Alle möglichen Widerstandsnischen

Interview mit Corinna Harfouch zu ihrem Film „Das Mädchen mit den drei goldenen Händen“.

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© Wild Bunch Germany 2021

Corinna Harfouch (67, „Lara“) steht seit mehr als 40 Jahren auf der Bühne und vor der Kamera, sie zählt zu den markantesten Schauspielerpersönlichkeiten des Landes. Im Kinofilm „Das Mädchen mit den goldenen Händen“ (Kinostart: 17.02.), der in einer ostdeutschen Kleinstadt des Jahres 1999 angesiedelt ist, kämpft Corinna Harfouch als Lehrerin Gudrun gegen den Verkauf des örtlichen Waisenhauses an westliche Investoren. Sie ist selbst in dem alten Herrenhaus aufgewachsen und möchte es zum kulturellen Zentrum ausbauen. Ein Gespräch.

Frau Harfouch, wenn einem eine Kollegin ein Drehbuch anbietet, ist man dann sehr erleichtert, wenn es richtig gut ist? Andernfalls wäre es ja irgendwie peinlich… (Lacht) Ich kannte Katharina Marie Schubert vom Deutschen Theater, wo wir in Gorkis „Wassa Schelesnowa“ zusammen gespielt haben. Ich schätze sie sehr, auch als besonders kluge Kollegin. Dann hat sie mir dieses Buch gegeben. Ich hatte das Gefühl, dass das jemand aus dem Osten geschrieben hat. Als gäbe es die Kenntnis einer bestimmten Stimmungslage. Das fand ich sehr beeindruckend. Katharina hat sehr darauf gebaut und vertraut, dass so viele Menschen wie möglich aus dem Osten beteiligt sind. Das Drehen war dadurch auch so herrlich, weil es wie ein Klassentreffen war. Es herrschte eine fantastische Atmosphäre, auch durch die Besetzung. Katharina ist wunderbar und ich kann nur sagen, dass das eine wirklich große Freude mit ihr ist.

Im Film treffen Personen mit unterschiedlichen Blickwinkeln und Ansichten aufeinander, die man aber alle irgendwie verstehen kann. Fällt es Ihnen mit zunehmender Lebenserfahrung leichter oder schwerer, eine Position einzunehmen? Schwerer. Erstmal glaube ich, dass mein Beruf darin besteht, mich in sehr verschiedene Ansichten, Leben und Charaktere einzufühlen und einzudenken. Das hat sich inzwischen in einer Art und Weise in mir ausgebreitet, dass es mir sehr schwer fällt so richtig: „Nein!“ zu etwas zu sagen. Mich interessieren Fragen wie: „So denkt er, aha. Wie kann das sein? Wie denkt sie? Wo kommt das her?“. Diese Fragen begleiten mich pausenlos. Ich höre sehr gern zu. Dinge zu beurteilen ist heutzutage wirklich ein Sport. Jeder kann irgendwie ganz viel beurteilen. So krass, dass man staunt: „Oh Gott, woher weißt du denn das alles?“. Das fällt mir mit mehr Lebenserfahrung schwerer, muss ich sagen.

Hatten Sie in der Zeit der Filmhandlung auch Schwierigkeiten mit dem Loslassen und Festhalten? Dass man das in dieser Zeit so wahrgenommen hätte, glaube ich eben eher nicht. Aber ich denke schon, dass in dieser Zeit oder in der Zeit davor unendlich viele und grobe Fehler gemacht worden sind, die man nicht alleine damit entschuldigen kann, dass alles so schnell gehen musste. Kein Mensch weiß, warum das alles so schnell gehen musste und warum alles Mögliche geopfert wurde. Ich habe neulich einen Film von meiner Freundin Sabine Michel gesehen. Sie hat eine Dokumentation über die Frauen im Osten gemacht. Die Frauen im Osten waren nach der Wende einfach stark. Sie waren fast alle berufstätig, sie hatten etwas vor und haben sich etwas vorgestellt. Und sie dachten selbstverständlich, dass ihre Rechte aus der DDR bleiben und noch ein paar mehr dazu kommen. Dafür haben sie auch gekämpft. Sie wurden dann von Männern zurückgescheucht, die damals ja meistens Politik gemacht haben und diejenigen waren, die wirklich etwas zu sagen hatten. Und das auf eine Art und Weise, die sehr verblüffend war. Keine Frau hatte damit gerechnet, dass es so wird, dass du arbeitslos bist, plötzlich eine Hausfrau sein sollst und nicht darüber bestimmen darfst, wann du deine Kinder bekommst und wann nicht. Dass du plötzlich alle möglichen Rechte verlierst. Das war unglaublich.

In einem Höhepunkt des Films spricht Gudrun davon, dass man den Menschen im Osten alles weggenommen hat was einmal von Wert war und die Lebensleistung der Menschen nicht gewürdigt wird. Sie stellt die Frage, ob es nicht etwas dazwischen geben kann. Spricht Sie Ihnen damit aus der Seele? Absolut. Und von heute aus gesehen scheint das der Dreh- und Angelpunkt zu sein: Dass der Osten sich nicht so richtig in den Griff kriegen lässt und dass die Leute sich alle möglichen Widerstandsnischen suchen. Als Ostmensch ist die Karriere nicht glatt durchgegangen, bei keinem von uns. Das macht eine Lebenserfahrung aus, dass man nicht grundsätzlich auf „die da“ vertrauen kann. Das konnte man vorher nicht und dann hat sich herausgestellt, dass man es jetzt auch nicht konnte. Diese Erfahrung, die es im Osten sehr häufig gibt, macht so etwas Widerständiges aus. Ich traue mich kaum, es zu sagen. Aber wir trauen uns ja sowieso im Moment kaum etwas zu sagen. Das ist auch so schrecklich und erinnert einen furchtbar an alles Mögliche. Die Menschen im Osten empfinden das Gefühl möglicherweise stärker als die im Westen, dass etwas komisch daran ist, dass wir plötzlich alle die gleiche Impfung kriegen und dass plötzlich Worte wie „Solidarität“ auf eine Weise missbraucht werden, dass es einem schaudert und man sich fragt: „Wie kann man denn das ganze Alphabet nach rückwärts drehen? Das kann doch gar nicht sein.“ Natürlich gibt es auch im Osten die Gewohnheit sich anzupassen. Aber es gibt auch ganz stark die Frage: „Wieso soll ich denn jetzt alles glauben? Und wo ist hier mein Wesen, wo kommt das vor? Wo komme ich vor?“

Haben Sie Angst vor einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft? Angst würde ich das nicht nennen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass das so noch lange gut geht. Wieso sollen sich die Leute das alles wie die Schafe gefallen lassen? In allen möglichen Sparten dieses Lebens gibt es so große Ungerechtigkeit, so großes Alleingelassen sein, so viel über den Mund gefahren Werden. Der deutsche Mensch ist leider sehr, sehr träge in seinem Bedürfnis, sich nichts gefallen zu lassen. Wir sind jetzt nicht Frankreich, das kann man wirklich nicht sagen. Wir haben diese Erfahrung eben nie gemacht, wir haben nie eine große Revolution zustande gebracht. Ich warte. Ich weiß auch nicht, wie und mit welcher Art von Gewalt der Staat darauf reagiert, wenn die Demonstrationen größer und mehr werden. Ich bin gespannt, was dann passiert. Da habe ich dann doch Angst.

Fühlen Sie sich manchmal entwurzelt? Ich habe mich entwurzelt gefühlt. Ich hatte eine Zeit lang einen Partner aus dem Westen. Das war ein ganz anderer Lebensstil. Das war in München und da ist mir plötzlich aufgefallen, dass ich mein Zuhause verloren habe. Ich musste wieder wissen, wo ich hingehöre, das braucht man als Mensch. Das war vor 15 bis 20 Jahren ein ganz starkes Gefühl für mich. Ich habe mir ein Haus in der Schorfheide gekauft und bin hier sehr zu Hause. Dieses Gefühl der Entwurzelung kann ich hier nicht haben, das ist unmöglich. Ich bin umgeben von Familie, Nachbarn und Freunden. Ich habe Projekte hier in der Nähe, meinen Theaterverein. Ich fühle mich hier sehr verbunden.

Haben Sie auch ein geheimes Drehbuch in der Schublade? Nein. Meine Talente liegen wirklich woanders. Wenn ich in Form bin, kann ich ganz gut erzählen. Ich kann, hoffentlich, da und dort ganz gut spielen. Ich kann auch noch ein paar andere Sachen. Aber ein Drehbuch schreiben? Nein. Das will ich nicht. Ich führe ab und zu am Theater Regie. Es ist gut, das zu machen, weil man einen absoluten Perspektivwandel hat. Ich komme gerade von einer Arbeit aus Hannover. Ich habe meine Regisseurin mal wieder unendlich bewundert für das, was sie da durchsteht. Das ist einer der schwierigsten Berufe, die ich mir vorstellen kann. Es ist unglaublich, was man alles zusammenhalten muss, wofür man alles da sein muss und was man können muss.

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