„Eine gute und souveräne Etappe“

© Vanessa Weiss

Fünf Jahre lang hat Jan Jochymski das Magdeburger Schauspiel als Direktor geführt, jetzt nimmt er den Weg zurück in die freiberufliche Szene. Dazu wurde er vom DATEs befragt und spricht über muskelbepackte Magdeburger, das liebe Geld, die Zukunft des Stadttheaters und was von Magdeburg bei ihm hängen bleiben wird. 


Erinnerst du dich deiner ersten Begegnung mit Magdeburg?

Nicht mehr genau. Ich glaube es war zur Eröffnung der Freien Kammerspiele. Mitte der Neunziger habe ich dann „Faust“ von Christina Emig-Könning in den Kammerspielen gesehen. Dann war eine lange Pause, bis Tobias Wellemeyer kam. Der kannte meine Arbeiten aus Dresden und dann habe ich einige Sachen als Regisseur gemacht ...

... und bist Schauspieldirektor geworden, obwohl du 2007 gesagt hast, dass du kein solches großes Haus leiten wolltest.

Puh. Ich weiß gar nicht, ob ich das zu dem Zeitpunkt einschätzen konnte. Es ist oft so, dass Leute sagen: Nein ich will das nicht machen, weil ich dann fest engagiert bin. Ich war auch so, weil es mir sehr gut ging. Ich war alleine, hatte meine Berliner Wohnung, bin rumgefahren. Der entscheidende Punkt, das Angebot anzunehmen, war: es kam nachdem ich eine kleine Familie gegründet hatte. Ohne diese Reihenfolge hätte ich das gar nicht gemacht. 

Was erzählst du deinen Freunden nun, zur Festanstellung am Stadttheater?

Ich sage: Man kann an einem Stadttheater viel machen. Es gibt eine Masse an Regisseuren, Ausstattern und Schauspielern. Dabei sitzt man und schaut, welche Teams zusammenpassen. Welche Pfeifen und welche Entdeckungen waren dabei? Es ist auch toll zu sehen, wie sich ein Schauspieler über drei oder fünf Jahre entwickelt und wie man Regisseure aufbauen kann. Genau das ist das Gute, von dem ich sagen kann: „Das hat mich bereichert.“

Du hast gesagt: „Ich stehe für ein Theater, bei dem sich Zuschauer angesprochen fühlen und unterhalten werden.“ Also, weg mit vordergründigem intellektuellem Anspruch.

Stimmt, dafür steh ich bis heute nicht. Speziell für das Schauspiel kann ich sagen, wir haben verschiedene Sachen probiert und das Meiste hat funktioniert. Wenn ich jetzt so anfange, wie ein Theaterleiter zu reden, sage ich euch: vor allem die Zahlen stimmen. Nun haben wir auch einen kleinen Zuschauerraum für 200 Zuschauer. So was wie „Sonnenallee“ könnte man wahrscheinlich auf der großen Bühne machen, aber kleinere Stücke würden da nicht mehr funktionieren.

Mit welchem Gefühl gehst du nach 6 Jahren aus Magdeburg weg? 

Ich habe nicht das Gefühl, dass ich aus der Stadt weggehe. Ich verlasse das Theater und werde woanders arbeiten. In der Stadt werde ich nach wie vor sein. Wir haben hier Freunde, unsere Tochter hat Freunde, es wird immer ein Stück von mir hier sein und ich nehme immer ein Stück Magdeburg mit.

Du hast ja ganz am Anfang ein, zwei Sachen gesagt, die den Magdeburgern nicht so gefallen haben, Stichwort muskelbepackte junge Männer.

Die Sicht auf die Menschen, die hat sich natürlich geändert. Als Gastregisseur bekommst du mit: „Okay, die Stadt hat einen Minderwertigkeitskomplex, die muss sich aufpumpen. Sie muss sich tätowieren, sie muss ins Nagelstudio und sie redet permanent über sich.“ Dieses ständige Gerede von Magdeburgern über Magdeburger ist so unsouverän und hat kein Selbstverständnis. Nun lebt man in der Stadt und lernt die Menschen kennen, man sieht, dass es wie in keiner anderen Stadt fantasievolle Spielplätze gibt. Die Sicht auf die Menschen verändert sich natürlich. Wenn ich jetzt am Bahnhof ankomme, auf mein Fahrrad steige und nach Stadtfeld fahre, meine Nachbarn grüße oder meine Tochter vom Kindergarten abhole, dann ist das für mich Normalität. Eigentlich ist es ein normales Stadtleben. Das finde ich betonenswert. Sonst zeigt sich immer „Wir sind ja nur Magdeburg“ und das sehe ich nicht so. Magdeburg ist eine souveräne Stadt, wenn sie sich souverän gibt und in vielen Punkten gibt sie sich souverän. 

Bei Wellemeyer blieb der Eindruck, dass er als „Hinausgejagter“ gehen wollte und den kleinen Skandal provoziert hat. Du willst offenbar in Harmonie gehen?

Ich hatte ja auch nicht vor, Intendant zu werden, ich hatte nie vor, ein Buch zu schreiben, was „unvergessliche Momente“ heißt. Das stimmt einfach nicht. Theater ist vergesslich. Und ich habe nie gesagt: „das ist mein Haus“, sondern mein Selbstverständnis war immer: „Das Haus gehört der Stadt. Die Leute bezahlen dafür.“ Wenn sie nicht ins Theater gehen und gucken was mit ihren Steuergeldern wird, sind sie auch ein bisschen selber Schuld. Ich muss mich mit meiner Arbeit in Magdeburg und einem Skandal nicht  für eine neue Stadt empfehlen. Das war nie mein Anliegen, das ist der große Unterschied – zu Tobias oder anderen.

Aktuell hast Du in Graz inszeniert, wie geht denn deine Biografie jetzt weiter?

Ich war vorher schon freier Regisseur. Das Neue ist nun, dass ich`s zum ersten Mal mit Familie mache. Da denkt man jetzt ganz anders darüber. Mein Konzept heißt: weniger Arbeit, weniger Geld, aber mehr Zeit. Das ist die angestrebte Lebensqualität. Ich kann wahnsinnig viel arbeiten, sehe meine Frau und mein Kind nie, habe keine Freizeit, aber viel Geld. Als Anfänger hast du wirklich jedes Projekt angenommen, mehrere zur gleichen Zeit. Das ist es nicht mehr, was ich will. Ich bin gerne Regisseur, aber wenn ich einem Intendanten begegne, muss ich merken, der will was von mir. Den Luxus, das für mich zu entscheiden, versuche ich mir zu leisten. 

Im Programmheft von „Sonnenallee“ schreibst du: „Mit schönen Erinnerungen lässt es sich leichter leben.“

Ich könnte keine einzelnen Inszenierungen hervorheben, weil an jeder für mich was dran gewesen ist. All diese kreativen Menschen aus verschiedenen Ecken des Landes hier zu haben und zu gucken, was die zusammen erreichen können, das war der kreativste Input. Privat ist für mich die schönste Erinnerung die Geborgenheit, die mir meine Familie und so ein Viertel wie Stadtfeld gibt. Wo man das Gefühl hat, hier kann man leben. 

Und was ist dir nicht gelungen?

Ich sag mal: Wir haben es nicht geschafft, geile Premierenpartys hinzubekommen. Aber dafür haben wir eine geile Band gegründet, Mixtape. Die hat tolle Konzerte gemacht und im Juni ist das Abschlusskonzert. Das wird nochmal schön zum Verabschieden, draußen wird gegrillt und Fußball geschaut.  

Interview: Conrad Engelhardt, Vanessa Weiss

Dernièrenparty, 14. Juni, ab 20 Uhr, Schauspielhaus

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