„Das ist ganz normal katholisch“

In seiner neuen Arbeit als Autor, Regisseur und Hauptdarsteller erzählt der österreichische Kabarettist und Schauspieler Josef Hader die Geschichte einer Provinz-Polizistin, die das Schicksal mit dem Religionslehrer und trockener Alkoholiker Franz zusammenführt. Die Tragikomödie „Andrea lässt sich scheiden“ feierte auf der Berlinale ihre Weltpremiere. Wir sprachen mit dem 61-jährigen über Alkohol, politische Verwerfungen und das Podium der Berliner Filmfestspiele.

by

© Majestic - Darryl Oswald

Herr Hader, viele Menschen schauen sich mit Vorliebe Geschichten aus der Provinz an, suchen ihr Glück dann aber doch in der großen Stadt. Blickt man gern auf die putzigen Landleute herab?

Ich stamme vom Land, mein Bruder hat zuhause den Bauernhof übernommen. Wenn ich Filme schaue, die auf dem Land spielen, erlebe ich entweder, dass da jemand eine Kompetenz hat und sich auskennt. Oder – und das ist schon ärgerlich – dass Leute aus der Stadt aufs Land kommen, und dort eher ihre eigene Vorstellung von der Landbevölkerung verfilmen.  Mein erster Film „Wilde Maus“ war ein Stadtfilm. Da hat man dann beim zweiten Mal Lust auf einen Land-Film.

Die Orte der Handlung erinnern an die ehemalige DDR. Wo sieht Österreich so aus?

Im sogenannten Weinviertel. Diese Art von abgehängter Provinz ist sehr europäisch. Von Brandenburg über Österreich bis nach Nordfrankreich: Es gibt diese Art von Landflucht, wo die Frauen weggehen und die Männer in ihren Höfen und Häusern übrigbleiben, einsam, mit Alkohol bewaffnet, manchmal auch mit echten Waffen. Sowas schreit nach einem Drama, aber ich hab´ mich gefragt: Welche Art von Komödie ist dort möglich?              Das Weinviertel ist im nordöstlichsten Teil von Niederösterreich, an der ehemaligen Grenze zum Eisernen Vorhang. Himmel, Äcker und schnurgerade Straßen, das macht es für einen Anfangsfilmer wie mich einfacher, sich Bilder einfallen zu lassen. In den Dörfern wurde in den 70er-, 80er-, 90er-Jahren nicht so viel verschandelt, weil kein Geld dafür da war und es auch keinen Tourismus gab. Diese Dörfer kommen im Gegensatz zu vielen anderen Gegenden in Österreich ohne diese hässlichen Modernisierungen aus. Ich finde, diese Straßendörfer, wie sie im Film vorkommen, sind von einer herben Schönheit. Ein bisschen trostlos, aber das gehört für mich dazu zur Schönheit.

Mit Verlaub: Ihre Filmfigur ist ein lausiger Tänzer. Mussten Sie sich in diesen Szenen sehr verstellen?

Ja, wegen der Betrunkenheit. Schlecht tanzen wär´ nicht das Problem, da hab ich eine hohe Kompetenz. Aber diese schwere Betrunkenheit, die kenne ich nicht. Oder jedenfalls nicht so, dass ich dann freiwillig auf eine Tanzfläche gehe. Das muss man gut erarbeiten. Einfach ansaufen und schauen, was passiert, ist da keine gute Lösung.

Alkohol spielt in der Geschichte eine wichtige Rolle. Ist er für Sie Fluch oder Segen?

Über die Jahrhunderte gedacht, vielleicht ein Segen, wenn man bedenkt, wieviel Menschen durch Alkohol von einem Mord Abstand genommen haben, weil sie versöhnlich geworden sind oder zu betrunken, um jemanden umzubringen.  Man kann das ganze aber natürlich auch als ein Drogenproblem auffassen. Es sterben ja viele Menschen am Alkohol und bei Unfällen, und wenn man dann noch die hinein rechnet, die im Rausch eher den Mut haben jemand umzubringen… Hm. Aber das Verbieten von Drogen ist ja auch nicht erfolgreich. Ich versuche, jetzt weniger zu trinken, es soll ja ab sechzig die Demenz ungemein befördern. Jetzt fragen Sie als Nächstes sicher: Demenz - Fluch oder Segen?

Man meint herauszuhören, dass Sie das Älterwerden beschäftigt. Ist unsere Vergänglichkeit ein Thema, das Sie umtreibt?

Ja, aber das war immer schon so. Mit dem Tod beschäftige ich mich schon, seit ich ganz jung war. Ich hab´ ab 15 immer ein bisschen mitreflektiert, dass es jederzeit aus sein könnte. So gesehen hat sich gar nichts verändert. Dazugekommen ist, dass man nicht mehr zu den Jungen gehört, sondern eher zu den Älteren. Das ist nie sehr schön. Ich versuche das aber so zu gestalten, dass ich an jedem runden Geburtstag zu mir sage: Ab jetzt musst du das und das nicht mehr machen. Ich lasse an jedem Geburtstag Dinge weg, die ich nie so gern gemacht habe. Das ist meine Taktik. Aber Franz Leitner, meine Filmfigur, ist jemand, dessen Hauptproblem nicht ist, dass er älter wird. Er ist einfach im Arsch, in einer Sackgasse. Das ist etwas, was jedem von uns passieren kann. Franz hat eine Biografie, bei der ich mir denke, dass mir das auch hätte passieren können. Ich wollte ja Lehrer werden. Ein paar Kreuzungen anders genommen, und ich wär´ vielleicht ein alkoholkranker Lehrer in einem verfallenen Haus.

Franz wirkt fast ein wenig schizophren: abends der ausgelassene Tänzer, am Tag der Büßer.

Da kann ich Sie beruhigen, das ist ganz normal katholisch. In der ersten Szene, in der Franz noch von seiner Schuld erfüllt ist und ins Gefängnis will, hat er hohen existenziellen Druck und will büßen. Aber dann fängt er wieder an zu saufen und plötzlich lebt er richtig auf, obwohl er eine große Schuld auf sich geladen hat. Das Gute ist: Jetzt ist eh schon alles wurscht. Das kann eine große befreiende Kraft haben, wenn einmal alles wurscht ist.

Der Reli-Lehrer beklagt, dass sich die Kids heute im Unterricht nur noch mit dem Handy beschäftigen. Und natürlich wird Tanzbär Franz gleich gefilmt. Das ist typisch für Stadt und Land. Glauben Sie, dass uns die inzwischen gar nicht mehr so neuen Medien mehr geben oder mehr nehmen?

© Stefan Fürtbauer

Das ist auch schon wieder wurscht, was ich da glaube. Historische Entwicklungen passieren und scheren sich nicht darum, ob wir das gut oder schlecht finden. Meine Großeltern haben eine ähnliche Ohnmacht erlebt in zwei Weltkriegen, da können wir froh sein, dass es jetzt einmal nur um die Digitalisierung geht und um die künstliche Intelligenz. Und das nur in unserem Weltteil, anderswo haben die ganz andere Sorgen. Das ist das Problem der Moderne: Es passiert ständig irgendein Fortschritt. Das bedeutet auch, dass wir uns von alten Dingen verabschieden müssen. Lange Zeit hat man uns versprochen, dass die Zukunft immer besser werden wird, auch wenn man verschiedene Dinge verliert. Jetzt ist dieses Zukunftsversprechen brüchig geworden und deshalb trauen wir den neuen Dingen nicht mehr so wie früher. Es ist ja eine realistische Sicht, wir können nicht mehr darauf vertrauen, dass es unseren Kindern besser gehen wird als uns. Mittelfristig sieht es nicht so aus, als würde uns eine blühende Zukunft bevorstehen. Die positive Botschaft wäre, dass alle großen Probleme unseres Planenten technisch lösbar wären. Wir müssen nur alle miteinander ein bisschen gescheiter werden. Und das ist leider eine ziemliche Utopie.

Wenn Sie die aktuelle politische Landschaft in Deutschland beobachten, sind Sie dann froh, kein Piefke zu sein?

Warum sollte ich? Was jetzt in Deutschland passiert, ist ja das, was wir in Österreich schon die ganze Zeit haben. Bei uns ist ja alles nur früher passiert, weil wir viel geschichtsvergessener waren und die Vergangenheit nie richtig aufgearbeitet haben. Es war bequem, alles auf die Deutschen zu schieben, und das Märchen vom kleinen Österreich zu erzählen, das von den Nazis überfallen worden ist. Persönlich bin ich sehr traurig, weil ich mir bis vor kurzem gedacht habe, wenn es bei uns in Österreich unerträglich rechts wird, könnte ich nach Deutschland emigrieren. Das macht jetzt keinen Sinn mehr, jetzt kann man nur noch den Musk per Twitter fragen, wieviel ein Platz auf der Mars-Fähre kostet. 

Haben Sie einen Tipp für uns?

Es ist, seit es Menschen gibt, bisher immer so gewesen, dass jede neue Generation die Probleme gelöst hat, die sich ihr gestellt haben. Zugegeben, manchmal ist es sehr schlimm hergegangen. Aber wir lernen aus der Vergangenheit, dass wir die Gegenwart mitgestalten können. Und von Martin Luther bis Martin Luther King gab es immer wieder Menschen, die uns dabei inspiriert haben. In einer Sache haben die Rechten total recht, nämlich dass unsere Demokratie eine höchst fehlerhafte Angelegenheit ist. Sie ist aber viel besser als alles andere. Dafür muss man ein Bewusstsein entwickeln. Und auch dafür, dass wir in dem Erdteil leben, der verglichen mit anderen die wenigsten Probleme hat. Es wäre gut, wenn wir den Tunnelblick hinter uns lassen könnten, wie arm wir sind und welche Nachteile wir erleiden, und unseren Blick erweitern. Wie geht es Menschen in anderen Regionen der Erde? Dann vielleicht ein Stück weit demütig werden und sagen: Wir haben allen Grund, gemeinsam daran zu arbeiten, dass wir unsere Demokratie und unseren Zusammenhalt erhalten. Das war es jetzt aber mit der Weihnachtsbotschaft im neuen Jahr. (lacht)

Sie sind mit Filmen regelmäßig auf der Berlinale vertreten. Was mögen Sie an diesem Podium?

Ich bin auch gern bei der Berlinale, wenn kein Film von mir läuft und ich Zuschauer bin. Es ist das einzige große Festival, das gleichzeitig ein demokratisches Publikumsfestival ist, das finde ich sehr sympathisch und speziell. Ganz abgesehen davon, dass ich immer gerne in der Stadt bin, weil ich seit den 90ern als junger Kabarettist immer wieder in Berlin gespielt habe, auch wenn am Anfang nicht so viele gekommen sind. Ich bin einer der Wiener, die eine Schwäche für Berlin haben, so wie das oft auch umgekehrt ist.

Im Film sagt ein Temposünder zu einem Polizisten: „Du hast es auch nicht leicht, mit einer Frau als Chef.“ Haben Sie beim Schreiben an Ihre Arbeit mit Regisseurin Maria Schrader für „Vor der Morgenröte“ gedacht?

Wie kommen Sie denn auf so einen Gedanken? Nein, es ist ein Originalzitat, das ich selber bei einer Polizeikontrolle erlebt habe, etwa in der Gegend, wo der Film spielt. Ich war Beifahrer und bin mit jemandem mitgefahren, der das gesagt hat. Und das Schlimme war, dass der Polizist genickt und gesagt hat: Ja.

Was stößt Ihnen bei Regisseuren negativ auf?

Das kann ich sehr leicht beantworten. Das eine ist ein Testosteron-Überschuss. Ich habe nie mit Regisseuren gearbeitet, von denen bekannt war, dass sie während der Dreharbeiten irgendwen niederbrüllen mussten. Meistens waren das Menschen, die in der Hierarchie unten waren und sich nicht wehren konnten. Dann gab es Regisseure, die mit der Kamera schon alle Bewegungen und Einstellungen ausgemacht haben und die Schauspielerinnen und Schauspieler wurden quasi in das fertige Konzept eingebaut. Das sind die zwei Dinge, die ich aufrichtig hasse.

Sind Sie als Filmemacher sehr selbstbewusst oder haben Sie bis zum Schluss Zweifel, ob das überhaupt jemand sehen möchte?

Ohne Zweifel funktioniert für mich sowieso nichts. Da fange ich gar nicht erst an zu arbeiten. Wenn ich das Gefühl habe, dass etwas total sicher ist und ich es mit großer Wahrscheinlichkeit schaffen werde, habe ich keine Motivation, überhaupt damit beginnen. Ich brauche immer ein bisschen Angst, die ich dann durch viel Arbeit kleiner wird. Beim Film ist das natürlich viel stärker. Als Kabarettist hab´ ich jung angefangen und fühle mich viel kompetenter. Mit Film hab´ ich viel später angefangen, das ist eine viel wackligere Angelegenheit. Da bin ich immer von ganz vielen feinen Menschen abhängig, die mir helfen. Das ist das Schöne! Man schreibt etwas und im Lauf der Zeit kommen immer mehr Leute und helfen dir bei deinem Projekt, das dadurch zu einem von vielen Menschen wird. Erstens ist es für einen Solokabarettisten generell eine Freude, mit anderen Menschen zu arbeiten, weil man das im Kabarett nicht tun kann. Da steht man allein auf der Bühne. Zweitens hat genau das diesmal ganz grandios funktioniert. Alle miteinander haben wir einen Film geschaffen, der mit Sicherheit besser ist als das Drehbuch. Diese Art von Sicherheit habe ich. Ansonsten habe ich keine Ahnung, wie der Film ist.

Back to topbutton