Charlize Theron: „Eine, die sich für nichts entschuldigt“

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© Universal Pictures

Mrs. Theron, „Atomic Blonde“ spielt viel in Berlin, wo Sie schon während der Dreharbeiten zu „Aeon Flux“ lebten. Haben Sie mittlerweile eine besondere Beziehung zur Stadt?

 Ja, Berlin gehört auf jeden Fall zu den Top 5 meiner Lieblingsstädte. Zum ersten Mal bin ich in den frühen 90ern hergekommen. Damals fühlte sich die Stadt noch wesentlich schwerer an, als hätte sie ein Gewicht zu tragen. Auf der Rückfahrt zum Flughafen sah ich all die Kräne in den Himmel ragen. Ich hatte nie zuvor etwas Ähnliches gesehen. Sieben Jahre später kam ich in eine komplett neue Stadt zurück, mit einer ganz erstaunlichen Architektur. Ich empfinde Respekt und Bewunderung für Metropolen, die ihre Geschichte verstanden haben und sich weiterentwickeln.

In Berlin ist das auf beeindruckende Weise geschehen.War der Fall der Mauer seinerzeit ein großes Thema für Sie?

 In Südafrika wurde heftig darüber diskutiert, genau wie im Rest der Welt. Es war schließlich ein Ereignis von globaler Bedeutung. In Südafrika wurde besonders intensiv darüber gesprochen, weil es viele Parallelen zwischen der Apartheid und den Dingen gab, für die diese Mauer stand, nämlich für den Irrglauben, man könnte Menschen trennen, sei es mit einer Wand oder mit einem Schild „Nur für Weiße“. Wenn es Berlin gelungen war, die Mauer zu stürzen, warum soll man da nicht auch die Apartheid überwinden können?

Im Film teilen Sie heftig aus. Hatten Sie im wahren Leben schon mal eine körperliche Auseinandersetzung?

 Ja. Ich hatte einen Kampf auszufechten. Eigentlich kann ich es nicht wirklich als Kampf bezeichnen. In jungen Jahren war ich noch etwas unbeholfen und geriet in einer Bar in einen lautstarken Streit mit einem anderen Mädchen. Bevor ich wusste, was geschah, habe ich zugeschlagen. Ich zitterte am ganzen Leib und fragte mich, ob das eben tatsächlich geschehen war. 

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„Atomic Blonde“ etabliert eine neue Art von starker Frau in der Filmlandschaft. Ist es Ihnen als Schauspielerin und als Produzentin ein Anliegen, in dieser Hinsicht etwas zu verändern? Danke, dass Sie diese Frage stellen. Ich glaube nicht, dass sehr viele Menschen realisieren, dass man als Frau weder in der Filmindustrie selbst noch als Darstellerin in einem Film nach den gleichen Regeln spielen darf wie die Männer. Wir haben einen Großteil der Drehbuchentwicklung darauf verwandt, ein Experiment zu wagen. Wie wäre es, eine dominante Frauenfigur in eine Welt zu pflanzen, die seit Ewigkeiten eine Männerdomäne war? Eine Frau, die nach denselben Regeln spielt? Zu diesem Zweck haben wir alle Elemente eliminiert, die in einem Film für gewöhnlich die Gefühle manipulieren. Wenn man eine Frau in einer solchen Rolle zeigt, muss man sich normalerweise dafür rechtfertigen, dass Sie sich auf diese Weise verhält. Oder wir erinnern das Publikum alle fünf Minuten daran, dass es eine Frau ist, der man schließlich vergeben muss. Bei einem männlichen Helden wird gefeiert, dass er in dieser konfliktbeladenen Welt leben kann, wenn auch nicht auf eine schöne Weise. Ich wollte eine Figur entwickeln, die sich für nichts entschuldigt. Nicht für das, was sie ist und nicht für das, was sie tut. Lorraine ist MI6-Agent und sehr gut in ihrem Job. Alles, was man für sie fühlt, jede Empathie sollte eine Konsequenz dieser Welt sein, in der sie lebt und von der die Schrammen auf ihrem Körper künden. Ich bin stolz darauf, dass es uns gelungen ist, die Geschichte genauso aufzuziehen. Frauen werden das zu schätzen wissen. Ich hoffe, dieser Film wird sie bestärken.

Also auch mal eine Frau als nächster James Bond?

Aber ja! Meine Religion ist, dass Frauen alles tun können. Manchmal werde ich gefragt, ob die USA wirklich einen weiblichen Präsidenten haben könnten. Mein Gott! Wir liegen in diesem Spiel so weit zurück! Im Rest der Welt ist das schon längst Realität. Es ist noch ein großer gedanklicher Prozess vonnöten, um unsere Welt zu ändern.

Ein Filmzitat lautet sinngemäß: „Alles was Du begehrst, verbirgt sich hinter Deiner Angst“. Wann haben Sie begonnen, sich Ihren Ängsten zu stellen?

 Schon in sehr jungen Jahren. Ich habe früh gelernt, dass nichts im Leben einfach ist. Dieses Privileg hat man, wenn man in einem Staat aufwächst, der von Konflikten geprägt wird. Meine Kindheitserinnerungen sind vom Wunsch bestimmt, darüber hinauszuwachsen und meine Stärke auf der anderen Seite zu finden. Ich wuchs in einer Familie auf, die kein sehr glückliches Leben führte. Einer Familie mit einem Alkoholiker. Es sind viele kleine Dinge des Lebens, die dir klar machen, dass du dich entweder von deinen Lebensumständen definieren lassen oder auf die andere Seite wechseln kannst. 

Wie kam es zu ihrer aktuellen Action-Phase, mit Filmen wie „Mad Max“ oder „Fast and Furious“? Ich glaube, das ist gar nicht so ein Action-Ding. Vielleicht ist es ein bisschen nostalgisch von mir, dass ich gern auf physische Weise Geschichten erzähle. In meiner ersten Karriere war ich Ballerina, mehr als die Hälfte meines Lebens lang. So hat man mir beigebracht, Geschichten zu erzählen. Und ich liebe es nach wie vor. Es ist eine andere Art, Schauspielerei zu erleben. Ich hatte das Glück, auf tapfere Menschen wie George Miller (Regisseur von „Mad Max“) zu treffen, die mich in diesem Bestreben unterstützt haben. Ich glaube nicht, dass wir einen Film wie „Atomic Blonde“ mit so wenig Dialog hätten machen können, ohne vorher die „Mad Max“-Erfahrung gesammelt zu haben. Hier habe ich die Macht des Erzählens ohne viele Worte gefühlt. Diese Figuren sagen dir durch ihre Körperlichkeit, wer sie sind. Es ist wohl die alte, zerbrochene Tänzerin in mir, die immer noch leben will.

Beim Training für „Atomic Blonde“ haben Sie sich zwei Zähne abgebrochen. Für Ihren nächsten Film „Tully“ gingen Sie einmal mehr durch eine physische Transformation und litten anschließend an Depressionen. Wer pfeift Sie zurück, wenn es zu heftig wird? Ich glaube, meine Mutter hat sich um mich gesorgt, als ich hier war, um diesen Film zu machen. Sie war so nett, herzukommen und auf meine Kinder aufzupassen. Sie hat nicht allzu viel von meiner Arbeit am Set mitbekommen. Aber wenn ich nach Hause zurückgekehrt bin, sah sie die Folgen der Dreharbeiten. Wie bei wahrscheinlich allen Müttern dieser Welt gab es diesen Moment, in dem sie sagte: „Du bist jetzt selbst Mutter. Das ist es nicht wert. Denke darüber nach.“. Wenn man in diesem Beruf auch nur halbwegs erfolgreich sein möchte, muss man in der Lage sein, sich als Person komplett zurückzunehmen. Ich glaube, ich habe bei all meinen bisherigen Rollen mein eigenes Ich eliminiert. Nicht auf eine leichtsinnige Weise, ich bin nicht dumm. Aber wenn ich ja zu einem Job sage, weiß ich, was man von mir erwartet. Und es wäre dem Film gegenüber unfair, wenn man nicht abliefert. Man muss einer Geschichte völlig gerecht werden, sonst ist es besser, es ganz sein zu lassen. „Tully“ hingegen behandelt auf eine sehr ehrliche Weise das Problem der Wochenbettdepression. Den Film zu drehen wäre sinnlos, würde man sich nicht mit aller Konsequenz darauf einlassen.

Kinostart: 24. August

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