„Körpersprache ist die primäre Kommunikation“

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© Conrad Engelhardt

Seit über zehn Jahren beschäftigst du dich mit Körpersprache, dein aktuelles Programm heißt „Ertappt! Körpersprache: Echt männlich. Richtig weiblich“. Kann man dich bei deiner Körpersprache überhaupt noch ertappen?

Natürlich. Wenn ich zum Beispiel Kinder sehe, ertappen sie mich und ich sie. Das ist immer sehr lustig. Immer passiert irgendetwas Unerwartetes. Ich nehme zwar in meiner Umgebung mehr als der Durchschnitt wahr. Trotzdem nicht alles. Ich analysiere weniger, sondern beobachte.

Ich würde behaupten, dass sich viele Menschen der Körpersprache bewusst sind – die verschränkten Armen beim Gespräch etwa. Aber ist Körpersprache wirklich so eindeutig? Damit läufst du bei mir offene Türen ein. Das größte Halbwissen in der Körpersprache ist, dass man versucht Einzelsignalen eine eindeutige Bedeutung beizumessen. Zum Beispiel zu behaupten, dass Hände verschränken ein Zeichen von Verschlossenheit oder Zurückhaltung sei, ist Blödsinn. Ich glaube aber nicht, dass sich die Menschen ihrer Körpersprache bewusst sind. Es ist eher das Gegenteil. Es passiert nicht selten, dass der Großteil überrascht ist, wenn ihnen ein Signal an sich selbst auffällt, zum Beispiel auf einem Foto. Ihnen ist gar nicht bewusst, dass sie den ganzen Tag so durch den Alltag laufen. Ihren Mitmenschen schon.

Trotzdem gibt es viel Lektüre zum Thema. Ein ehemaliger FBI-Agent, verschiedene Mentalisten und viele andere haben sich zu dem Thema auf ihre Weise positioniert. Wo ordnest du dich ein?Ich sage zum Thema Körpersprache nur Dinge, die haltbar sind, also wissenschaftlich nachweisbar. Man kann einfach anhand von Körpersprache oder eines Einzelsignals kein Psychogramm eines Menschen erstellen. Nur weil jemand die Arme verschränkt, kann ich nicht erkennen, was er für eine psychische Konstitution hat. Das ist mir ganz wichtig. Der Hausverstand ist auch unheimlich wichtig. Man hat sich sicher selbst in dieser Haltung ertappt und war in diesem Augenblick gar nicht verschlossen oder zurückhaltend. Auch muss das kein Anzeichen für eine Lüge sein, wenn man seinem Gesprächspartner nicht in die Augen sieht oder seinen Mund verdeckt. Das kann tausend andere Gründe haben.

Es besteht also nur eine Wahrscheinlichkeit, dass Mikroausdrücke helfen, Lügner zum Beispiel zu erkennen.Genauso muss man’s formulieren. Und fertig! Aber in den Medien und auch bei diesen – wie du sie genannt hast – „Teilweise-Experten“ wird es auf einmal möglich. Dabei ist das nur eine Theorie. Es ist wichtig, dass man den Leuten sagt: „Pass auf! Wenn du drei Folgen ‚Lie to me’ geschaut hast und sich dein Mann neben dir plötzlich an der Nase kratzt, reich’ bitte nicht gleich die Scheidung ein.“  Wir sind nicht in der Lage, zu erkennen, warum der das macht. Was wir können ist, ein vom Normalzustand abweichendes Verhalten zu erkennen. Dann weiß man, es ist etwas passiert.

Nun wird wohl der ein oder andere sein Handbuch für Lügenerkennung und Flirthilfe genervt in die Ecke schmeißen.. Und ich erachte es für viel wichtiger, die Alltagskörpersprache genauer zu betrachten. Das geht doch in den Verfolgungswahn, wenn du dich immer fragst: ‚Hat mich der mich jetzt angelogen.’ Dann hat man das Leben verpasst.

Bis man zu der Erkenntnis kommt, muss man sich wohl über einen langen Zeitraum intensiv mit Körpersprache auseinandersetzen. Expertenwissen braucht Zeit, wie lange hat es bei dir gedauert? Es dauert an. Selbst nach über zehn Jahren gibt es immer noch Dinge, die ich noch nicht weiß. Ich will mich zum Beispiel noch viel mehr mit Neurologie beschäftigen, obwohl ich schon viel darüber gelesen habe. Die Steuerzentrale für unsere Körpersprache ist nun mal das Hirn. Man muss einfach wissen, wie und warum es reagiert.

Trotzdem bist du doch nicht eines Morgens aufgewacht und hast gedacht: „Ich werde jetzt Körpersprachenexperte“.

Das stimmt. Es hat keinen Initialreiz gegeben. Ich habe das von zu Hause mitbekommen. Alles bildende Künstler – da wächst du damit auf, wie Figuren entstehen. Eine Figur ist ja auch nur eine eingefrorene Körpersprache. Und wenn ein Künstler dir vermitteln kann, was die Figur ausdrücken soll, dann hat er die Körpersprache unglaublich gut festgehalten. Dadurch bekommt man einen Blick dafür, ob eine Hand geöffnet oder geschlossen dargestellt werden soll. Dann habe ich gemerkt, dass ich den Blick für Körperhaltungen habe.

Siehst du dich denn ein bisschen als Aufklärer der Körpersprache?Ja das schon, aber ich habe keinen Missionarsauftrag. Ich erwarte nicht, dass die Leute bei mir zwei Stunden in der Show sitzen und danach eine bessere Körpersprache haben. Sie werden am Ende nicht wissen, ob sie mehr gelernt oder gelacht haben. Es ist wichtig, der Körpersprache den Dienst zu erweisen, den sie verdient hat – nämlich nicht das Vehikel von irgendwelchen Psychotechniken zu sein, sondern das, was sie eigentlich ist. Körpersprache ist die primäre Kommunikation, die Lebewesen haben. Sogar Einzeller haben sie.

Stefan Verra, 5. März, 20 Uhr, Altes Theater, Verlosung

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