Charly Hübner: "Es ist ein Segen Leute wie Bukow im Polizeiruf Rostock spielen zu dürfen."

© DCM/Gordon Timpen

Herr Hübner, wenn Sven Regener die Feder geschwungen hat, Arne Feldhusen („Stromberg“) Regie führt und Detlev Buck Kollege ist, sagt man dann automatisch zu? Ja. Für mich waren die Sven-Regener-Welten immer ein Kosmos, den ich aus der Ferne bewundert habe. Arne und ich kennen uns schon länger. Er hat mir das Projekt vorgestellt und mir war klar, dass ich das Angebot erstmal prüfen muss. Vielleicht würde ich ja zu aufgeregt sein und das gar nicht hinkriegen! Ich habe das Buch gelesen, war sehr begeistert und fühlte mich geehrt. Dass Detlev dann als „Regener-Papst“ höchstpersönlich dazu gestoßen ist, war natürlich ein zusätzliches Schmankerl.         

Was für eine Rolle spielt Musik in Ihrem Leben? Eine große. Ich bin sehr musikalisch, höre ständig Musik und bin früh in die Welt der Stromgitarren geraten. Das war meine Prägung als Teenager. Später haben sich alle möglichen Genres hinzugefügt – außer Disco-Musik. Irgendwann kam auch Rave dazu. Joe Strummer („The Clash“) hat mal gesagt: „Raver sind die besseren Hippies.“. Strummer war natürlich eine Punk-Ikone, mit der man sich befasst hat. Wenn so einer das sagte, musste man mal genauer hinhören. Gerade diese dunkle Seite, die aus Detroit rüber schwappte und in Berlin im „Tresor“ zu hören war, hat mich zum Mitraven eingeladen. Aber ich habe nie zu Hause Techno gehört.

Ihre Filmfigur erlebte die Wende als Trauma. Wie war es bei Ihnen? Am betreffenden Abend haben wir Generalprobe vom Karnevalsklub gehabt und der Alkohol ist reichlich geflossen. Den Fall der Mauer haben wir nicht mitbekommen, ich kenne ihn nur aus der Nacherzählung. Deshalb war „Bornholmer Straße“ so ein Projekt, bei dem ich diesen Moment noch einmal selbst nachholen konnte. Ich war zur Wende siebzehn, da war dieser Aufbruch und das sich Lösen vom Elternhaus eh in den Knochen drin. Weg aus dem Dorf, rein in die Stadt. Deshalb fühlte sich für mich der Aufbruch im ehemaligen Ostteil gar nicht als großer Unterschied an. Das Berlin vor dem Mauerfall kannte ich nicht. Und das Berlin, das ich ab 1992 kennenlernte, war eine Stadt, die sich veränderte und verschmolz. Manches ist dabei draufgegangen, manches ist besser geworden. Wenn es ein Schnitt war, dann auf positive Art. Der Weg zum Schauspielerberuf, der sich mir eröffnet hat, wäre mir in der DDR so sicher nicht gelungen. Dazu war das Umfeld doch zu sehr SED-orientiert, was es für mich kompliziert gemacht hätte.     

Spüren Sie trotzdem noch eine DDR-Identität in sich? Jeder hat natürlich seine eigene Identität. In meiner Generation, aber erst recht bei den Älteren, erkenne ich immer sofort, wenn jemand aus der DDR stammt. Es ist eine andere Form von Direktheit im Alltäglichen, eine andere Prägung. Was sich im Laufe meines Lebens aber immer mehr durchsetzt, sind die Mecklenburger Wurzeln. Dieses Norddeutsche ist noch mal ein anderer Stempel, der über die DDR hinausreicht.

Ist es seltsam, wenn eine Filmfigur denselben Namen wie man selbst trägt? Nee. Ich bin ein Schrift-Mensch, jemand, der viel liest. Für mich ist „Charlie“ ganz anders als „Charly“. Jetzt stellt man mir öfter diese Frage, ich habe vorher nie darüber nachgedacht. Die Figur heißt ja auch im wirklichen Leben Karl und ich Carsten. Deshalb hat sich das für mich nie gebissen.  

Die Leute von „Bumm Bumm Records“ stellen fest, dass sich ihre Ideale verändert und dass sie früher größer gedacht haben. Sehen Sie Ihren Beruf heute auch anders als zu Beginn? Na klar. Als junger Schauspieler war ich froh, dass das überhaupt mal in die Gänge kam. Am Anfang stand so eine spleenige Idee. Damals war es noch selbstverständlich, dass man erstmal auf die Schauspielschule geht. Mich zog es nach Rostock, weil ich im Norden bleiben wollte. Das Schicksal hat dann drei Räder gedreht, bis ich aus der Empfindung heraus nach Berlin gehen musste. Heute bin ich total froh, dass ich an der „Ernst Busch“ gelandet bin. Nach dem Studium hatte man die Sorge, ob einen überhaupt jemand als Schauspieler haben wollte. Ich bin dann nach Frankfurt gekommen. Dort musste man sich mit dem alten Westen auseinandersetzen. Der Ehrgeiz änderte sich dahingehend, dass man versuchte, in diesem Schauspielerdasein überhaupt zu überleben. Ich hatte eine pragmatische Phase, in der ich nur noch mein Geld verdienen wollte. Dann merkt man aber, dass die Ideale doch eine Rolle spielen. Heute ist es ein Segen, jemanden wie Karl Schmidt spielen zu dürfen oder „Bornholmer Straße“ oder Bukow im Polizeiruf Rostock.           

Charlie erleidet auf der Tour einen Zusammenbruch. Wie kommt eine so intensive Szene zustande? Darüber haben wir viel diskutiert. Dieser Moment ist ja wie ein Dammbruch, der sich vorher ein bisschen angekündigt hat. Wir haben es am Ende genauso gedreht, wie Sven es im Roman vorgegeben hat. Dann ist es fast ein formaler Vorgang.     

Sind Sie selbst vor depressiven Schüben gefeit? Ja. In meinem bisherigen Leben war das gar kein Thema. Eine gewisse Melancholie gehört zum Alter und meinem Beruf. Überhaupt halte ich Melancholie für ein gutes Ausgleichsbecken zur hysterischen Gesellschaft, in der wir leben. Aber Depressionen oder Flashbacks sind mir bislang nicht widerfahren. Charlie hat ja auch jahrelang Tabletten zu sich nehmen müssen. Und man weiß, dass beim Absetzen dieser Medikamente nicht nur die Dämonen wiederkommen, die durch sie im Zaum gehalten wurden, sondern auch die, die sich zwischenzeitlich dazu gesellt haben. Deshalb ist so ein Flashback oft viel schlimmer, als der Zustand vor den Tabletten. Dann wird es zum Überlebens-Thema. Ich bin sehr froh, dass ich mit meinem extrovertierten Gemüt bisher davon verschont geblieben bin.       

Im Film zapfen Sie Bier. Das dürfte Ihnen aufgrund Ihrer Herkunft nicht schwergefallen sein. Nee. Ich habe als Teenie später damit mein Geld verdient. Irre, was der Körper sich alles merkt. Man weiß sofort wieder, wie alles geht. Das hat der Vater mir mal beigebracht und das geht immer noch so. Was Hänschen lernt …

Im Film fängt einer der Jungs mit bloßen Händen einen kapitalen Fisch – und keiner schaut hin. Gibt es einen Film, auf den Sie stolz sind, den aber kaum jemand gesehen hat? Mit dem Stolz ist das so eine Sache. Den habe ich gar nicht so. Ich fände es spannend, nochmal „Im Schwitzkasten“ oder „Autopiloten“ zu gucken, die ersten Kinosachen. Für mich ganz wichtige Filme. Eine tolle Spielerfahrung war auch „Amok – Hansi geht‘s gut“, ein langsamer, komplett improvisierter Film. Rosa von Praunheim hat mich als Sexualmörder „Der rosa Riese“ interviewt. Wir hatten keine Kostüme, keine Figur. Charly Hübner liegt auf der Couch und nur durch die Interviewfragen wird behauptet, ich sei Wolfgang, der sieben Frauen ermordet hat. Interessant, wie sich im Kopf ein Film zusammensetzt. Der Film lief auch in Hof und die Zuschauer haben sich echt vor diesem Menschen geekelt. Man hat es total geglaubt, obwohl Rosa einfach nur die Kamera draufgehalten hat.          

Als was mögen Sie lieber wiedergeboren werden und warum: Als Krokodil oder als Meerschweinchen? (Anm.: Beide Tiere spielen eine wichtige Rolle im Film.) Mich persönlich interessiert dann doch das Krokodil mehr, weil ich überhaupt nicht kapiere, wie die ticken. Meerschweinchen kuscheln gern und sind immer in der Gruppe. Da muss ich schon sehr an Schauspieler denken. Aber als Krokodil da zu liegen, sich zu verstecken und dann mit einem Happs die Sache klarzumachen, das wäre schon nicht uninteressant.

Kinostart "Magical Mystery": 31. August

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