„Das Gefühl von Wärme müssen wir innergesellschaftlich schaffen“

Die Protagonisten im Drama "Die stillen Trabanten" sind Abgehängte des Sozialstaates und sehnen sich nach Lebensglück und Liebe. Zum namhaften Ensemble zählt auch Martina Gedeck als Reinigungskraft Christa. Ein Gespräch.

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© Warner

Frau Gedeck, was für ein persönliches Bild haben Sie sich von Ihrer Figur Christa geschaffen?

Christa ist ein Mensch, der eigentlich voll von Gefühlen und Gedanken ist, der aber nicht aus sich heraus und mit niemandem sprechen kann. Ein Mensch, der alles mit sich abmachen muss, dann aber durch die Begegnung mit einer anderen Frau plötzlich lebendig wird. Man erfährt, sieht und spürt, wie sie fühlt und wonach sie sich sehnt. Es ist eine Sprache, die nicht unbedingt aus Worten besteht. Christa ist eine Frau, die immer ja sagen und sich unterordnen musste. Im Laufe des Films kommt sie an einen Punkt, wo sie sagt: „Ich sage jetzt nein. Ich mache es nicht mehr mit.“ Das ist etwas, was mich sehr berührt hat. Sie hat plötzlich den Mut aufzustehen: „Ich bin auch jemand. Ich will mich nicht mehr quälen lassen.“

Hatten Sie ähnliche Jobs wie Christa, um die Ausbildung zu finanzieren?

Ja. ich habe viele Jobs gehabt, habe Zeitungen ausgetragen, habe als Sekretärin im Büro gearbeitet und Schreibarbeiten gemacht, habe gekellnert und als Statist gearbeitet, als ich auf der Schauspielschule war. Das sind die Jobs, die mir jetzt auf Anhieb einfallen.

Wurden Sie schon einmal von einem Regisseur so respektlos behandelt wie Christa von ihrem Chef?

Nein, eigentlich nicht. Dass man nicht gesehen oder gemocht wird, kenne ich. Aber diese Art von Demütigung? Daran kann ich mich ehrlich gesagt nicht erinnern. Wobei ich zu meiner Anfangszeit auch nicht in Konflikte gegangen bin. Ich habe mich dem untergeordnet.

Sie leben heute in privilegierter Situation. Kann es da schwierig sein, den Blick auf den Normalbürger nicht zu verlieren und sich im Elfenbeinturm einzuschließen?

Bestimmt gibt es da eine Gefahr, ja. Es ist ein Beruf, der sich mit Fiktionalem beschäftigt, mit etwas, das nicht wirklich existiert bzw. was nicht greifbar ist. Die Welt der Fantasie ist unser Zuhause. Die Fantasie ist aber nichts Ausgedachtes. Sie kommt schon aus der Realität heraus, aus dem, was uns umgibt. Wir beschäftigen uns intensiv mit der Wirklichkeit und wie sie im Hier und Jetzt stattfindet. Ich empfinde es als Teil meines Berufs, zu wissen, was in der Welt passiert, was in unserer Gesellschaft vorgeht und was mit den Menschen geschieht. Wir wollen unserem Publikum etwas erzählen und das umfasst alle Menschen. Wir machen das nicht nur für eine privilegierte Schicht, sondern für alle. Ein Film wie dieser erzählt von Menschen, die einsam sind und die sich durchs Leben kämpfen müssen. Wenn man sich nicht zumindest emotional damit beschäftigt, hat man in dem Beruf nichts verloren. Das ist unsere eigentliche Aufgabe. Wenn ich Anwältin wäre, könnte ich auf andere Weise wirksam sein und zur Gesellschaft beitragen. Ich finde das, was wir machen, auch wichtig, weil Menschen sich gemeint und angesprochen fühlen.

Viele Menschen fühlen sich dieser Tage nicht gesehen und beschreiten deshalb mitunter Irrwege. Haben Sie den Eindruck, dass die Politik derzeit noch am Puls der Bevölkerung agiert?

Die Politik scheint manchmal so viel zu tun zu haben. Es geht um die Energie, um die Wirtschaft, um Krieg und Rüstung und um das Klima. Als Einzelner fühlt man sich oft allein gelassen, wenn die Zeiten schwierig sind. Das ist ein ganz persönliches Gefühl, was vielleicht nicht unbedingt an das gekoppelt ist, was die Politik tut. Ich weiß nicht, wie die Politik sein müsste, damit die Menschen sich gesehen und sicher fühlen. Das kann die Politik vielleicht nur bedingt leisten … Und ich muss ehrlich sagen, dass ich das berufliche Feld der Politik nicht genug kenne. Aber es scheint schwer zu sein, überhaupt Dinge durchzusetzen, gerade wenn es unterschiedliche Meinungen gibt. Die versuchen und machen schon sehr viel. Man kann mit sozialen Mitteln unterstützen, das ist wichtig. Aber das Gefühl von Wärme und Aufgehobensein müssen wir innergesellschaftlich schaffen. Wir dürfen nicht vergessen, was „menschlich sein“ heißt. Wir müssen uns mit Respekt und Anstand begegnen. Es ist wichtig, dass wir uns innerhalb der Gesellschaft die Hand reichen. Ich weiß nicht, ob Politik da so maßgeblich ist.

Haben Sie das Gefühl, das Anstand und Respekt dem Anderen gegenüber zunehmend rarere Güter sind?

Ja, absolut. Das ist auch einer der Gründe, warum die Probleme so groß werden. Es gibt keine Achtung vor Grenzen, die der andere mit sich bringt und die man respektieren sollte. Es gibt eine relativ lange Zeit, die man warten und aushalten sollte, bevor man dem Anderen so nahetritt, weil man ihn noch gar nicht kennt und nicht weiß, was ihn umtreibt. Ich würde da eher aus einer Distanz heraus kommunizieren, bevor ich gleich draufschlage, schreie oder aggressiv werde. Die Aggressivität ist stark und bricht sich immer mehr Bahn. Man wird auf der Straße sehr schnell angepöbelt, wenn man das kleinste Ding macht. Wenn man mit dem Reifen auf den Fahrradweg kommt, wird man sofort angeschrien. Die Anspannung und Nervosität in der Gesellschaft sind momentan groß. Dazu kommt, dass man sich aufs Wort des Anderen verlassen können sollte. Das hat mit Anstand zu tun. Das gesprochene Wort und der Handschlag gelten nichts mehr und du kannst dich nicht mehr auf sie verlassen. Eigentlich musst du damit rechnen, dass du dich auf nichts, was nicht in einem Vertrag festgelegt und niet- und nagelfest gemacht wird, verlassen kannst.

Glauben Sie, dass viele Menschen Sehnsucht nach solchen Geschichten aus dem wahren Leben haben und der Superhelden und Jedi-Ritter im Kino überdrüssig sind?

Ja, wenn sie gut erzählt sind. Leider werden Filme wie dieser im Moment nicht wirklich unterstützt. Die Welle mit Jedi-Rittern und Netflix, die über uns rollt, ist riesig. Diese Form von Unterhaltung nimmt Überhand und mittlerweile ist man dessen überdrüssig. Man sagt sich: „Nicht schon wieder! Das hat mit mir und meinem Leben nichts zu tun.“ Es lenkt einen vielleicht ab, aber unterm Strich bleibst du leer zurück. Erfüllt und bereichert fühlst du dich nur, wenn du etwas Persönliches fühlst und angesprochen wirst. Wenn dein Herz berührt wird, fühlst du dich lebendig und fängst an, nachzudenken, zu lachen oder zu weinen. Wenn wir einen Film schauen, wollen wir auch in Dialog treten, sprechen und gehört werden. Filme können unterhaltsam sein, sie müssen aber etwas mit uns zu tun haben, anstatt äußerlich und konstruiert zu sein. Das kann witzig sein, aber auf Dauer reicht es nicht.

Filme wie „Die stillen Trabanten“ sind also kaum noch zu produzieren?

Genau. Das muss man klar sagen. Es gibt dafür kein Geld, es heißt: „Da geht keiner ins Kino! Einen solchen Arthouse Film können wir uns nicht leisten.“ Meiner Erfahrung nach werden diese Stoffe im Moment weitgehend abgelehnt. So wird es in den nächsten Jahren immer weniger Filme dieser Art geben, wenn nicht etwas passiert. Jetzt nach Corona heißt es: „Wir müssen etwas machen, was Mainstream ist. Wir müssen Profit machen.“ Das ist nachvollziehbar, aber irgendjemand muss uns unterstützen. Das geht nicht. So werden wir eines Tages dastehen und überhaupt keine Filme mehr haben. Oder nur noch amerikanische.


Zum Film:

Wenn die Nacht kommt, streifen Geschöpfe der Dunkelheit durch die Stadt. Christa (M. Gedeck) putzt im Bahnhof die Züge. Ihren Frust kippt die einsame Endfünfzigerin in der Bierbar „Gleis 8“ hinunter. Dort begegnet ihr die Friseurin Birgitt (N. Kinski). Es ist eine von mehreren Geschichten aus dem Erzählband von Clemens Meyer, den er zum exzellenten Drehbuch verarbeitet hat und das Regisseur Thomas Stuber sensibel zum Leben erweckt. Auf mehreren Zeit-Ebenen erhascht der Zuschauer einen Blick auf Menschen, die alle Untiefen des Daseins ausloten, aber nur allzu gern Anker werfen würden. Ein nettes Wort oder eine freundliche Geste reichen aus, um bei ihnen Hoffnungen und Träume zu wecken. Die wundervoll gezeichneten Figuren werden von einem Ensemble verkörpert, das seinesgleichen sucht. Eine liebevolle Songauswahl ist das i-Tüpfelchen auf dem erzählerisch und atmosphärisch dichten Geschehen. Der ideale Film zur Weihnachtszeit.

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