Was für ein genialer Stoff

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© Kathrin Singer

Mit elf Jahren ergatterte Raimund Widra eine Kinderrolle in der Internatsseifenoper „Schloss Einstein“. Als „Atze Feilke“ berlinerte er sich durch 76 Folgen der Endlosserie, zu finden noch immer auf Youtube. Schauspieler zu werden, war zu dieser Zeit allerdings noch kein Thema. Obwohl: Schon als Sechsjähriger begann Widra mit einer klassischen Ballett­ausbildung, wechselte dann zu Gesellschaftstänzen und schließlich zum Turniertanz. „Zeitgleich habe ich auch gekegelt“, erinnert er sich lachend, „den Ausgleich brauchte ich wohl.“ Als Zivi sah er „Billy Elliot“ und ließ sich nochmals zu Tanzstunden hinreißen. Doch in der Schule gab‘s eine engagierte Theater-AG-Leiterin und um ihn war es geschehen. Der Sohn zweier Juristen mit Theaterabo hatte plötzlich ein Berufsziel: Schauspieler werden! Tatsächlich klappte es beim zweiten Anlauf an der Schauspielschule in Leipzig.

Auf, auf nach Magdeburg

Seine erste Begegnung mit Magdeburg hatte er noch als Student. Intendant Jan Jochymski holte ihn als Mitglied der „Platte“ für die „Dreigroschenoper“. Nach diesem Gastspiel kam die erste große Rolle: Ferdinand in „Kabale und Liebe“. In der Komödie „Spiel‘s nochmal Sam“ erinnert nur die typische schwarze Brille an das erdrückende Vorbild des Woody Allen. Widra, der den Film absichtlich vorher nicht anschaute, um die Phantasie nicht einzuengen, verpasste der Figur einen ganz eigenen unwiderstehlichen Charme. „Klar habe ich andere Woody-Allen-Filme geschaut, um dessen Geist und Spiel zu atmen, mehr aber auch nicht.“ Regisseur Jonas Hien hatte mit dem wandelbaren Mimen bereits vorher in der höchst intelligent blödelnden Stückentwicklung „Superheld“ gearbeitet und ihn im Ganzkörpertrikot in die grellbunte Welt der Comics geschickt.

Auf der Spur der Vergangenheit

Aktuell noch immer zu erleben ist Raimund Widra in Wolfgang Herrndorfs aberwitzigem Roadmovie „Tschick“, einem Dreipersonenstück, das in über 50 ausverkauften Vorstellungen jugendliche wie erwachsene Zuschauer in Begeisterung versetzte, aber auch, ganz aktuell in „Spur der Steine“. Für den 29-jährigen ist das eine spannende Erfahrung. „Ich war zur Wende vier. Klar spricht man mit den Eltern über die Zeit damals, über typische DDR-Biografien. In der Schule wurde das Thema eher stiefmütterlich behandelt, vielleicht weil die Lehrer selbst noch zu nah dran waren.“ Den Abstand zum Geschehen findet er aber gut: „Man sollte Geschichtsdeutung durchaus der jüngeren Generation überlassen und ihnen nicht das Recht dazu absprechen, nur weil sie selbst nicht dabei waren. Bei einem Shakespeare schließlich würde auch niemand auf diese Idee kommen.“

Eine multimediale Ein-Mann-Show

Nun also Goethe. Der Regiestar Nicolas Stemann ersann eine Monologfassung des Briefromans, mit der der Schauspieler Philipp Hochmair seit 1997 Klassenzimmer, Stadttheater und Festivals gleichermaßen eroberte. Idee des multimedialen Ein-Mann-Abends dabei ist, die noch heute anrührende Geschichte des unglücklich Verliebten in die Zeit von Facebook, Twitter und I-Phone zu holen. Für Raimund Widra funktioniert das prima: „Irgendwann hatten wir den Text auch mal in der Schule, ich weiß es gar nicht mehr genau. Aber erst jetzt bei der Arbeit daran stelle ich fest, was für ein genialer und noch immer nahe gehender Stoff das heute noch ist.“ Regie bei dem Abend, der in einer intimen Atmosphäre im Schauspielhausfoyer stattfindet, führt Maik Priebe, ein guter Freund des Schauspielers. „Ich bin sehr froh darüber, mit ihm zusammenzuarbeiten, es ist mein erstes Solostück, ich bin also immer dran, und nur die Kamera hilft, dass ich nicht so alleine bin...“

Werther!, Premiere: 1. November, 19.30 Uhr, Schauspielhaus/ Foyer

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