Wasser auf die Kakteen

Auftakt war im November, nun folgt die zweite Festivalwoche des dreigeteilten Figurentheaterfestivals „blickwechsel“ bei dem sechs Compagnies aus Deutschland, Spanien und Frankreich dabei sind.

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© Luigi Consalvo

© Florian Feisel

Das Figurentheaterfestival „Blickwechsel“ hat sich längst über Magdeburg und Deutschland hinaus einen Namen gemacht. Umso schmerzlicher war es für Organisator Frank Bernhardt und das Team des Puppentheaters die erzwungene zweimalige Absage des Festivals in den Sommern 2020 und 2021. Die im letzten Jahr beschlossene Dreiteilung war dabei die einzige Möglichkeit, das Festival noch zu retten. Vor allem war schwierig, im bereits dichten Spielplan des Hauses Zeitfenster für das Festival zu finden. So machte man aus der Not eine Tugend, verteilte das Festival auf drei Einzelwochen im November 2021, März und Juni 2022. Herausragende Inszenierungen aus den für 2020 kuratierten Beiträgen kamen dabei erneut ins blickwechsel-Programm, aber auch Produktionen junger Künstler, die erstmalig der Einladung nach Magdeburg folgen werden. Im nun kommenden zweiten Teil des Festivals sind sechs Compagnies aus Deutschland, Frankreich und Spanien vertreten, darunter mit M.A.R. von Andrea Díaz Reboredo (ES) und dem Stück „Ersatz“ des französischen Collectif AÏE AÏE AÏE auch zwei der acht Uraufführungen des Festivals.

Puppentheater Mageburg - Das schönste Land der Welt: Wie ein Fremdkörper mit Charme steht ein Schiffscontainer plötzlich mitten da – sechs Meter lang, zwei Meter breit und drei Meter hoch. Werden Sie Gast im Stahlbehälter! Nehmen Sie Platz und begeben Sie sich auf eine Reise, nach Deutschland, in die DDR und in die Welt ihrer Träume und Wünsche aus der Zeit um 1990, als jener Prozess stattfand, der gemeinhin als Wiedervereinigung bezeichnet wird!

Puppentheater Magdeburg - Gummienten ahoi: Ein Frachter sticht von Hong Kong aus in See. Auf geht die Reise. Ahoi! Das Schiff hält Kurs aufs ferne Ziel, den Hafen von Vancouver. Doch halt! Ein Sturm auf hoher See reißt zwölf Container über Bord. Mit ihnen fallen 28.800 Badetiere ins offene Meer. Zwei erzählen diese Geschichte. Was geschah mit den Enten? Wie ist es so, allein zu sein? Wer bestimmt die Richtung? Strömung und Wind treiben die gelben Enten umher. Das Meer spült sie hier und dort an Land. Die bekannt gewordenen freundlichen Treibteilchen, die am 10. Januar 1992 über Bord gingen und Jahre später noch an Land kamen, sind Ausgangspunkt für ein Objekttheater und ein großes Abenteuer über Flüsse, Seen und das Meer.

Florian Feisel (D) - Schmetterdinge: 2.756 Bruchstücke von Porzellanpuppen wollen unbedingt mit einer Sammlung verstorbener Insekten zusammenkommen. Zu Lebzeiten haben die präparierten Schmetterlinge und Käfer  eine vollständige Metamorphose inklusive Puppenstadium durchlaufen. Nun sind sie in Schaukästen zu bewundern. Auch die Porzellanpuppenteile haben ihre Geschichte. Als Expeditionsleiter, Museumsführer und Entomologe nimmt Florian Feisel die Welt der Dinge auseinander, ordnet sie neu an und wird zum Protagonisten dieser Welt, der er gemeinsam mit dem Publikum verfällt. Fortwährend im Unklaren lässt er, wo man sich befindet – in einer Ausstellung, einem fiktiven Forschungslabor, im Kopf des Performers oder des betrachteten Materials.

Andrea Díaz Reboredo (ES) - M.A.R.: Wenn die ganze Welt Theater ist, dann ist Architektur die Bühne dafür. Jede Kultur kreiert eigene Räume, die wiederum selbst kulturelle Bedeutung erschaffen. Zwei Erzählungen verflechten sich in diesem technisch-poetischen Objekttheater: die Geschichte eines Hauses quer durch ein Jahrhundert Sozial-, Familien- und Wirtschaftsgeschichte sowie ein Nachdenken über Räume und unser Leben darin. Mit präzisen Bewegungen des Körpers geht es auf eine Reise durch die Alltagswelt aus Holz, Papier, und Zeichnungen. Gedanken werden zu szenischen Miniaturen, Stück für Stück wird der Raum konstruiert, der auf poetische Weise reflektiert wird. Ein bildhafter Diskurs mit Musik, der ins Innerste führt – nach Hause.

Materialtheater Stuttgart (D) - Ubu: Gurke oder Kaktus sein – welche Strategie ist die richtige zum Überleben? Zwei Damen beschließen ihrer Nettigkeit Adieu zu sagen und sich in Böswillen zu üben. Dazu zerren sie Alfred Jarrys bitterböse Kasperl-Groteske vom grausamen und feigen König Ubu und seiner nicht minder schlimmen Gattin auf die Bühne: Mutter Ubu überredet Vater Ubu, den König von Pompolonien zu ermorden, sich an seine Stelle zu setzen. Das Attentat gelingt, Ubu wird König, beschenkt und bescheißt sein Volk und metzelt potentielle Gegner aus dem Weg. Die beiden Damen aber müssen feststellen, dass auch Kakteen eingehen, wenn man sie zu heftig gießt …

Schaubude Berlin (D) - Fanny Alexander: Fanny und Alexander wachsen in der quirligen Welt einer Theaterfamilie auf – bis ihr Vater stirbt und ihre Mutter einen Bischof heiratet. Im asketischen Kirchhof prallen Generationen, Wahrheiten und Lebensentwürfe aufeinander und ein erbitterter Kampf zwischen Kindern und Stiefvater entbrennt.

Collectif AÏE AÏE AÏE (F) - Ersatz: Eine Fantasiereise in eine Zukunft, die schon da ist. Eine absurde Imagination der fortschreitenden technologischen Revolution. Die Erfahrung der Melancholie, die aus der Verbindung von Mensch und Maschine entsteht. Das alles und noch mehr ist dieses wortlose Objekttheater, in dem analoge Gegenstände virtuelle Realität abbilden. Wie ein Gedicht oder ein Frosch kann „Ersatz“ nicht in seine Einzelteile zerlegt werden, denn isolierte Elemente sagen nichts über das, was miteinander verwoben ist! Die ebenso amüsante wie verstörende Schnitzeljagd wirft bei aller Komik dennoch ernsthafte Fragen auf zu Transhumanismus, künstlicher Intelligenz, Kybernetik und dem emotionalen Spagat der Menschen zwischen Faszination und Grusel.

Das volle Programm des Figurentheaterfestivals "blickwechsel" vom 16. bis 19. März über die Website

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