Hegelstraße 33

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© Dietrich Bahß

Die Hegelstraße 33 war Anfang der 1980er Jahre eine kleine, feine Adresse. Hier wohnte das Fotografenpaar Ingrid und Dietrich Bahß und hatte ihre geräumige Wohnung zu einer Art privaten Galerie gemacht, ab 1981 gab es zunehmend auch Musikveranstaltungen und Lesungen.

Kunst von Manfred Butzmann, Cornelia Schleime und Ralf Winkler (inzwischen A.R. Penck) wurde gezeigt, die Jazzer Dietmar Diesner und Conrad Bauer machten Musik, Sascha Anderson und Heiner Müller lasen in der Wohnungsgalerie, um nur einige Persönlichkeiten zu nennen.Dietrich Bahß ist eigentlich studierter Mathematiker, durfte aber nach seinem Diplom 1971 nicht angemessen in seinem Beruf arbeiten und fand ab 1981 Beschäftigung in kirchlichen Einrichtungen der Stadt Magdeburg. Seit 1977 fotografierte er bewusst, konnte in der Fotogruppe des Kulturbundes und durch autodidaktische Weiterbildung das nötige Handwerkszeug erwerben.

Es gab damals wenige Einzelausstellungen seiner Fotografien, einige Ausstellungsbeteiligungen und seltene Veröffentlichungen in der Magdeburger „Volksstimme“ und im „Sonntag“ , der Wochenzeitung des Kulturbundes, sind belegbar. Selbst Leiter des Fotozirkels im Jugendklub am Hasselbach durfte er werden. Aber als die Bahßens 1981 ihre Wohnungsgalerie einrichteten, begann ein perfider Apparat seine zersetzende Arbeit. Ein Höhepunkt dieser Veranstaltungen war sicher die Lesung Heiner Müllers, zu der sich am 3. März 1983 ungefähr 130 Besucher in der Bahß’schen Wohnungsgalerie einfanden, unter ihnen auch Sascha Anderson, der, wie sich später offenbarte, als eifriger Informant Teil dieses perfiden Stasi-Apparates war. Und dieser Apparat reagierte. Familie Bahß wurde im Herbst 1983 zur Ausreise aus der DDR aufgefordert, unter Androhung von Inhaftierung, falls die Veranstaltungstätigkeit fortgesetzt werde. So kam es, dass das Ehepaar Bahß das Land wechselte und von der Elbe an den Rhein nach Köln ging.  

So sind Dietrich Bahß’ Fotografien etwa von Heiner Müllers Lesung auch ein Stück Zeit- und Kunstgeschichte, die allerdings weit mehr sind als Dokumente. Es ist künstlerische Fotografie, die sich „um Wahrhaftigkeit, um Präzision, um Schlichtheit und Klarheit, um das Zusammenspiel von Emotionalität und Sachlichkeit“ bemüht, wie Ingrid Bahß schreibt. Dem eher introvertierten Künstler gelingen im Café Liliput Aufnahmen, die vielleicht auch den Aha-Effekt für die noch lebenden Besucher des Szene-Cafés haben, aber darüber hinaus künstlerische Aussagekraft weit über das Regionale hinaus in sich vereinen. Sie zeigen das Alltagsleben ebenso wie atmosphärisch dichte Motive der damaligen Jugendkultur. Die Architekturfotos, z.B. vom Hasselbachplatz, geben ein in der Tat graues und tristes Magdeburg, an das sich der eine oder andere nicht mehr erinnern mag, sie zeigen aber auch das Liebenswürdige einer zweimal total zerstörten Großstadt, die Teil der DDR war. (jb/c)

Hegel 33, Fotografien von Dietrich Bahß 1979-1983, Vernissage 9. September, 19:30 Uhr, Forum Gestaltung

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