Einmal im Leben

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© Sony Music

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Ein Bild ging um die Welt: Als der rundliche Handyverkäufer Paul Potts mit den schiefen Zähnen und dem billigen Anzug damals in der TV-Show „Britain´s Got Talent“ Puccinis Turandot-Arie „Nessun dorma“ anstimmte, war das der perfekte, kollektive Gänsehautmoment. Potts Vorleben war von vielen persönlichen Tiefschlägen geprägt. Die Geschichte des drangsalierten Außenseiters, der am Ende triumphiert, ist für das wie gemacht. Wir trafen den originalen Paul Potts (43) in Berlin zum Gespräch.

Mr. Potts, mit was für einem Gefühl haben Sie sich „Ihren“ Film zum ersten Mal angeschaut?

Am Anfang war es ziemlich bizarr. Normalerweise weilen Menschen, deren Biografie verfilmt wird, nicht mehr unter uns. Ich musste meinen Puls checken, um zu überprüfen, dass ich noch am Leben bin. Dann hat es mir Spaß gemacht, den Film anzuschauen. Er ist lustig und berührend, die Balance ist ziemlich perfekt. Ich wollte nicht, dass der Film zu düster wird, ich habe mir eine Komödie gewünscht. So kommt auch die Botschaft besser an. Kein Mensch mag gern belehrt werden. Wenn der Zuschauer das Gefühl hat, dass man ihm eine Predigt hält, schaltet er ab. Außerdem fühlen sich bestimmte Abschnitte meines Lebens rückblickend tatsächlich wie eine Komödie an. Ich bin in Wahrheit fünf- oder sechsmal so tollpatschig wie der Paul im Film. Ich sollte meinen eigenen Parkplatz am Krankenhaus haben, weil ich so oft dort lande.

Wirklich lustig war Ihr Leben nicht immer, während Ihrer Schulzeit zum Beispiel.

Die Kindheit war für mich ein Kampf. Ich wurde ständig tyrannisiert und gehänselt. Diese Zeit hat die Art meiner Selbstwahrnehmung geformt. Mir hat das Selbstvertrauen gefehlt. Ich habe Dinge nicht angepackt, weil ich mir dann immer einreden konnte, dass ich es vielleicht doch hätte schaffen können. Hätte ich es wirklich versucht und wäre dabei gescheitert, dann hätte ich mit der Gewissheit des Versagens leben müssen. So blieb mir immer noch dieses „Schön wär‘s“. Für mich war „schön wär‘s“ immer besser als „sicher nicht“. Ich konnte besser mit den Dingen des Lebens umgehen, wenn ich das Glas halb leer gesehen habe.

Wie authentisch ist dieser Film?

Die Filmemacher haben einige Dinge verändert, damit sie in ihre Zeitlinie passen. Es ist nicht möglich, in 90 Minuten jedes Detail akkurat wiederzugeben. Die Essenz stimmt und das Fazit entspricht genau jenem, das ich auch in meiner Autobiografie ziehe. Da ist dieser Typ, dem ständig Hindernisse in den Weg geräumt werden. Aber am Ende erreicht er sein Ziel, weil er einfach immer weiter gegangen ist. Natürlich gibt es Zeiten, in denen er glaubt, aus der Spur geraten zu sein. Aber er kommt an seinem Ziel an, aufgrund seiner eigenen Entschlossenheit, aber vor allem auch durch die Unterstützung der Menschen um ihn herum.

Wie stimmig ist der Abschnitt, der in Italien spielt?

Ich war zwei Mal in Italien und man hat diese beiden Reisen zusammengefasst. Es gab dieses Mädchen, aber zu einem Kuss ist es nicht gekommen. Dazu hätte ich gar nicht die Nerven gehabt. Wir haben uns sehr gut verstanden und ich bin auch mit ihren Eltern gut klargekommen. Aber ich habe mich nie getraut, sie nach einem Date zu fragen. Das war wieder eine dieser „Schön wär‘s“-Situationen. Ich hielt es für sicherer, daran zu glauben, dass sie „Ja“ gesagt hätte, wenn ich sie nur gefragt hätte. Ein tatsächliches „Nein“ hätte ich nicht ertragen. Ich bin einmal mehr einer Entscheidung aus dem Wege gegangen.

Welche Erinnerungen haben Sie an Ihr erstes Vorsingen bei „Britain´s Got Talent“?

Tatsächlich habe ich die Entscheidung, dorthin zu gehen, auf der Basis eines Münzwurfes getroffen. Auf dem Computerbildschirm poppte immer wieder der Aufruf zu diesem Casting auf. Ich wollte ihn wegklicken und habe ihn dabei aus Versehen maximiert. Ich habe den Aufruf durchgelesen und begann, das Formular auszufüllen. Dann sah ich mein Spiegelbild auf dem Monitor und dachte: Warte mal, warum sollten sie dich auswählen? Du bist 36, damit bist du für so eine Show sowieso zu alt. Du singst Oper, das passt auch nicht. Und dein Gesicht ist allenfalls für das Radio geeignet. Es war die letzte Gelegenheit und ich musste die Entscheidung sofort treffen. Ich nahm eine Münze. Kopf und ich schicke die Bewerbung ab. Zahl und ich klicke sie weg. Rückblickend habe ich die Entscheidung meines Lebens durch einen Münzwurf getroffen. Damals habe ich es nicht als Risiko gesehen, weil ich davon ausging, dass sie mich unter keinen Umständen herauspicken würden. 

Aber dann kam der Anruf?

Genau. Ich dachte sehr oft daran, das Weite zu suchen. Dann wurden die Kandidaten, die vor mir auftraten, auch noch von der Bühne gebuht. Ich dachte mir: Warum bist du hier? Was machst du nur? Das konnte kein gutes Ende nehmen. Ich gehe jetzt da raus und es wird das allerletzte Mal sein, dass ich singe. Ich würde nie wieder auf der Bühne stehen und diesen Teil meines Lebens endgültig abschließen. Mit dieser Einstellung konnte ich noch einmal alles geben. Danach hatte ich das Gefühl, dass meine Vorstellung nicht gut genug war. Ich war einfach zu angespannt gewesen und habe nicht annähernd so gut gesungen, wie ich eigentlich könnte. Ich war frustriert und enttäuscht über mich selbst. Dass das Publikum aufgestanden war, hat daran nichts geändert. Ich war mir sicher, dass die Jury meine Unsicherheiten bemerkt hatte und mich kritisieren würde. Ich hatte meinen allerletzten Auftritt komplett verbockt! Ich war der Verzweiflung nahe.

Sie haben nicht damit gerechnet, noch einmal eingeladen zu werden?

Damals habe ich die Signifikanz dieses Tages gar nicht gesehen. Heute kann ich erkennen, dass ich damals an einer Kreuzung in meinem Leben gestanden habe. Wir alle haben diese Momente, aber wir sehen sie nicht kommen. Deshalb darf man die Hoffnung nie aufgeben. Man weiß nie, wann sich für einen alles plötzlich zum Besseren wendet. Das Leben ist keine Einbahnstraße, immer wieder erschließt eine Kreuzung neue Möglichkeiten. In gewisser Weise haben mich die Demütigungen und Schikanen, denen ich als Kind ausgesetzt war, auf bessere Zeiten vorbereitet. Ich war immer gezwungen, mich den Winkelzügen meines Lebens so anzupassen, wie sie gerade kamen. Als sich 2007 alles änderte, konnte ich mich auch darauf einstellen. Als ich zum ersten Mal auf Tour ging, war ich völlig verängstigt. Bei den ersten zwei Shows wusste ich nicht genau, wie ich mit dem Publikum umgehen sollte. Auf Anraten meines Managements hatte ich mir aufgeschrieben, was ich sagen möchte. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie etwas vorbereitet, ich bevorzuge es, vom Herzen zu sprechen. Das ist einfach ehrlicher. Am Ende hatte ich hundert Shows abgeliefert. Die einzige Barriere, die dich stoppen kann, bist du selbst. Wenn man sich mehr zutraut, kann man auch mehr erreichen, als man sich jemals erträumt hätte.

Wurden Sie jemals mit den negativen Seiten des Ruhms konfrontiert?

Das Musikgeschäft ist ein sehr unsicheres. Deshalb hätte ich es auch nicht für möglich gehalten, hier erfolgreich zu sein. Die Art, wie man Erfolg misst, ist nicht sehr hilfreich. Für mich ist es die ultimative Definition von Erfolg, wenn man etwas zum Beruf machen darf, was man wirklich liebt. Davon träumt doch jeder. Und wenn man tun kann, was man liebt, dann lebt man diesen Traum. 

Sind Sie ein glücklicher Mensch?

Ich bin glücklicher. Mein Glas ist immer noch zu 49 Prozent leer, aber auch zu 51 Prozent voll. Ich mag diese Balance der Dinge, so sehe ich die Welt. Ich unterschätze mich lieber, anstatt mich zu überschätzen. Das ist sicherer.

Also sind Sie ein Zweckpessimist?

Ja. Wenn man sich in die Höhe hebt, kann man viel tiefer stürzen und das wäre viel schmerzhafter. Wenn man aus niedriger Höhe fällt, bricht man sich vielleicht den Ellenbogen. Besser als das Genick. 

Zieht man Sie heute noch wegen Ihrer Namensähnlichkeit mit dem kambodschanischen Massenmörder Pol Pot auf?

Ja, das kommt immer mal wieder vor. In der Schule hat man mich deswegen tyrannisiert. Pol Pot war in meiner Schulzeit in den Schlagzeilen. Es gab ein Programm, bei dem wir Kids Altmetall sammelten, um Geld für die notleidenden Kinder von Kambodscha aufzutreiben. Da hieß es natürlich immer, ich sei der Grund, aus dem wir das tun mussten. Ich hatte lange nicht mehr damit zu tun, als mich ein Journalist aus Budapest fragte, was denn mit meinen Eltern nicht stimme, dass sie mir diesen Namen gegeben hätten.

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