Wo Gewalt Alltag war

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© Marie Zahout

Wegen eines Flugblatts wurde der Magdeburger Ralph-Peter Klingenberg 1975 zum politischen Häftling. Zusammen mit drei Freunden hatte der 18-Jährige das Flugblatt verfasst, auf dem sie die Presse- und Meinungsfreiheit sowie die Einhaltung der UN-Charta von Helsinki forderten. Das Blatt konnte nie verteilt werden – Klingenberg aber wurde verhaftet. Heute blickt er als Zeitzeuge auf seine damalige Inhaftierung zurück: „Ausstellungen sind wichtig, um vor allem den jungen Leuten zu zeigen, was damals passiert ist.“ Zuerst wurde er ins Gefängnis am Moritzplatz gebracht. Acht Monate lang war er dort vor allem der psychischen Gewalt der Wärter ausgesetzt. Nur durch Glasbausteine in der Wand fiel ein wenig fahles Licht in die Einzelzelle. In der Nacht wurde alle 10 bis 15 Minuten die Beleuchtung angeschaltet. „Am schlimmsten aber war das Kinderlachen“, sagt der heute 57-Jährige. Der halbstündige Freigang erfolgte immer dann, wenn bei der benachbarten Schule gerade Pause war. Die Stimmen der fröhlichen Schüler ließ die Häftlinge deutlich spüren, wie unfrei sie waren. Nach einer Verhandlung wurde Klingenberg schließlich zu zwei Jahren Haft verurteilt. Diese musste er im Gefängnis Cottbus absitzen. „Schwerkriminelle wurden besser behandelt als wir“, erklärt Klingenberg. Das Brot, das Politische wie er zu essen bekamen, war verschimmelt und es wimmelte von Ungeziefer. Obwohl durch die schlechten Haftbedingungen körperlich geschwächt, mussten die Gefangenen schwere Metallarbeiten durchführen. Einmal sollte Klingenberg zur Strafe den Boden wischen. Eine Anordnung des Wärters Hubert Schulze, einer von nur zwei später verurteilten DDR-Gefängnisaufsehern. Der „Rote Terror“, wie ihn die Häftlinge nannten, stieß dabei immer wieder absichtlich den Wassereimer mit dem Fuß um. War der Eimer umgefallen, kassierte Klingenberg Prügel. Der Angriff von „RT“ gipfelte darin, dass er den bereits völlig erschöpften Klingenberg die Treppe hinunterstieß. Der Grund für die Attacke: Der junge Mann hatte unerlaubter Weise auf seinem Bett gelegen. Nach 14 Monaten in der Gefängnishölle durfte Klingenberg in die BRD ausreisen. Doch die schrecklichen Erinnerungen blieben. Die aktuelle Ausstellung benennt Täter und Opfer gleichermaßen und thematisiert wie nach 1990 mit dem Thema umgegangen wurde.

„Gewalt hinter Gittern – Gefangenenmisshandlungen in der DDR“, bis 27. Februar  im Alten Rathaus, je 9 bis 18 Uhr

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