Außer Kontrolle

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© Conrad Engelhardt

Clemens Meyer wuchs im Leipziger Osten auf, genau wie seine Protagonisten. Er weiß also genau, worüber er schreibt. Die „lebensweltliche Relevanz“, wie er es nennt, ergibt sich aus eigenem Erleben und nicht durch Archivrecherchen. Das ist seinen punktgenauen Dialogen anzumerken, die zuweilen wie Bühnendialoge funktionieren. Armin Petras und die Dramaturgin Carmen Wolfram erkannten das Potential für die Bühne bereits 2008 und brachten den Stoff in Zusammenarbeit mit dem Autor in Leipzig auf die Bühne.

Das riesige Figurenkabinett des Romans wurde dafür auf die fünf Protagonisten und wenige wichtige Nebenfiguren reduziert, die fragmentarischen Szenen nehmen das Stilmittel des Romans auf, achronologisch und zuweilen sehr bruchstückhaft zu erzählen. „Es ist eine Struktur des Erinnerns und Verklärens, man fragt sich oft, was stimmt eigentlich von dem, was erzählt wird“, sagt Dramaturg Oliver Lisewski, der über den Roman geradezu ins Schwärmen gerät. Als einer der großen Wenderomane behandele er eine Generation, die bislang völlig außer acht gelassen worden sei: Jugendliche, die zur Wende 13 oder 14 Jahre alt waren. „Es ist einerseits eine Adoleszenzgeschichte, die auch heute noch Identifikationspotential bietet“, sagt er und meint die zeitlose Schwelle zum Erwachsensein mit ersten Erfahrungen im Verliebtsein, Gruppendynamik, Mutproben, Drogenerfahrungen.

Das Ganze gepaart mit den Umbrüchen der Wendezeit. Die Jugendlichen gehen zur Montagsdemo nicht aus politischen Gründen, sondern, weil dort eben etwas los ist. „Sie überlegen ernsthaft, ob es angebracht sei, eine rote Fahne mit dorthin zu nehmen. Das hat eine komödiantische Fallhöhe, die traumhaft ist. Sie sind eine vergessene, weil noch nicht politisierte Generation, dennoch trifft sie in diesem Moment die Wucht der Geschichte.“„Als wir träumten“ beschreibt vor allem die Logik der Gewalt und des Scheiterns von Jugendlichen, deren Eltern in den Wendewirren als Korrektiv wegfallen. Oliver Lisewski, zur Wendezeit nur ein paar Jahre älter, beschreibt es so: „Ich selbst hatte immer das Gefühl sehr großer Freiheiten. Ich durfte alles ausprobieren. Erst später habe ich begriffen, dass es nicht Ausdruck einer großen Offenheit meiner Eltern war, sondern, dass sie schlichtweg andere, eigene Probleme zu bewältigen hatten.“ Erzähler Dani, der auch in der Bühnenfassung ab und zu aus der Szene tritt, um das Geschehen quasi von außen zu kommentieren, sagt es so: „Es gibt keine Nacht, in der ich nicht von alldem träume ... und ich quäle mich mit der Frage, warum das alles so gekommen ist. Sicher, wir hatten eine Menge Spaß damals, und doch war bei dem, was wir taten, eine Verlorenheit in uns, die ich schwer erklären kann.“

Als wir träumten, Premiere: 18. 10., 19.30 Uhr, Schauspielhaus, Matinee: 12. 10., 13 Uhr, ehem. Polizeirevier Mitte Haeckelstraße, Treff Zuschauereingang Schauspielhaus

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