Autor Christoph Hein über die Uraufführung von "Die Andere"

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© Conrad Engelhardt

Schon seit Ende der 1980er Jahre verbindet den Schriftsteller Christoph Hein mit dem Komponisten Sidney Corbett eine künstlerische Zusammenarbeit: 1990 wurden Corbetts „Lieder aus der Dunkelkammer“ nach Heins Texten uraufgeführt, 2001 entstand die Oper „Noach“ nach Heins Novelle „Ein älterer Herr, federleicht“. Nun ist es die Oper „Die Andere“, die als Auftragswerk des Theaters Magdeburg uraufgeführt wird. Das Autorenpaar wendet sich dabei erneut einem biblischen Stoff zu. Ludwig Schumann traf den Autor im Havelberger Domizil zum Gespräch.

Sie und Sidney Corbett arbeiten zum zweiten Mal an einem biblischen Stoff. Wer oder was hat Sie zusammen geführt?

Sid Corbett kam eines Tages auf mich zu. Er hatte meine Novelle „Ein älterer Herr, federleicht...“ gelesen, die im heutigen Berlin spielt. Der ältere Herr ist der 1000 Jahre alte Noah. Corbett meinte, es sei ein interessantes Opernthema. Nachdem das Bremer Theater die Oper in Auftrag gegeben hatte, schrieb ich das Libretto. Später hatten wir beide immer mal wieder Lust, eine zweite Oper folgen zu lassen. Ich schlug eine der alten Mythen der Griechen, der Römer oder der Inder vor. Wir blieben wieder an einem biblischen Stoff hängen, der Abrahamgeschichte.

Sie haben die Geschichte ihres religiösen Überbaus beraubt?

Ich habe sie als das, was sie ist, als eine einfache Bauerngeschichte, aufgeschrieben. Man hatte damals nicht die Paläste, die wir aus den letzten 500 Jahren kennen. Vor dieser Zeit war der Königshof schlichtweg ein großer Bauernhof. Es hat 1968 den großartigen russischen Film des „König Lear“ von Grigorij Kosinzew gegeben, der mich beeindruckt hat. Lears Königshof war nichts anderes als ein Vierseitenhof mit angrenzenden Katen seiner Landarbeiter. Nicht viel anders muss man sich das bei Abraham vorstellen. Abraham ist reicher als die Leute in seiner Umgebung. Er hat mehr Knechte, mehr Mägde. Es geht also um Macht und Besitz – nur hat Abraham ein Problem: Er hat keinen Erben. Die Frage des Machterhaltes ist ungeklärt. Die kriegerischen Nachbarn lauern darauf, dass er stirbt. Sein Volk weist ihn darauf hin, dass kein Nachfahre da ist. Zunächst zeugt er mit seiner Magd Hagar das Kind. Als Magd ist sie dem Herrscher untertan und somit ist ihre Frucht auch seine Brut. Der Bestand seiner Herrschaft ist gesichert. Psychologisch ist das ganz spannend: Der Druck auf Sara, den Erben zu gebären, machte sie unfruchtbar. Als die Magd geschwängert ist, löst sich der Druck von Sara und sie wird ihrerseits schwanger. Wenn man das hohe Alter Abrahams und Saras außer Acht lässt, ist das eine ganz normale Geschichte.

Das Bühnenbild zeigt Bilder von Gewalt, von politischen Konflikten. Ist das die Bebilderung der Themen, die Sie vor zwei, drei Jahren noch nicht wissen konnten, also der Migrationswelle, die nachträglich ins Thema der Oper schwappt?

Es ist natürlich des Recht des Bühnenbildners, eine Aktualisierung vorzunehmen. Zwingend vorgeschrieben wäre sie nicht. Aber die Themen sind dem Stück nicht fremd: Es ist eine Machtgeschichte. Hagar ist die Hergelaufene. Sie ist fremdländisch. Ihr droht immer die Abschiebung. Was die Bibel in der Geschichte bereits zeigt, gilt heute noch: Das Unerwünschte wird auch im Jahr 2016 abgeschoben. Das lastet auf den Menschen, solange es sie gibt.

Mit anderen Worten: Es bedarf der Aktualisierung nicht, weil das Thema in der Geschichte steckt?

Ja. Wir haben die Landflüchtigen, solange es die Menschheit gibt. Sie fliehen, weil sie sich dort, wo sie herkommen, nicht ernähren können. Oder weil dort Krieg ist. In all den Jahrtausenden war der Flüchtling nie erwünscht. Wie er – auch das scheint gesetzmäßig so zu sein – für allerlei zum Sündenbock gemacht wird, vor allem für Dinge, die in der Gesellschaft nicht funktionieren. Da wird sich die Menschheit nicht ändern. Der Hauptgrund für die Bildung von Nationen ist, sich gegen den Nachbarn, gegen den Fremden zu stützen. Der draußen ist immer der Feind.

Nationen sind Angstgeburten? Heißt das, unsere Geschichte ist bar aller Hoffnung?

Wir sind Teil der Natur. Die ganze Natur ist von dieser Existenz­angst geprägt. Es gibt Fluchttiere, zu denen der Mensch nicht unbedingt zählt. Aber auch die größeren Raubtiere haben immerfort die Augen rechts, die Augen links, um zu sehen, dass keine Gefahr droht oder um rechtzeitig zuzuschlagen. Das hat der Mensch auch.

Die Oper heißt „Die Andere“. Der Blick geht auf Hagar, auf die Flüchtige. Ist sie das Opfer? Ist sie mehr? Hat der Blickwinkel etwas mit dem Flüchtlingskind Christoph Hein zu tun?

Flucht habe ich zweimal erlebt: 1945, als wir aus Schlesien kamen, 1958, als ich von Sachsen nach Westberlin ging. 1945 kamen 12 Millionen Menschen aus dem Osten in ein total zerstörtes Deutschland und brauchten ein Dach über dem Kopf. Damit war man nicht erwünscht. In kleinen Dörfern habe ich es erlebt, dass das bis in die dritte Generation reichte. Da kann man durchaus noch über Nachbarn hören: Die gehören hier eigentlich nicht her. In der Abrahamsgeschichte unterscheidet sich natürlich Hagar von Sara. Sara ist die Ehefrau des mächtigen Abraham. Sie ist im Besitz der Macht. Hagar hat zu gehorchen. Die Zeugung Ismaels auf offener Bühne ist eher eine Vergewaltigung als ein Akt der Liebe. Als Sara selber schwanger wird, ist sie mit ihrem Kind im Wege. Das, was Hagar sich vielleicht erhofft hat, schwindet nun auf ein Minimum. Sie ist Flüchtling und bleibt das auch ihr Leben lang. Sie wird vertrieben, nimmt aber das Kind mit und legt es zum Sterben ab.Da kommt sie in Konflikt mit der Macht: Indem sie das Kind mitnimmt, entwendet sie das Eigentum des Herrschers. Das ist ein todeswürdiges Verbrechen.

Eine gewisse Skrupellosigkeit gehört zur Macht, las ich kürzlich in einer Beschreibung Ihres Textes. Aber wie beschreibt der Nichtmoralist Hein die Moral der Geschichte?

Das kann ich nicht. Es ist eine völlig moralfrei ablaufende Geschichte. So läuft das eben mit der Macht. So lief und so läuft Herrschaft ab. Nehmen Sie das Beispiel der Sowjetunion. Gorbatschow hat die Auflösung dieses Bündnisses als eine große Geste an die Welt, an den Weltfrieden, vorangetrieben. Viel gebracht hat es ihm nicht. Man hat das Geschenk dankend entgegen genommen, sich aber an die weiteren Vereinbarungen nicht mehr gehalten. Herrschaft ist so. Deshalb würde ich auch nicht von der Skrupellosigkeit der Macht reden. Das Wort ist viel zu bedeutsam. Was wir sahen, ist der Normalfall der Herrschaft. Da ist der Begriff „Skrupel“ nicht angebracht.

Eine Geschichte, aus der Distanz betrachtet?

Mit Neugier. Ich wollte schon sehen, welche Ängste auch dieser Abraham ausstehen muss: Die Herrschaft ist in Gefahr mangels Erben. Das Volk beginnt zu revoltieren. Davor hat er auch Angst. Er muss sich durchsetzen! Meine Aufgabe sah ich darin, genau zu schildern, wie solche Dinge ablaufen.

Zur Veranstaltung: Premiere: Die Andere, 18. März

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