Mit Abstand betrachtet

Aus der realen Not machen die Bühnen eine digitale Tugend. Weil sich der erzwungene Stillstand unplanbar weiter hinzieht, haben Theater und Kabaretts nach eigenen Wegen gesucht, per Streaming ihrer Stücke für das Publikum erreichen. Ein Überblick.

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© Anjelika Conrad

Den Anfang machten die „Bremer Stadtmusikanten“. In Gestalt von Samira Wenzel, Anna Wiesemeier, Lennart Morgenstern und Stefan Wenzel begaben sich Esel, Hund, Katze und Hahn auf neue unbekannte Wege – es gab ja nichts zu verlieren, alles andere war Stillstand. In dem sich immer länger hinziehenden Lockdown hatte man im Puppentheater angesichts des Totalausfalls der so wichtigen Weihnachtszeit fieberhaft überlegt, wie man für das Publikum erreichbar bleiben könne. Heraus kamen anfangs eher spezielle Konzepte wie das „Theater für Einzelgänger“, bei dem man als Familie eine exklusive Einzelvorstellung bekommen kann. Auch am Theater Magdeburg experimentierte man mit Formaten wie Telefonanrufen bei Abonnenten, um diesen dann am Hörer ein musikalisches Live-Solo zu präsentieren. Mehr als gutgemeinte Symbolik, jenseits des wirklich Zählbaren ist das nicht.

Anfang Januar kam der künstlerische Leiter des Puppentheaters, Frank Bernhardt, auf die Idee, die Produktionen per Streaming erlebbar zu machen. Klare Bedingung für diesen Weg ins Netz war „kein Video, kein einfaches Abfilmen“, sondern echte Livestreams. Dafür bot sich die Streamingplattform dringeblieben.de an, gegründet 2020 im Raum Köln, die alle nur denkbare Kulturformen von Konzerten bis Theater auf heimische TV-Geräte bringt. Den technischen Support übernahmen die Medienmacher vom Gröninger Bad e. V. , die mit professioneller Liveschnitttechnik und drei Kameras begleiten, um ein Theater-Echtzeit-Erlebnis fürs heimische Sofa zu erzeugen. Mehr noch: Im Anschluss an jede Vorstellung öffnet der Live-Chat fürs Nachgespräch. Der Erfolg war durchschlagend, die Tickets für die Streams ausverkauft, man hatte Einwahlen aus Europa und der Welt. Gab‘s anfangs nur Kinderproduktionen, kam am 13. März bereits das erste Erwachsenenstück: Theodor Storms „Schimmelreiter“ als eindrückliche Auseinandersetzung mit Visionären und Visionen.

Mit einem facettenreichen März-Spielplan aus Lesungen, Podcasts, Gesprächen, Opern­arien, Ballett und Schauspiel ist das Theater Magdeburg ins Streaming-Geschäft eingestiegen. Den Beginn machte am 2. März der Literaturklub Online mit einem Gesprächsabend zu Alain Robbe-Grillets „Die Radiergummis“, danach geht es dicht an dicht weiter: Dem Podcast Garderobengespräche (donnerstags) folgt die neue Liveshow „Rampe & Radau“ (19./26. März), ein Showprogramm aller Sparten mit Gerüchten und Kuriosem aus dem Theateralltag, präsentiert von Christoph Förster. Eine Perle im Programm ist ganz sicher die Ballettpremiere „Eden One“, in der Choreograf Gonzalo Galguera auf der Suche nach dem Paradies in uns selbst ist. Spannung verspricht die Stücklesung „Lockdown Lecture 2“, (28.3.), bei der der Autor einen tiefen Blick in menschliche Abgründe und seelische Verwerfungen wirft.

Ausgerechnet in diesem Frühjahr begeht die Zwickmühle, Magdeburgs älteste Kabarettbühne, ihren 25. Geburtstag und diese Feier wollten Hans-Günther Pölitz, Marion Bach & Co keinesfalls ohne ihr Publikum verbringen. So produzierten die Zwickmüller ein kabarettistisches Geburtstags-Special als Online-Stream Anfang März, welches im April (3./4.4.) wiederholt wird. Darin präsentieren Pölitz&Bach handverlesene Szenen ihrer Kabarett-Programme.

Weitere Informationen und die Buchung von Streaming-Tickets sind auf den Hompages des Theater Magdeburg, des Puppentheaters und der Zwickmühle erhältlich.

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