazis oder Reichsbürger zu tun, wenn sie ein Bier trinken, und quälen sich vielleicht noch das eine oder andere Glas mehr hinein, als sie ursprünglich geplant hatten, weil sie nicht wollen, dass Deutschlands dunkelste Jahre noch einmal wiederkehren. Natürlich steht es anders Gesinnten frei, ganz ähnliche Aktionen ins Leben zu rufen; man kann ebenso gut gegen Links, gegen die bürgerliche Mitte oder gegen Mitte-Links saufen, sofern der jeweilige Kneipen-Betreiber damit kein Problem hat. Und dass der eingefleischte FCM-Fan sich der Aktion „Saufen für den Club!“ kaum guten Gewissens entziehen könnte, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Vielleicht lässt sich das Kneipensterben also doch noch aufhalten.

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