Vom Verweilen

Der Alte Markt soll in kleinen Schritten aufgewertet werden. Was Goethes berühmte Verszeile "Verweile doch, du bist so schön" damit zu tun hat, erklärt unser Stadtläufer.

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Der Alte Markt soll für rund zehn Millionen Euro neu gestaltet werden, um die Aufenthaltsqualität zu verbessern. Da dieses Geld derzeit aber nicht zur Verfügung steht, soll er zunächst in kleineren Schritten aufgewertet werden, das heißt mit versenkbaren Pollern, die den Autoverkehr bei Bedarf von ihm verbannen können, sowie mit immerhin sechs mobilen Pflanzkübeln, die auch für kleinere Bäume geeignet sind. Darüber hinaus sollen die sechs Baumscheiben an seiner Südseite saniert und neu gestaltet werden. Denn dass dringend etwas geschehen müsse auf diesem historisch bedeutsamen Platz, darin ist sich der Stadtrat mehrheitlich einig. Und die Lokalzeitung stimmt ihm zu und ist sich sicher, dass Goethe, als ihm die berühmte „Verweile doch, du bist so schön“-Zeile für den „Faust“ eingefallen ist, nicht auf dem Alten Markt in Magdeburg gestanden hat. Das ist literaturhistorisch zweifellos korrekt, aber auch wenn Goethe diese Zeile weder auf dem Alten Markt in Magdeburg eingefallen ist, noch an diesen gerichtet war, so hat der Markt sie sich dennoch zu Herzen genommen und bis heute genau dort verweilt, wo er sich damals aufhielt. Und wo er sich genau genommen bereits seit dem 12. Jahrhundert aufhält. In diesen nahezu tausend Jahren hat er die eine oder andere, teils kriegsbedingte Umgestaltung erfahren, war indes auch zur Entstehungszeit des „Faust“ mit nicht sehr ansehnlichen Buden und Zelten übersät, wirkte etwas schmuddelig und wies keinerlei Grün auf, weil niemand sich um Pflanzkübel kümmerte. Vermutlich wäre Goethe, wenn er ihn denn besucht hätte, seine berühmte Zeile trotzdem nicht eingefallen, zumal er bei diesem Vers ohnehin keinen urbanen Aufenthaltsort und keine Gebäude im Sinn hatte, weil die nur sehr bedingt zur Flüchtigkeit neigen, sondern allenfalls zerstört werden oder verfallen. Es ging ihm bzw. Faust auch nicht darum, selbst zu verweilen, weil ein Marktplatz so atemberaubend schön war und eine derart hohe Aufenthaltsqualität besaß, sondern es ging um das Flüchtigste in unser aller Dasein, nämlich den Moment. „Werd‘ ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! du bist so schön!“ Das träfe also allenfalls zu, wenn der Alte Markt mit glücklichen Menschen übersät ist, weil der SCM einen Titel oder der FCM einen Aufstieg auf dem Rathausbalkon feiern, und man sich wünscht, dass dieser Augenblick niemals enden möge. Dann sinkt zwar wiederum für all jene Mitbürger, für die Hand- oder Fußball weder Hand noch Fuß haben und keinen Anlass zu freudigem Taumel darstellen, die Aufenthaltsqualität, aber allzu oft kommen solche Ereignisse ja nicht vor. Doch selbst mit solchen Feierlichkeiten gelangt man nur bedingt in die Nähe von Goethes Intentionen, denn die Verse entstammen nun einmal dem Teufelspakt und gehen so weiter: „Dann magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zugrunde gehn.“ - Und wer will schon zugrunde gehen, nur weil ein einheimisches Ballsportkollektiv erfolgreich war oder ein städtischer Platz so hübsch ist, dass er zum Verweilen einlädt?

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