Die Schönheit der Sprache

Tim Kramer holt mit der Kleist-Novelle "Michael Kohlhaas" einen klassischen Stoff auf die Studiobühne des Schauspielhauses, der universelle Fragen nach Recht und Gerechtigkeit stellt.

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© Theater TAK Lichtenstein

Was den Leuten so in den Kopf schießt, wenn sie das erste Mal nach Magdeburg kommen! Tim Kramer, damals frisch designierter Schauspieldirektor, dachte an: Michael Kohlhaas – jenen Titelhelden aus Kleists Novelle, der durch Herrscherwillkür um Pferde und Frau betrogen wird, aufgrund von Vetternwirtschaft vor Gericht unterliegt und schließlich zur grausamen Selbstjustiz greift. Kramer hatte den Stoff einige Jahre zuvor in Liechtenstein inszeniert. Da war er weitab von den historischen Schauplätzen der Novelle. Plötzlich aber fand er sich mittendrin: im ehemaligen Kurfürstentum Brandenburg, in dem Kleists Geschichte ihren Ausgang nimmt. „Ein bisschen Kohlhaas’sche Sturheit habe ich in den Magdeburgern wiedergefunden“, meint er heute augenzwinkernd. Als Corona sämtliche Spielpläne über den Haufen wirft, denkt Kramer wieder an Kohlhaas – diesmal aus eher pragmatischen Gründen: Jetzt, da endlich (fast) alle ausgefallenen Premieren der vergangenen Spielzeit nachgeholt werden können, schrumpft die Ressource Probenzeit auf ein Minimum. Warum da nicht den Liechtensteiner „Michael Kohlhaas“ fürs Magdeburger Theater umbesetzen – zumal ohnehin zwei der vier damaligen Darsteller mittlerweile Ensemblemitglieder sind? Vor allem aber: Zumal es eine seiner gelungensten Arbeiten gewesen sei. Großen Anteil daran hatte Bühnenbildner Gernot Sommerfeld. Aus der Bildenden Kunst kommend, hatte er für die Bühne einen Ausstellungsraum mit Skulpturen aus Massivholz entworfen, die sich origamiartig auseinandernehmen und so von Häusern in einen Schlagbaum, eine Kanzel oder ganze Städte verwandeln ließen. „Beim Lesen war uns der Gedanke gekommen, dass auch Kleists Text einer Skulptur ähnelt“, erklärt Kramer. Jaja, der Text. Kleists besonderer Stil dürfte so manchem Leser im Gedächtnis (oder Magen?) hängen geblieben sein. „Eine Seite – ein Satz“, bringt es Tim Kramer auf den Punkt. Und genau das fasziniert ihn: „Diese anachronistische Qualität von Sprache, die trotzdem so nuancenreich ist. Da stellt Kleist mal eben Martin Luther bloß, indem er ihn mit hohler Rhetorik faseln lässt.“ Und so entschied sich Kramer, den Abend der Sprache zu widmen: auf eine dialogische Theaterfassung zu verzichten und ganze 60% der Kleist’–schen Novelle zum Klingen zu bringen. Nebeneffekt: Kohlhaas wird nicht auf den Wutbürger reduziert, der in seinem Gerechtigkeitsempfinden außer Rand und Band gerät und brandschatzend durch die Lande zieht – „In der Geschichte steckt so viel mehr!“ – und auch die märchenhaften Facetten der Geschichte, etwa die wahrsagende Zigeunerin mit dem Gesicht von Kohlhaas‘ verstorbener Frau, kommen zur Geltung. Kramer geht es um die universellen Fragen der Novelle, die nichts an Aktualität verloren hat: Muss man sein Schicksal annehmen oder darf man dagegen ankämpfen? Und wie weit kann man dabei gehen ohne selbst schuldig zu werden?

„Michael Kohlhaas“, Premiere am 26.11., 19.30 Uhr, Schauspielhaus

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