Auf die Plätze, fertig, STOP!

In Zeiten der Pandemie hat sich Magdeburgs Freie Kulturszene eindrucksvoll selbst organisiert, spricht mit gemeinsamer Stimme. Ihr selbstinitiertes Modellprojekt „Eine Woche voller Kultur“ war ein klares Signal an die Politik, endlich Lösungen voranzutreiben, wie es mit dem Kulturbetrieb weitergeht. Bis die Novelle des Infektionsschutzgesetzes kam ...

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© Engelhardt

Seit Wochen habt ihr für Euer Modellprojekt gekämpft. Einen Tag vor dem Start hat nun die Novelle des Infektionsschutzgesetzes alle Pläne vom Tisch gefegt. Wie ist eure Gefühlslage?

Ines Lacroix: Es ist nicht schade, es ist ein großer Schaden. Wir sind „außer Rand und Band“ in eine Lage gekommen, welche sich nur schwer wieder unter Kontrolle bringen lässt.

Christian Szibor: Es ist diese Mischung aus Wut und Traurigkeit, auch ein Stück Resignation. Es ist einfach so schade, weil wir im Schulterschluss der Freien Szene einen wichtigen Impuls auf den Weg gebracht hatten. Das ist jetzt mit einem Schlag zunichte gemacht. Der Frust ist auch deshalb groß, weil wir der Überzeugung sind, dass diese Entscheidung aus Berlin falsch ist. Es sind die alten Lösungen, Kultur als verzichtbares Vergnügen abzuqualifizieren.

Jetzt ist ja sogar die Perspektive für den Sommer gefährdet.

Szibor: Das ist definitv so. Aber warum? Wozu wird die Politik von der Wissenschaft beraten? Die sagt: draußen liegt das Ansteckungsrisiko nahe null. Und nun gibt es im Gesetz tatsächlich diese Gleichsetzung zwischen drinnen und draußen. Das verstehen wir nicht. Die sich daraus ergebende Unplanbarkeit macht einen wütend. Da wird unter der Hand sogar schon geflüstert, dass es selbst im Sommer noch diesen Lockdown geben wird.

Es bleibt, dass es euch gelungen ist, die Freie Szene der Stadt an einem Tisch zusammenzubringen, sie mit einer Stimme sprechen zu lassen.  

Szibor: Darauf sind wir auch stolz. Geboren aus regelmaßigen Zoom-Meetings, haben wir da gemeinsam etwas auf den Weg gebracht, und ich habe die Hoffnung, dass uns diese gemeinsame Basis dazu befähigt, auch künftig miteinander umzugehen. Ebenfalls eine Erfahrung aus unseren Zoom-Meetings: Man lernt einander kennen. Das ist ein wichtiger Kitt.  

Mit dem Modellprojekt wart ihr ein Vorreiter in Deutschland. Unser Kultusministerium hat euer Konzept dann zum eigenen Thema gemacht.  

Lacroix: Ich finde das bemerkenswert. Man könnte auch sagen, es wäre der Auftrag von Kulturpolitik gewesen, mögliche Öffnungsszenarien zu entwickeln. Wir haben für sie deren Hausaufgaben gemacht. Aus der Kulturpolitik kam zu oft „ihr dürft nicht“. Wir haben gesagt, ihr müsst auf unserer Seite sein, ihr vertretet die Kultur, euer gesellschaftlicher Auftrag muss sein, zu drängen, Wege für eine kontrollierte Öffnung zu suchen.  

Szibor: Ja, das ist eine Wahrnehmung, wie sich die Kulturpolitik teilweise immer noch versteht. Es ist schwer, das zu durchbrechen. Trotzdem: Es zählt, dass wir jetzt plötzlich eine Dialogebene mit dem Land haben und miteinander reden. Wir haben  dabei das Gefühl, dass das, was wir laut überlegen, auf eine Resonanz trifft.

Was sind Argumente für eine Öffnungswoche?

Szibor: Es ist unsere gemeinschaftliche Überzeugung, dass Kultur ein Lebensmittel ist. Wir brauchen Kunst und Kultur auch zur Lösung von gesellschaftlichen Spannung und Spaltung. Kultur ist Signal der Hoffnung. Und das Signal wird positiv aufgegriffen.

Lacroix: Ich gehe noch einen Schritt weiter: Das Ausbleiben von kulturellem Leben zieht automatisch ein kulturloses Miteinander nach sich. Diesen Zusammenhang muss man dringend erkennen. Es muss einen Strategiewechsel geben, sonst läuft eine Flut auf uns zu, bei der ich persönlich große Ängste kriege.

Szibor: In unserer Erklärung zur Modellwoche haben wir ja beschrieben, was wir bezwecken. Wir erleben seit letztem Frühjahr, seit diese Pandemie übers Land rollt, eine permanente Angstsituation. Die Strategie der Politik war zunächst zu schockieren, mit Bildern Angst zu verbreiten, damit die Menschen die einschränkenden Maßnahmen auch akzeptieren. Zu Anfang war es vielleicht legitim, aber es ist kein Mittel, das auf Dauer taugt,

Lacroix: So wie ich das erlebe, ist daraus allgemeine Lebensangst geworden, eine die die Gesellschaft zersetzt. Wir brauchen dringend eine Haltungsänderung.

Kunst und Kultur als Heilmittel?

Szibor: Kunst und Kultur ist ein geeignetes Mittel, um dieser Angst kreativ zu begegnen. Wir müssen in einen Dialog treten. Man rutscht in dieser Zeit zusammen, wie z.B. bei den beiden Sommern des Hochwassers oder wie nach einem Tsunami.

Wirtschaftlich gesehen, war die Öffnungswoche doch schwierig: viel Aufwand, wenig Einnahmen.

Szibor: Stimmt, ist aber zu kurz gedacht. Wenn man die reinen Besucher- und Einnahmezahlen nimmt, rechnet sich das nicht. Jedem ist klar, dass das, was wir da machen wollten, nicht ansatzweise extenzielle Sorgen oder finanzielle Nöte der Künstler lindert, im Gegenteil. Es fordert uns zusätzliche Kraftanstrengung ab. Wir haben es mit soloselbstständigen Künstlern, mit Kreativen und Kultureinrichtungen zu tun, die komplett zu sind. Aber es erzeugt zweierlei: dass die Künstler endlich wieder ihren kreativen Ausdruck entfalten können. Man könnte es als emotionales Konjunkturprogramm beschreiben. Als Künstler brauchst du lachende Münder, Menschen die du siehst, spürst, eben solches emotionales Feedback.

Die Frage bleibt: Wie wäre es denn nach der Modellwoche weitergegangen?

Lacroix: Unsere Idee war es, grundsätzlich zu zeigen, dass es geht. Aber es wäre nur der schwierige erste Schritt nach dem ewigen „geht nicht“. Die Modellwoche sollte den Menschen wieder beibringen, rauszugehen und zu zeigen, es gibt eine Alternative zum Hocken im Wohnzimmer.

Szibor: Die Modellwoche wäre auch eine Erfahrung gewesen, wie das läuft mit den Schnelltests. Im Anschluss der Woche hätte eine kurze Auswertung stattgefunden. Insofern war sie eine Investition in die Zukunft. Es wäre fatal, wenn wir sagen, wir machen jetzt eine Modellwoche und dann passiert vier Wochen nichts. Wir wollten damit die Türen öffnen.   

Türen öffnen ist das Stichwort. ich mache mir Gedanken, wer denn von den Kulturveranstaltern wieder aufsteht – und wer liegenbleibt.

Lacroix: Genau das ist meine Befürchtung. Je länger wir im Zwangszustand verharren, umso größer ist die Gefahr, dass Betriebe auf der Strecke bleiben. Auch mir kreiselte in den letzten Woche immer wieder der Gedanke durch den Kopf: Mache ich jemals wieder auf? Das ist nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch der Mitarbeiter. So wie sich auch Gastronomen fragen werden, wie sie bei einer Wiedereröffnung den Koch, die Servicekräfte ersetzen, die sich mittlerweile einen anderen Job gesucht haben. Bei uns sind es dann Schauspieler, die plötzlich wieder als Krankenpfleger arbeiten …

Szibor: Ich kann das bestätigen: Auch bei mir stand die Frage, wie halte ich mein Team der Festung Mark in Zeiten von Kurzarbeit bei der Stange? Monetär haben wir auf das Kurzarbeitergeld 7,5 Prozent drauflegt. Noch wichtiger ist die emotionale Bindung. Im letzten Jahr sind wir als Team aufs Spargelfeld gezogen. Ich benutzte gern das Bild des Marathonlaufs: So ein Lauf begann für uns letztes Jahr, ohne zu wissen, wie lang er werden wird. Manch einer fiel um. Und jetzt, wo wir langsam auf der Zielgeraden sind, steht die Frage, was wird hinterm Zielstrich passieren?  

Hinterm Zielstrich wartet ab 3. Juni auch der Magdeburger Kultursommer. Was wird aus dem?

Szibor: Er muss und er wird stattfinden! Notfalls mit strengen Hygiene- und Abstandsregeln. Das haben wir im letzten Jahr doch alle gelernt. Die Forderung des Netzwerkes im Schulterschluss mit der Kommune an die Landesregierung lautet, sich dringend dafür einzusetzen, dass zwischen drinnen und draußen unterschieden wird.

Was verbirgt sich inhaltlich und konzeptionell hinter diesem Kultursommer mit dem herrlich doppelbödigen Namen „Auf die Plätze!“  

Szibor: Mit der Perspektive der Förderung durch die Kulturstiftung des Bundes mit einer Förderung von bis zu 500.000 Euro ist ein Kultursommer vom 3. Juni bis 25. September geplant. An 18 Spielorten in der gesamten Stadt sollen vielfältigste Kulturveranstaltungen unter freiem Himmel unter Einbeziehung aller freien Kulturträger stattfinden. Alles mündet in die gemeinsame Kulturnacht am 25. September und die trägt den bezeichnenden Titel „Auf“. Solch einen Kultursommer hat es meines Wissens in der Stadt noch nie gegeben.

Lacroix: Und, ich sage dazu, wir werden mit allen verfügbaren Ressourcen dafür kämpfen, dass er stattfindet.

Danke an Euch für das offene Gespräch.

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