Wortlos zu vielen Höhepunkten

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© Nilz Böhme

© Nilz Böhme

Die Bühne ist vollkommen leer. Ein einsamer Anzugträger schleicht über den Platz, verschwindet wieder. Dann ist da eine Frauengruppe, sie überwindet hüpfend die Leere. Zwei Männer irren mit hängenden Köpfen ziellos umher. Einer, der nimmt jeden Meter steppend.  Alles unterwirft sich dem Rhythmus der Stille. Plötzlich branden wummernde Techno-Beats auf, das Leben bricht herein. Das Kaleidoskop an Einzelschicksalen wird nun geschickt in Cornelia Crombholz Inszenierung von Peter Handkes Schauspiel "Die Stunde da wir nichts voneinander wussten"l zusammengeführt.  Es ist die letzte große Premiere dieser Spielzeit im Schauspielhaus.

Ein Stück ohne Sprache

Etwas fehlt: die Sprache. Es ist das Alleinstellungsmerkmal von Peter Handkes Schauspiel. Es ist eine einzige Regieanweisung, ohne jegliche Dialoge. Eine Herausforderung für jeden Regisseur, es geht um Bilder, um deren Poesie. Es geht darum, den Blick des Zuschauers für die verschiedenen Lebensmomente zu schulen, ihn durch Beobachtung ins Geschehen eintauchen zu lassen. Das war auch Handkes Intention, als er 1989 sein Schauspiel schuf. Es ist sein zweites Stück, was ohne Sprache funktioniert. Ort des Geschehens ist ein Platz, irgendwo auf der Welt, wie geschaffen dafür viele Geschichten zu erzählen und sie miteinander in Beziehung zu setzen. 

Stummfilmästhetik schafft humorvolle Momente

Die Sprache wird bei Crombholz Inszenierung durch ausdrucksstarke Mimik, Gestik und hyperbolischen Darstellungen ersetzt, Mittel der Schauspielkunst, die sonst vielleicht auch viel zu wenig Beachtung finden. Dann zum Beispiel als zwei alte Damen von Jugendlichen überfallen werden. Plötzlich fällt ein Spotlight auf die Bühne umhüllt Burkhard Wolf wie einen Heilsbringer, vielleicht Gott?  Rings um ihn herum wird alles plötzlich langsamer, die Bewegungen der alten Damen werden ausdrucksstarker, die Gesichtszüge überzogener. Es ist wie eine Zeitlupe der Stummfilmästhetik entnommen. Das lässt die Situation noch viel humorvoller wirken.

Geordnetes Chaos auf der Bühne

Wir bewegen uns durch verschiedene Tageszeiten, sagen dem Sommer Adieu, begrüßen den windigen Herbst mit seinen bunten Blättern. Da ist der über motivierte Läufer, der seine tägliche Runde absolviert. Da spielt eine Gruppe Basketball. Mittendrin: Marie Ulbricht als Straßenkünstlerin, die mit ihrer Melone ein bisschen an Clockwork Orange erinnert. Sie ist stiller Beobachter, mischt sich allerdings auch ein. Spielerisch schafft sie dadurch Anknüpfungspunkte, verbindet Bilder miteinander. Sie ist der Ankerpunkt in der Masse an wirklich guten Bildern, die an uns vorbeirauschen, sich in unsere Köpfe brennen. Dann ist da aber auch wieder diese Ruhe, wenn tanzende schwarze Regenschirme unter Max Richters Melodien zu einem Trauerreigen werden.

Viele Höhepunkt verfälschen Erwartungen

 Besonders markant: die ständige Präsenz des 26 Ensembles, 16 Schauspieler und 10 Statisten in harmonischem Zusammenspiel.  Jede Bewegung ist auf die vielseitige Musikauswahl (Manuel Czerny) abgestimmt, jeder Schritt auf der Bühne so durch choreografiert von David Williams, dass zum Beispiel bei der täglichen Rush Hour ein geordnetes Chaos entsteht, das einen Sog entwickelt, der uns nicht mehr loslassen will. Der geht allerdings etwas verloren, je weiter der Abend voranschreitet. Seicht wird man zum Höhepunkt der Inszenierung hingeführt, ja welcher Höhepunkt? Es gibt scheinbar viele. Es ist als ob wir zwischen verschiedenen Plätzen hin und her hüpfen. Denn die heile Platz-Atmosphäre, in der gestresste Geschäftsmänner durch die Straßen rauschen, Bauarbeiter Frauen in roten Kleidern hinterherpfeifen wird von Krieg abgelöst. Ein Miniaturpanzer rollt über die Bühne.Es ist Krieg, ein Krieg der Religionen, es gibt einen Machtwechsel, ein neuer Diktator übernimmt die Führung, natürlich musste es Stalin sein. Die Menschen flüchten. Ortswechsel, wir sind zurück am Ausgangsplatz, nun gibt es ein Nebeneinander der Religionen. Jesus trägt sein Kreuz über einen roten Teppich, die Nonnen erobern das Bild und Burkas gibt es natürlich auch im Angebot. Starke Bilder und doch wirkt es etwas zu gewollt, wir müssen Aussagen treffen. Das ist ohne Frage gelungen dennoch wirkt die Inszenierung dadurch etwas unausgeglichen. Im Gedächtnis bleiben tolle Bilder, bis zur Ekstase feiernde Schauspieler, ein breites Potpouri an Musik von Techno bis zum nie enden wollenden Bolero von Maurice Ravel.

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