Heßlingsche Egomanie

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© Viktoria Kühne

Noch albern sie in mitten von zwei drehbaren Wänden herum. Da plumpst einer ganz unvermittelt in das Geschehen: Diederich Heßling. Plötzlich gehört der kleinen Puppenfigur deren volle Aufmerksamkeit. Gabriele Grauer, Florian Kräuter, Freda Winter und Lennart Morgenstern unterbrechen ihr Narrenspiel. Sie beugen sie nach vorne über. Sichtbar werden weiße Masken, die zu fiesen Grimassen verzerrt sind. Die teuflischen Narren bereiten sich, die Fäden bei Diederich Heßlings Leben zu ziehen. Auch bei ihrer aktuellen Inszenierung von Heinrich Manns Roman "Der Untertan"  bringt Regisseurin Astrid Griesbach ihre Fädenzieher, die Buffone, wieder mit ins Spiel. Seit dem 14. Februar ist die Inszenierung im Puppentheater Magdeburg zu sehen.

"Fäden" in der Hand

Dass Papier einen bedeutenden Anteil an Heßlings Weg hat, daran lassen Regisseurin Astrid Griesbach und Ausstatterin Stefanie Oberhoff keinen Zweifel. Toilettenrollen hängen von der Decke, zu Beginn noch abseits vom Spielgeschehen. Schließlich erbt Heßling in Manns Roman die Papierfabrik seines Vaters. Gleich daneben stehen zwei große, drehbare Wände. Sie zeigt einen Adler, ein deutsches Nationalsymbol – noch heute. Schon das Bühnenbild baut also einen Gegenwartsbezug auf. Mitten im Geschehen befinden sich die vier Buffone, die Fädenzieher der illustren Heßling Show. Typisch für Griesbach-Inszenierungen:  Das Ensemble ist nicht allein Puppenspieler, sondern mimt selbst Figuren, sogenannte Buffone. Sie steuern als teuflische Narrenfiguren die Handlung, erzählen Manns "Untertan", wie es ihnen gefällt, springen im Buch von Szene zu Szene. Auch lassen sie die Figur des Gunther Mahlmann, der in Manns Roman Gegenspieler von Heßling ist, auftauchen und wieder verschwinden. Er ist schließlich in der Inszenierung Opfer der Strichfassung geworden. Allerdings will der sich nicht ganz so wortlos aus der Inszenierung verabschieden. Die Buffone sind ein geschicktes Mittel, um die Romanvorlage für die Theaterbühne aufführbar zu machen. Folgen kann man der Handlung trotzdem. Man genießt es sogar, dass nicht jedes noch so kleine Detail mit perfider Genauigkeit erzählt wird.

Der Weg des Untertan

Diederich Heßling ist ein Untertan, der nach unten tritt und nach oben kriecht. Das berechnende Verhalten und die kindliche Naivität lassen Griesbach und Oberhoff in den verschiedenen Puppenfiguren lesbar werden. Auch als Heßling äußerlich dem Kindesalter entwachsen ist, behält er das kindlich, rundliche Gesicht, das mit großen Augen in die Welt blickt.  Er wirkt unschuldig, die Menschen vertrauen ihm. Je älter er wird, desto größer wird sein Ego, der Kopf schwillt mit ihm an. Letztendlich ist er so überlebensgroß, dass ein Missverhältnis zwischen Körper und Kopf entsteht, als Florian Kräuter zum großen Finale den Egomanen darstellt.

Heßlings vorteilbemessenes Verhalten spiegelt sich also nur geringfügig in der Puppenfigur wieder, vielmehr nutzt Griesbach andere Elemente, um es darzustellen. Im Roman lässt sich Agnes Göppel, Tochter eines Zellulosefabrikanten, auf Heßling ein und muss mit den Konsequenzen leben. Griesbachs Inszenierung kehrt an diesem Punkt  das wahre Gesicht des Untertan wirklich höllisch heraus. Eine temporierte Liedkomposition und eine durch eine Papierrolle erzählte Bildergeschichte dramatisieren Heßlings um egoistisches Verhalten zusätzlich. Das Gesicht des Untertan ist auf den Bildern zu einer fiesen Grimasse verzogen. Unter den Augen des boshaft verzerrten Kaisergesicht, muss Agnes unter dem Untertan leiden.

Papierschlacht

Das Toilettenpapier ist nicht allein permanenter Bestandteil des Bühnenbildes. Es wird sogar zum Schulstoff, der den in Reih und Glied sitzenden Porzellanschülern eingeimpft wird. Im deutschen Reich gibt es eben keinen Leerstand in den Köpfen, die müssen mit glorreicher Geschichte gefüllt werden. Die Buffone sind hier mal Schüler, mal Lehrer, die sich dem strengen Diktat der wilhelminischen Gesellschaft unterordnen müssen. Das Kaiserreich überall alles . Ein Wehwechen des Kaisers, oh welch ein Graus, da stockt selbst die Fließbandschulstoffmaschinerie. Das kollektive Aufatmen gerät dann so in Schwärmerei, dass es schon wieder übertrieben komisch ist. War das Papier erst Nebendarsteller greift es immer mehr in die Optik der Inszenierung ein. Das geht sogar soweit, dass man manchmal vergeblich nach dem Bühnenboden sucht. Sicherlich eine gute Idee, das Papier zur Figurenverkleidung, Papierfabrik und Bierkrug werden zulassen. Allerdings artet der Umgang mit der Zellulose schon was zu einer Papierschlacht aus, an dessen Ende steht die Enthüllung des glorreichen Kaiserdenkmals durch Diederich Heßling.

Fazit

Auch wenn Heinrich Manns "Der Untertan" ein Fingerzeig auf das Verhalten in der wilhelminischen Gesellschaft ist, geht in Griesbachs Inszenierung dieses Romans nicht der Faden zur Gegenwart verloren. Sie hält damit auch unserer Gesellschaft einen Spiegel vor. Nach hohen Positionen kann jeder streben, dabei die Übereigenschaft des Menschen zu behalten, ist schon eher ein Kunststück. Griesbach ist es gelungen, den über 400 Seitenlangen Roman Heinrich Manns in eine temporeiche Inszenierung zu verpacken und das mit einem spielfreudigen Ensemble, was sowohl komische als auch tragische Momente gekonnt transportieren kann.

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