"Alter ist etwas absurdes"

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© Gerhard Kassner

© X-Verleih

Herr Becker, was hat Sie an „Ich und Kaminski“ angesprochen? Der Roman hat mir von der Thematik, von seiner Erzählweise und seinem Humor gut gefallen. Fälschlicherweise habe ich angenommen, dass er sich sehr leicht fürs Kino adaptieren lassen würde. Ich habe mich gründlich geirrt. Der Roman wird von einer Figur aus der Ich-Perspektive erzählt, die ganz offensichtlich ein Problem hat. Sebastian Zöllner neigt zu einer bis zur Hybris übersteigerten Selbst­überschätzung. Das kann man im Film so nicht erzählen, weil man sich hier immer eher in der dritten Person als in der ersten befindet. Dieses Problem hatte ich gesehen.


Ist Ihr Sebastian zugänglicher als der aus dem Roman? Ich glaube, der Film mag die meisten Figuren mehr als der Roman. Wir lesen Bücher auch anders, als wir Filme gucken. In einem Roman kann die Hauptfigur, der wir beim Lesen folgen, viel extremer und krasser sein. Den Grad der Vermessenheit, der Arroganz oder der Selbstüberschätzung bestimmen wir letztendlich beim Lesen selbst. Im Film wird das objektiviert. Wir sehen einfach, wie unverschämt jemand handelt. Der Moment, der uns das graduell einpegeln lässt, ist nicht mehr gegeben.


Können Sie ein praktisches Beispiel benennen? Kehlmann musste zum Beispiel kein einziges Bild malen. Er konnte einfach behaupten, dass Kaminskis Bilder großartige Kunst von Weltrang sind. Im Film muss man dann irgendwann mal ein Bild zeigen. Das ist ein großes Problem. Man kann das nicht einem Requisitenmaler überlassen. Wenn jemand wirklich eine künstlerische Potenz hat, dann wird er nicht Requisitenmaler. Das geht nicht in drei Monaten, an den Bildern wurde drei Jahre lang intensiv gearbeitet: Vorstudien, Bleistiftzeichnungen, Kreidezeichnungen, Aquarelle. So lange, bis wir das richtige Bild gefunden hatten.


Daniel Brühl war vor zwölf Jahren noch ein Küken, wie er selbst sagt. Wie hat er sich aus Ihrer Sicht als Schauspieler verändert? Daniel hat seine Zeit besser genutzt als ich meine. Er hat wahnsinnig viel Erfahrung gesammelt und viel international gedreht und dabei unterschiedlichste Arbeitsweisen kennengelernt. Er ist nicht mehr das Küken, er ist ein selbstbewusster Schauspieler, der vieles mitmacht und ausprobiert. Es ist ja auch ein ziemlicher Rollenwechsel vom netten Jungen und Traumschwiegersohn zu einer solchen Kotzbrockenfigur. Als Nicki Lauda in „Rush“ kam Daniel ja auch nicht so wirklich sympathisch rüber. An dieser Figur konnte er sich zumindest ein wenig an dem realen Vorbild orientieren. Die Rolle des Sebastian Zöllner war neues Terrain, auf dem er keine Routine hatte. Was Daniel sonst sehr schnell trifft, traf er diesmal nicht unbedingt sofort. Er musste es ausprobieren, sich heran tasten. Das bringt gewisse Unsicherheit mit sich. Habe ich den richtigen Ton getroffen? Ist der Charakter in seiner Arroganz und Hybris glaubwürdig? Darüber wurde lange diskutiert.


Der Film geht mit den Themen Alter und Vergänglichkeit um. Welches Konzept haben Sie dabei verfolgt? Der Roman gibt ja das Wesentliche vor. Dieser Aspekt hat mich auch am meisten interessiert. Was bedeutet es, alt zu sein? Ich finde es erstaunlich, dass Kehlmann, der ja damals noch jung war, so großartige Sätze dafür gefunden hat. Er schreibt nie flamboyant oder Mitleid erhaschend. Das Alter wird beschrieben, als hätte es einen Wechsel des Aggregatzustandes gegeben. Dominik Silva, Kaminskis Mäzen aus vergangenen Zeiten, spricht an einer Stelle darüber, wie man im Alter unsichtbar wird: „Alter ist etwas Absurdes. Man ist da, und man ist nicht mehr da, wie ein Phantom“.     

Die Fragen stellte André Wesche.       

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